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Samstag, 14. August 2010
Artikel über Kunstsprachen in der New York Times – und: wie bastelt man eigentlich eine Sprache?
Themen: Sprachen
sileas, 15:05h
(Vorsicht, dieser Eintrag ist sogar für meine Begriffe ziemlich lang!)
Wie ich gerade herausgefunden habe, gibt es in einem Blog auf der NYT-Site (also strenggenommen nicht direkt in der New York Times) einen interessanten Artikel über Kunstsprachen. <freu>
Der Artikel ist hier. Aber Vorsicht, auf der Seite (bzw. in dem Blog) gibt es irgendein speicherfressendes JavaScript-Element, das meinen Firefox immer gaaanz langsam werden läßt... Ich konnte das Interview erst richtig (also ohne bei jedem Nach-unten-Weiterscroll-Vorgang mindestens eine halbe Minute warten zu müssen) lesen, nachdem ich JavaScript deaktiviert und die Seite neu geladen hatte. Und dabei ist mein Rechner gerade mal ein Jahr alt und sollte eigentlich, wenn schon nicht auf dem neuesten Stand der Technik, doch zumindest hinreichend gut bzw. schnell sein. :-(
(Kleiner Einschub, falls sich jetzt jemand wundert: Der dedizierte Internet-Rechner, der ja eigentlich deutlich älter als ein Jahr war, ist immer noch kaputt und ich habe mir immer noch keinen neuen zugelegt und gehe deshalb immer noch mit meinem vor genau einem Jahr und einer Woche gekauften Nicht-Internet-Rechner online – beziehungsweise, da ich natürlich die strikte Online/Offline-Trennung meiner Daten nicht aufgeben will: ich gehe mit der Hardware meines Nicht-Internet-Rechners online und benutze zum Booten nicht die Festplatte des Rechners (die ich im Online-Zustand nicht einmal gemountet habe), sondern den guten alten Ubuntu-Live-USB-Stick. Und zum Daten-Abspeichern eine externe Platte. Aber zurück zum Thema.)
Der Artikel ist schon ein paar Monate alt. Ich hatte davon seinerzeit gar nichts mitbekommen (<schäm>) und ihn erst jetzt über einen Link im Christophoronomicon entdeckt...
Und um ganz genau zu sein: Eigentlich ist es gar kein Artikel im üblichen Sinne, sondern ein Interview. Der Blogautor hatte seine Leser aufgefordert gehabt, Fragen über Kunstsprachen einzuschicken, und diese Fragen wurden dann zwei Experten vorgelegt, nämlich Arika Okrent (Verfasserin des Buches „In the Land of Invented Languages“) und Paul Frommer (Urheber der Na’vi-Sprache, also der Sprache der Außerirdischen im Film Avatar).
Sehr viel mehr muß ich zu diesem Interview gar nicht sagen, denn alles, was ich dazu hätte sagen wollen (es ist lesenswert, weil... erstens... zweitens... drittens... usw.), wurde im Christophoronomicon schon gesagt. Insgesamt ist es jedenfalls sehr interessant und – ungewöhnlich für die Mainstream-Presse – vom Grundton her eher positiv. Sehr positiv. Allerdings auch sehr lang. Nehmt euch Zeit zum Lesen. :-)
(Und schaltet vorher vielleicht euer JavaScript ab... :-P)
Jetzt bleibt mir nur noch, es Christophe nachzutun und meine Antworten zu ausgewählten Fragen aufzuschreiben. Rein zufällig sind das fast die gleichen Sachen, die auch Christophe für sich beantwortet hat, nämlich die, die aus der Sicht eines beliebigen Sprachbastlers halbwegs relevant sind (im Gegensatz zu den eher allgemein sprachwissenschaftlichen Fragen oder zu denen, die sich auf eine ganz bestimmte Sprache beziehen, die weder von ihm noch von mir erfunden wurde; Na’vi oder Esperanto oder Toki Pona oder was auch immer).
What is the process for ‘making up’ a language?
Das macht jeder etwas anders. Ich gehöre zu den Leuten, die eher systematisch vorgehen – naja, ich habe ja auch mal ein sprachwissenschaftliches Fach studiert und so unter anderem eine Systematik zur Beschreibung von Sprachen gelernt, die sich auch ganz prima zur Beschreibung (und Ausarbeitung) neuer Sprachen eignet...
Ich fange normalerweise mit einer Idee an. Meistens geht es dabei um irgendeine Eigenschaft oder (wahrscheinlicher) Kombination von Eigenschaften, die ich gerade irgendwie interessant finde. Also beispielsweise: „Ich finde es total spannend, wie man im Arabischen alle möglichen Wörter aus relativ simplen Wurzeln herleiten kann, sowas will ich auch machen, aber mit einem völlig anderen Lautsystem, weil ich zufällig gerade total auf australische Sprachen stehe (oder weil ich gerade endlich gelernt habe, wie man Klicks produziert, oder weil mein Kumpel gerade an einer Sprache ohne Nasale bastelt und ich dadurch auf die Idee gekommen bin, daß ich jetzt unbedingt eine ohne Frikative haben will, oder...).“
Oder vielleicht auch etwas völlig anderes, wie z. B. „Wie sähe Esperanto wohl aus, wenn es ergativisch wäre und phonemische Töne hätte?“
Oder so etwas in der Art.
Wenn ich auf diese Weise beschlossen habe, mir eine neue Sprache auszudenken, fange ich mit den kleinsten Bausteinen an, sozusagen mit den Atomen. Bei einer Sprache ist das die Phonologie, also die Menge der Laute, die es in der Sprache gibt (Phonemsystem), und Regeln darüber, wie diese Laute sich verhalten, wenn sie z. B. mit bestimmten anderen Lauten zusammentreffen (Phonotaktik), oder was für Lautveränderungen es womöglich bei der Flexion von Wörtern oder bei der Wortbildung geben kann (Morphophonologie).
Als nächstes kommt die Grammatik. Will ich eine Morphologie haben oder soll meine Sprache ganz isolierend sein? Und was für eine Morphologie? Was für grammatische Informationen sollen durch solche Sachen wie Flexion ausgedrückt werden – will ich beispielsweise Zeitformen der Verben lieber wie im Lateinischen bilden, indem ich das Wort flektiere (tangere „berühren“ → Imperfekt tangēbam, Perfekt tetigī, Futur tangam), oder will ich lieber wie im Deutschen bestimmte Zeitformen durch Flexion ausdrücken und andere durch Funktionswörter oder Hilfsverben (lieben → Imperfekt ich liebte, Perfekt ich habe geliebt, Futur ich werde lieben)? Oder womöglich wie im Mandarin alles durch Funktionswörter ausdrücken (keine Beispiele, da mein Mandarin praktisch nichtexistent ist)? Und welche Informationen sollen überhaupt ausgedrückt werden und welche nicht oder nur optional? (Im Deutschen kann man ja beispielsweise, wenn man über die Zukunft redet, auch Gegenwartsformen der Verben benutzen; man kann sich also aussuchen, ob man die Information „das findet in der Zukunft statt“ explizit ins Verb einbaut oder nicht. Und im Russischen wird in Verbformen das Geschlecht des Subjekts angezeigt, allerdings nur in Singularformen in der Vergangenheit: mit einem Satz wie „я гуляла“ drücke ich ja nicht nur (die wörtliche Übersetzung) „ich ging spazieren“ aus, sondern liefere außerdem die Information „ich bin weiblich“. Wäre ich männlich, so würde ich sagen „я гулял“.)
Da gibt es ziemlich viele Möglichkeiten und entsprechend viele Kombinationen. :-)
Sobald ich ein bißchen Grammatik beisammen habe, fange ich meist schon an mit den ersten einfachen Beispielsätzen. Die helfen mir auch dabei, Unklarheiten aufzuspüren und zu beseitigen und meine Ideen zu testen – wenn sich herausstellt, daß das schöne Flexionsschema oder die Ableitungsendung, die ich mir gerade ausgedacht habe, im Satzzusammenhang häßlich klingt oder bei leider allzu vielen Wortstämmen zu unaussprechbaren Lautverbindungen führt, wird sie halt umgebaut.
Ach ja, an dieser Stelle habe ich mir auch schon ein paar Wörter ausgedacht. Die ersten kommen dadurch zustande, daß solche Sachen wie Flexionsschemata ja nicht im luftleeren Raum existieren können, sondern die Endungen (oder auch Vorsilben oder... naja, je nachdem) irgendwo angehängt werden müssen. Durch die Beispielsätze kommen dann auch noch Wörter hinzu, die ich nicht unbedingt nur für die reine Morphologie brauche, also beispielsweise Adverbien; oder Wörter, die ich noch nicht brauche. Und natürlich auch noch mehr Substantive und Verben als nur die, die ich für die erste Beschreibung meiner Flexionsschemata brauche (sagen wir mal: eins pro Flexionsklasse), weil es mit den Beispielsätzen ja ziemlich schnell langweilig wird, wenn ich immer nur (angenommen, ich habe eine Sprache mit drei Geschlechtern wie im Deutschen, die jeweils auf eine eigene Weise flektiert werden) über dieselben drei Protagonisten: DER Hund, DIE Katze und DAS Meerschweinchen reden muß.
Außerdem komme ich durch die Beispielsätze natürlich auch auf neue grammatische Kategorien und Konstruktionen, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. (Einfaches Beispiel: Ich weiß schon, ob und wie Substantive und Verben flektiert werden; während ich mir meinen ersten Beispielsatz ausdenke, muß ich zuerst einmal die Frage „steht das Subjekt vor oder hinter dem Verb oder ist beides möglich?“ beantworten. Für den nächsten oder übernächsten Satz dann vielleicht auch schon „wo im Satz dürfen Adverbien stehen?“.)
Und dann fällt mir siedendheiß ein, daß ich natürlich mal wieder vergessen habe, daß zur Grammatik ja nicht nur die Morphologie gehört, sondern auch die Syntax. Und dann muß ich mich erst einmal hinsetzen und mir ein paar Gedanken über Satzbau, Wortstellung u. ä. machen.
Bis dahin habe ich meist auch schon ein halbwegs brauchbares Schriftsystem. Meine ersten Schritte mache ich normalerweise mit dem IPA, dem internationalen phonetischen Alphabet, da sich damit wirklich alle Laute schriftlich ausdrücken lassen, die ich mir nur wünschen kann. Aber mit diesem System kann man nicht so richtig gut schreiben, weder von Hand noch mit dem Computer. Oder jedenfalls keine längeren Texte. Oder auch nur ganze Sätze. Sobald also meine Phonologie halbwegs steht, fange ich an, darüber nachzudenken, wie ich diese Laute halbwegs sinnvoll mit einfacheren Zeichen schreiben kann. Meistens denke ich mir in meinem jugendlichen Überschwang gleich mehrere Schriftsysteme aus, die verschiedene Zwecke haben, beispielsweise ein reines ASCII-System (falls ich die Sprache mal einfach so auf der Tastatur herunterhacken will, ohne groß über Diakritika und Tastenkombinationen nachdenken zu müssen) und eins mit Diakritika und womöglich noch ein paar Sonderzeichen (aus dem IPA oder einem fremden Alphabet wie z. B. dem griechischen geklaut) zum Schreiben mit der Hand.
(Eine eigene Schrift habe ich mir bis jetzt für keine meiner Sprachen ausgedacht; nur Transkriptionen, also Systeme, mit denen ich diese oder jene Sprache mit unserer (lateinischen) Schrift oder auch einer anderen (aus irgendeinem Grund lande ich früher oder später immer beim kyrillischen Alphabet, bleibe aber nicht unbedingt dabei) oder einer Mischform (z. B. kyrillische Schrift mit ein paar Lateinbuchstaben) schreiben kann. Das mag damit zu tun haben, daß ich zwar etliche Schriftsysteme mehr oder weniger flüssig lesen, aber nur zwei – Lateinisch und Kyrillisch – auch richtig flüssig schreiben kann.)
Und dann kommt der erste Belastungstest. Dann fange ich nämlich an, mir mehr oder weniger systematisch Sätze auszudenken. Meist drehen die sich um etwas, was gerade in meinem Alltag passiert. (Da Reisen mich aus irgendeinem Grunde inspirieren, habe ich bergeweise Beispielsätze, in denen es darum geht, daß ich gerade im Flughafen auf den Abflug warte oder was ich heute schon alles vom Zug aus gesehen habe.) Mit denen baue ich mir so nach und nach die wichtigsten Bestandteile der Grammatik auf, unter anderem „Baupläne“ für verschiedene Satzarten (Frage, Nebensatz, überraschter Ausruf usw. usf.).
Da in meinen Beispielsätzen irgendwann auch Namen vorkommen (z. B. der Ort, wo ich herkomme oder hinreise, oder Leute, die ich besuchen will oder denen ich gerade eine Postkarte geschrieben habe – was einem auf einer Reise halt so passiert), denke ich mir dann auch Regeln aus, wie Namen in diese neue Sprache übernommen werden: werden sie lautlich angepaßt (und wenn ja: wie?) oder übersetzt (Neustadt → „neue Stadt“) oder vielleicht eine Mischung aus beidem (München → „kleines Mün“, was immer ein Mün auch sein mag)? Wenn mich der Hafer sticht, bietet sich hier natürlich die eine oder andere Gelegenheit zu absichtlichen Fehlübersetzungen (z. B. England → „enges Land“ oder Andreas → „der andere“).
So nimmt das Ganze also nach und nach Gestalt an... :-)
Übrigens: Wenn jemand eine eigene Sprache erfinden will und sich Sorgen macht, er könne dabei irgend etwas Wichtiges vergessen, kann er sich mit Büchern helfen, die eigentlich für die linguistische Feldforschung gedacht sind (also für eine Situation, in der ein Sprachwissenschaftler irgendwohin reist, wo eine Sprache gesprochen wird, zu der es noch kein Wörterbuch und keine Grammatikbeschreibung usw. gibt, und diese Sprache dann von den Muttersprachlern lernt und dieses noch nicht vorhandene Material selber schreibt). Viele der Sprachbastler, die ich kenne, arbeiten mit dem Buch „Describing Morphosyntax“ von Thomas E. Payne. Es gibt aber sicher auch noch andere. (Auch auf deutsch? Keine Ahnung. Tut mir leid.) Wem das zu wissenschaftlich ist, der möge sich Mark Rosenfelders „Language Construction Kit“ ansehen, von dem ich hier ja neulich schon berichtet habe. Und wer sich erst einmal online umsehen will, bevor er ein Buch kauft (oder in der nächstgelegenen Uni-Bibliothek per Fernleihe bestellt), findet auf der Homepage der Language Creation Society einige brauchbare Links. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aus dieser Liste drei empfehlen: Mark Rosenfelders (kürzeres, elektronisches statt papiernes) Language Construction Kit, von dem es auch eine sehr gute deutsche Übersetzung von Carsten Becker gibt; Pablo David Flores’ How to create a language; und Rick Morneaus Essays on Language Design.
Für jemanden, der schon recht solide sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse hat und nun möglichst schnell einen Überblick über möglichst viele möglichst (auch) exotische Sachen bekommen will, die es in diversen Sprachen so gibt, ist vielleicht dieses Buch hier interessant: „The Languages of Native North America“ von Marianne Mithun. Kaum zu glauben, was für eine Vielfalt von grammatischen und phonologischen Features (und Kombinationen davon) es in diesen – leider zum größten Teil bereits ausgestorbenen oder zumindest vom Aussterben bedrohten – Sprachen gibt... Von diesem Buch wurde ich schon ziemlich oft beim Sprachbasteln inspiriert. :-)
Do you invent a language from scratch without using one or more existing languages as models, or do you base the syntax or grammar on the syntax or grammar of an existing language?
Ja. :-)
OK, das war jetzt gemein von mir, da einfach „ja“ zu antworten. Dieses Blog wird ja nicht nur von Leuten gelesen, die sich mit formaler Logik befassen und deshalb jetzt aufgrund meines „ja“ auf eine „X oder Y?“-Frage weise nicken werden.
Und wenn ich’s recht bedenke, läßt sich die Frage gar nicht so leicht beantworten.
Denn einerseits denke ich mir meine Sprachen am liebsten selber aus, andererseits denke ich dabei aber durchaus an die eine oder andere schon existente Sprache. Allerdings nehme ich nur sehr selten eine schon existente Sprache und baue eine neue Sprache ganz explizit auf dieser auf – obwohl das eine durchaus brauchbare Methode zum Sprachbasteln ist. Es gibt eine Menge schöne Kunstsprachen, die auf diese Weise entstanden sind (z. B. die diversen Romlangs, also auf dem Lateinischen und/oder den romanischen Sprachen basierende Kunstsprachen). Aber ich persönlich nehme mir schon existente Sprachen lieber zum Vorbild als zur Grundlage; das heißt, ich lasse mich zwar inspirieren („Sprache X hat einen schönen Klang“, „Sprache Y macht wahnsinnig spannende Sachen mit Adjektiven“), baue meine neue Sprache aber meist nicht zu stark auf einer anderen auf. Ich denke mir die Grammatik lieber selber aus (obschon meist zumindest in Teilen inspiriert von anderen Sprachen), übernehme – wenn überhaupt – nur kleine Teile des Vokabulars aus anderen Sprachen, und so weiter.
Da es schon unglaublich viele (natürliche und künstliche) Sprachen gibt, die unglaublich vielfältig sind, kommt am Ende natürlich meist doch etwas heraus, das auf die eine oder andere Weise an eine oder auch mehrere andere Sprachen erinnert. Allerdings ist das nicht unbedingt das, was ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Manchmal fange ich tatsächlich mit einer Zielsetzung in der Art von „ich will eine Sprache, die einen ähnlichen Charakter hat wie Sprache X“ an, aber dann passiert unterwegs dies und das und jenes (beziehungsweise: ich baue dies und das und jenes in meine Sprache ein, was es in Sprache X nicht gibt, weil ich ja auf keinen Fall einen „Zwilling“ oder „Klon“ von Sprache X bauen will) und am Ende sieht meine Sprache nicht mehr Sprache X ähnlich, sondern einer völlig anderen Sprache Y.
Aber das ist eine der Sachen, die das Sprachbasteln so spannend machen. :-)
Why would one choose to invent a new language (aside from the whole ‘wildest academic dreams’ thing) rather than revive a ‘dead’ language or a dying one, like Cornish or Manx?
Das wurde in dem Interview (und auch in Christophes Kommentar zum Interview) ja schon hinreichend beantwortet. Aber da mir dieses Thema am Herzen liegt, gebe ich auch noch meinen Senf dazu. :-)
Erstens: Zum Erfinden einer neuen Sprache braucht man im Zweifelsfall weder besonders viel Zeit noch besonders viel Mühe. Und auch keine besondere Ausbildung. Viele von uns Sprachbastlern machen hauptberuflich etwas völlig anderes bzw. haben etwas völlig anderes studiert bzw. gelernt als ausgerechnet Sprachwissenschaft. Aber das ist auch durchaus in Ordnung, denn in den meisten Fällen ist die Sprachbastelei einfach nur ein Hobby und niemand erwartet von einem, daß die Sprache am Ende irgendwie „fertig“ oder „vollständig“ (oder auch nur benutzbar) wäre. Aber wenn man eine Sprache wiederbeleben oder vor dem Verschwinden retten bzw. vor dem Verschwinden schnell noch möglichst vollständig dokumentieren will, braucht man dazu erstens eine ganze Menge Zeit (wenn man’s richtig machen will, ist das ein Vollzeitjob, an dem man – meist zu mehreren – mindestens ein paar Jahre lang sitzt!) und zweitens eine ziemlich fundierte Fachausbildung. Ich habe zwar Sprachwissenschaften studiert – zwar Computerlinguistik und Vergleichende Sprachwissenschaft, was beides nicht so viel mit Spracherhalt oder -rettung zu tun hat, aber immerhin habe ich auch ein paar Scheine zum Thema linguistische Feldforschung und Sprachdokumentation –, aber das heißt auch nicht unbedingt, daß ich mir diese Art intensiver linguistischer Feldforschung zutrauen würde... Man muß diese mindestens-ein-paar-Jahre ja normalerweise auch in der betreffenden Sprachgemeinschaft verbringen, also im Zweifelsfalle beispielsweise in einem Indianerdorf im Amazonastiefland oder zumindest (um bei den Beispielen in der Frage zu bleiben) in einem Dorf in Cornwall oder auf der Insel Man. (Dorf? Ja, bedrohte Sprachen sind auf dem Lande eher erhalten als in den Städten.)
Zweitens: Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber manche Sprechergemeinschaften wollen aussterben. Beziehungsweise: Sie wollen etwas, was für Außenstehende so aussieht. Auf einer sprachwissenschaftlichen Mailingliste, die ich abonniert habe, haben wir unter anderem einen Sprachwissenschaftler irgendwo im Südwesten der USA, der die dortigen Indianersprachen erforscht. Der hat im Laufe seines Lebens schon einige Sachen erlebt... Beispielsweise erzählte er mal von einer Abstimmung innerhalb eines Stammes, wo es darum ging, ob in den High Schools der Gegend (die größtenteils von Stammesangehörigen besucht wurden) als erste (und für viele Schüler einzige) Fremdsprache Spanisch oder die (nur noch von Älteren gesprochene) Sprache des Stammes angeboten werden sollte, und die überwiegende Mehrheit der Leute war für Spanisch. – Ja, aber dann könnte die eigene Sprache doch aussterben, wenn die keiner mehr lernt? – Na und? Was nützt es, wenn unsere Sprache überlebt und wir alle arbeitslos sind, weil man in dieser Gegend heutzutage für viele Jobs nun mal ein gewisses Minimum an Spanisch (wegen der mexikanischen Touristen und Saisonarbeiter und so) können muß? – Er hatte auch schon mit Sprechergemeinschaften zu tun, die es zwar alles andere als gut fanden, daß ihre Sprache am Aussterben war, die aber andererseits ihre Sprache als so eng mit ihrer Kultur verbunden sahen, daß sie – weil sie ihre Kultur als ihre betrachteten, die für sie und nicht für irgendwelche Außenstehenden da war – das Aussterben der Sprache als das kleinere Übel empfanden und es wesentlich schlimmer gefunden hätten, wenn auf einmal irgendwelche fremden Sprachwissenschaftler und Anthropologen angefangen hätten, mit ihren dreckigen Fingern in ihrer schönen Sprache und Kultur herumzuwühlen. (So eine Einstellung ist anscheinend gar nicht so selten, vor allem, wenn die Sprache als irgendwie heilig empfunden wird, also z. B. als „die Sprache, in der wir mit unseren Göttern reden“ im Gegensatz zu der „Alltagssprache“ (z. B. Englisch oder Spanisch oder Französisch oder Arabisch oder Russisch, je nachdem, in welchem Teil der Welt man sich befindet), mit der man alles andere macht, also z. B. mit seiner Familie und seinen Freunden reden oder einkaufen. Wenn dann auf einmal irgend so ein Sprachforscher daherkommt und die Sprache dokumentieren will, kann es passieren, daß er zuallererst einmal angemotzt wird: red mit deinen Göttern gefälligst in deiner Sprache und laß unsere in Ruhe.)
Und drittens: Wenn wir jetzt alle aufhören, uns neue Sprachen auszudenken, ist damit ja noch nicht garantiert, daß all die plötzlich freigewordene Zeit und Energie dann auch wirklich in die Rettung bedrohter Sprachen fließt. Die meisten Leute würden stattdessen wohl eher ein anderes, ebenso „sinnfreies“, Hobby anfangen und statt Sprachen beispielsweise Modellflugzeuge basteln. Oder stricken lernen. Oder Orchestermusik komponieren. Oder mehr Sport treiben. Oder mehr Zeit damit verbringen, Löcher in die Luft zu starren... Anders ausgedrückt: Wenn ein Spielzeugeisenbahn-Enthusiast seine Spielzeugeisenbahn verschrottet, heißt das ja auch noch lange nicht, daß er sich jetzt stattdessen an die Lösung sämtlicher Probleme der Deutschen Bahn machen will... oder umgekehrt: Wenn mal wieder ein Zug unpünktlich ist und im Sommer die Klimaanlagen in den Wagen ausfallen und im Winter die Lokomotiven gar nicht erst anspringen, dann liegt das an allem möglichen, aber ganz bestimmt nicht daran, daß zu viele Leute ihre Zeit mit einer Spielzeugeisenbahn im Keller verplempern. ;-)
Who after all reads the Pope’s pronouncements in the original Latin?
OK, das war nur ein winziger Teil einer längeren Frage (in der es um alte Sprachen ging: soll man die lernen, wem bringt das was, usw.), aber ich konnte einfach nicht widerstehen. :-)
Ich. Ich lese päpstliche Verlautbarungen im lateinischen Original. Das heißt, wenn ich sie überhaupt lese (bin ja nicht katholisch und war es auch nie). Aber wenn ich sie lese, dann im Original.
Zu irgendwas muß so ein Latinum ja gut sein... ;-)
(Ich lese am liebsten alles im Original, wenn ich die Originalsprache halbwegs lesen kann. Ich habe schon viel zu viele und viel zu peinliche Übersetzungsfehler gesehen, um noch auf Übersetzungen vertrauen zu wollen, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt... Aber das ist ein anderes Thema.). . .
Und zu guter Letzt noch etwas, was mir zu Themen wie diesem immer wieder einfällt – schließlich ging es in dem Interview auch um solche Sachen wie Esperanto und Welthilfssprachen im allgemeinen – und was ich meines Wissens noch nie irgendwo aufgeschrieben habe, ganz bestimmt nicht in diesem Blog und mit ziemlicher Sicherheit auch nicht sonstwo (Tagebuch, Diskussionsforum...): Mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache wäre Lojban. Die ist garantiert kulturneutral und bietet auch niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen. Allerdings ist mir natürlich klar, daß kaum jemand freiwillig eine Sprache lernen wird, deren Grammatik auf formaler Logik aufbaut (das riecht zu sehr nach Mathematik, und daran haben zu viele Leute schlechte Erinnerungen aus ihrer Schulzeit).
OK, strenggenommen müßte man also sagen: Lojban bietet niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen, sondern benachteiligt alle Leute gleichermaßen, und zwar gleichermaßen extrem. Selbst Leute wie ich, die sich (z. B. im Studium) intensiv mit formaler Logik auseinandergesetzt haben, können diese Sprache ganz schön knifflig finden...
Das Problem mit dem Englischen als internationalem Kommunikationsmedium ist ja, daß diese Sprache nicht kulturneutral ist – es gibt ja leider einige, sagen wir mal, ziemlich durchsetzungsfähige englischsprachige Kulturen, die in manchen Teilen der Welt ja durchaus auch als „imperialistisch“ wahrgenommen werden (egal, ob es nun um das British Empire oder um die USA oder um sonstwen geht).
Aus einem ähnlichen Grund finde ich auch Esperanto nicht geeignet; die Esperanto-Kultur kann man zwar nur mit viel bösem Willen als „imperialistisch“ oder sonstwie „böse“ definieren, aber es gibt eine Esperanto-Kultur, und auch wenn die so geartet ist, daß da jeder gerne mit reindarf (aber niemand dazu seine ursprüngliche Kultur aufgeben muß): nicht jeder will da auch mit rein. (Ich persönlich finde die Esperanto-Kultur als Kultur nicht besonders anziehend, aber die Sprache gefällt mir. Vor allem die Ableitungsmorphologie. Aber ich bin ja auch bekennender Fan von Ableitungsmorphologie.)
Nein, wenn Lojban ausscheidet, ist mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache Tok Pisin. Gut, da hängt auch eine Kultur mit dran, aber wenigstens ist das eine relativ kleine und nicht so weit verbreitete Kultur, die wohl niemand als groß und böse und bedrohlich und imperialistisch (oder so) empfinden wird. Außer womöglich den Bewohnern gewisser Bergtäler in Neuguinea. Mist, jetzt habe ich doch wieder dieses blöde Imperialismusproblem... Aber wenigstens würde mit TP als internationalem Kommunikationsmedium der größte Teil der Menschheit – also die Nicht-Muttersprachler – gleichermaßen benachteiligt werden. Allerdings nicht so stark wie mit Lojban. Denn TP hat als typische Kreolsprache eine recht einfach zu durchschauende Grammatik und auch eine recht unkomplizierte Phonologie und Orthographie, ist also mit relativ geringem Aufwand zu lernen (im Vergleich zum Englischen mit seiner unmöglichen Orthographie oder zum Spanischen mit diesen ganzen bescheuerten Verbformen) und dennoch sehr ausdrucksfähig. Und – was in solchen hypothetischen Weltsprach-Diskussionen selbstverständlich der aller-allerwichtigste Punkt ist – ich finde diese Sprache einfach schön. :-)
Ich persönlich finde die englische Orthographie übrigens eigentlich gar nicht so „unmöglich“, sondern eher spannend, und dasselbe gilt für die Verbformen im Spanischen und anderen romanischen Sprachen. Allerdings ist mir natürlich schon klar, daß „spannend“ nicht ganz dasselbe ist wie „leicht zu lernen“. Außerdem bin ich ja, wie gesagt, Sprachwissenschaftlerin und habe als solche vermutlich sowieso eine etwas höhere Schmerzschwelle für solche Sachen als die meisten anderen Leute. ;-)
Meine eigenen Kunstsprachen haben typischerweise keine besonders komplizierte Orthographie – so etwas ist einfach zu schwierig zu konzipieren, und ich stecke meine Energie stattdessen lieber in die Grammatik. Aber komplexe Verbformen bzw. Verbsysteme denke ich mir schon sehr gerne aus... ähm, ja, wie gesagt: ich stecke meine Energie gerne in die Grammatik.
Wie ich gerade herausgefunden habe, gibt es in einem Blog auf der NYT-Site (also strenggenommen nicht direkt in der New York Times) einen interessanten Artikel über Kunstsprachen. <freu>
Der Artikel ist hier. Aber Vorsicht, auf der Seite (bzw. in dem Blog) gibt es irgendein speicherfressendes JavaScript-Element, das meinen Firefox immer gaaanz langsam werden läßt... Ich konnte das Interview erst richtig (also ohne bei jedem Nach-unten-Weiterscroll-Vorgang mindestens eine halbe Minute warten zu müssen) lesen, nachdem ich JavaScript deaktiviert und die Seite neu geladen hatte. Und dabei ist mein Rechner gerade mal ein Jahr alt und sollte eigentlich, wenn schon nicht auf dem neuesten Stand der Technik, doch zumindest hinreichend gut bzw. schnell sein. :-(
(Kleiner Einschub, falls sich jetzt jemand wundert: Der dedizierte Internet-Rechner, der ja eigentlich deutlich älter als ein Jahr war, ist immer noch kaputt und ich habe mir immer noch keinen neuen zugelegt und gehe deshalb immer noch mit meinem vor genau einem Jahr und einer Woche gekauften Nicht-Internet-Rechner online – beziehungsweise, da ich natürlich die strikte Online/Offline-Trennung meiner Daten nicht aufgeben will: ich gehe mit der Hardware meines Nicht-Internet-Rechners online und benutze zum Booten nicht die Festplatte des Rechners (die ich im Online-Zustand nicht einmal gemountet habe), sondern den guten alten Ubuntu-Live-USB-Stick. Und zum Daten-Abspeichern eine externe Platte. Aber zurück zum Thema.)
Der Artikel ist schon ein paar Monate alt. Ich hatte davon seinerzeit gar nichts mitbekommen (<schäm>) und ihn erst jetzt über einen Link im Christophoronomicon entdeckt...
Und um ganz genau zu sein: Eigentlich ist es gar kein Artikel im üblichen Sinne, sondern ein Interview. Der Blogautor hatte seine Leser aufgefordert gehabt, Fragen über Kunstsprachen einzuschicken, und diese Fragen wurden dann zwei Experten vorgelegt, nämlich Arika Okrent (Verfasserin des Buches „In the Land of Invented Languages“) und Paul Frommer (Urheber der Na’vi-Sprache, also der Sprache der Außerirdischen im Film Avatar).
Sehr viel mehr muß ich zu diesem Interview gar nicht sagen, denn alles, was ich dazu hätte sagen wollen (es ist lesenswert, weil... erstens... zweitens... drittens... usw.), wurde im Christophoronomicon schon gesagt. Insgesamt ist es jedenfalls sehr interessant und – ungewöhnlich für die Mainstream-Presse – vom Grundton her eher positiv. Sehr positiv. Allerdings auch sehr lang. Nehmt euch Zeit zum Lesen. :-)
(Und schaltet vorher vielleicht euer JavaScript ab... :-P)
Jetzt bleibt mir nur noch, es Christophe nachzutun und meine Antworten zu ausgewählten Fragen aufzuschreiben. Rein zufällig sind das fast die gleichen Sachen, die auch Christophe für sich beantwortet hat, nämlich die, die aus der Sicht eines beliebigen Sprachbastlers halbwegs relevant sind (im Gegensatz zu den eher allgemein sprachwissenschaftlichen Fragen oder zu denen, die sich auf eine ganz bestimmte Sprache beziehen, die weder von ihm noch von mir erfunden wurde; Na’vi oder Esperanto oder Toki Pona oder was auch immer).
What is the process for ‘making up’ a language?
Das macht jeder etwas anders. Ich gehöre zu den Leuten, die eher systematisch vorgehen – naja, ich habe ja auch mal ein sprachwissenschaftliches Fach studiert und so unter anderem eine Systematik zur Beschreibung von Sprachen gelernt, die sich auch ganz prima zur Beschreibung (und Ausarbeitung) neuer Sprachen eignet...
Ich fange normalerweise mit einer Idee an. Meistens geht es dabei um irgendeine Eigenschaft oder (wahrscheinlicher) Kombination von Eigenschaften, die ich gerade irgendwie interessant finde. Also beispielsweise: „Ich finde es total spannend, wie man im Arabischen alle möglichen Wörter aus relativ simplen Wurzeln herleiten kann, sowas will ich auch machen, aber mit einem völlig anderen Lautsystem, weil ich zufällig gerade total auf australische Sprachen stehe (oder weil ich gerade endlich gelernt habe, wie man Klicks produziert, oder weil mein Kumpel gerade an einer Sprache ohne Nasale bastelt und ich dadurch auf die Idee gekommen bin, daß ich jetzt unbedingt eine ohne Frikative haben will, oder...).“
Oder vielleicht auch etwas völlig anderes, wie z. B. „Wie sähe Esperanto wohl aus, wenn es ergativisch wäre und phonemische Töne hätte?“
Oder so etwas in der Art.
Wenn ich auf diese Weise beschlossen habe, mir eine neue Sprache auszudenken, fange ich mit den kleinsten Bausteinen an, sozusagen mit den Atomen. Bei einer Sprache ist das die Phonologie, also die Menge der Laute, die es in der Sprache gibt (Phonemsystem), und Regeln darüber, wie diese Laute sich verhalten, wenn sie z. B. mit bestimmten anderen Lauten zusammentreffen (Phonotaktik), oder was für Lautveränderungen es womöglich bei der Flexion von Wörtern oder bei der Wortbildung geben kann (Morphophonologie).
Als nächstes kommt die Grammatik. Will ich eine Morphologie haben oder soll meine Sprache ganz isolierend sein? Und was für eine Morphologie? Was für grammatische Informationen sollen durch solche Sachen wie Flexion ausgedrückt werden – will ich beispielsweise Zeitformen der Verben lieber wie im Lateinischen bilden, indem ich das Wort flektiere (tangere „berühren“ → Imperfekt tangēbam, Perfekt tetigī, Futur tangam), oder will ich lieber wie im Deutschen bestimmte Zeitformen durch Flexion ausdrücken und andere durch Funktionswörter oder Hilfsverben (lieben → Imperfekt ich liebte, Perfekt ich habe geliebt, Futur ich werde lieben)? Oder womöglich wie im Mandarin alles durch Funktionswörter ausdrücken (keine Beispiele, da mein Mandarin praktisch nichtexistent ist)? Und welche Informationen sollen überhaupt ausgedrückt werden und welche nicht oder nur optional? (Im Deutschen kann man ja beispielsweise, wenn man über die Zukunft redet, auch Gegenwartsformen der Verben benutzen; man kann sich also aussuchen, ob man die Information „das findet in der Zukunft statt“ explizit ins Verb einbaut oder nicht. Und im Russischen wird in Verbformen das Geschlecht des Subjekts angezeigt, allerdings nur in Singularformen in der Vergangenheit: mit einem Satz wie „я гуляла“ drücke ich ja nicht nur (die wörtliche Übersetzung) „ich ging spazieren“ aus, sondern liefere außerdem die Information „ich bin weiblich“. Wäre ich männlich, so würde ich sagen „я гулял“.)
Da gibt es ziemlich viele Möglichkeiten und entsprechend viele Kombinationen. :-)
Sobald ich ein bißchen Grammatik beisammen habe, fange ich meist schon an mit den ersten einfachen Beispielsätzen. Die helfen mir auch dabei, Unklarheiten aufzuspüren und zu beseitigen und meine Ideen zu testen – wenn sich herausstellt, daß das schöne Flexionsschema oder die Ableitungsendung, die ich mir gerade ausgedacht habe, im Satzzusammenhang häßlich klingt oder bei leider allzu vielen Wortstämmen zu unaussprechbaren Lautverbindungen führt, wird sie halt umgebaut.
Ach ja, an dieser Stelle habe ich mir auch schon ein paar Wörter ausgedacht. Die ersten kommen dadurch zustande, daß solche Sachen wie Flexionsschemata ja nicht im luftleeren Raum existieren können, sondern die Endungen (oder auch Vorsilben oder... naja, je nachdem) irgendwo angehängt werden müssen. Durch die Beispielsätze kommen dann auch noch Wörter hinzu, die ich nicht unbedingt nur für die reine Morphologie brauche, also beispielsweise Adverbien; oder Wörter, die ich noch nicht brauche. Und natürlich auch noch mehr Substantive und Verben als nur die, die ich für die erste Beschreibung meiner Flexionsschemata brauche (sagen wir mal: eins pro Flexionsklasse), weil es mit den Beispielsätzen ja ziemlich schnell langweilig wird, wenn ich immer nur (angenommen, ich habe eine Sprache mit drei Geschlechtern wie im Deutschen, die jeweils auf eine eigene Weise flektiert werden) über dieselben drei Protagonisten: DER Hund, DIE Katze und DAS Meerschweinchen reden muß.
Außerdem komme ich durch die Beispielsätze natürlich auch auf neue grammatische Kategorien und Konstruktionen, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. (Einfaches Beispiel: Ich weiß schon, ob und wie Substantive und Verben flektiert werden; während ich mir meinen ersten Beispielsatz ausdenke, muß ich zuerst einmal die Frage „steht das Subjekt vor oder hinter dem Verb oder ist beides möglich?“ beantworten. Für den nächsten oder übernächsten Satz dann vielleicht auch schon „wo im Satz dürfen Adverbien stehen?“.)
Und dann fällt mir siedendheiß ein, daß ich natürlich mal wieder vergessen habe, daß zur Grammatik ja nicht nur die Morphologie gehört, sondern auch die Syntax. Und dann muß ich mich erst einmal hinsetzen und mir ein paar Gedanken über Satzbau, Wortstellung u. ä. machen.
Bis dahin habe ich meist auch schon ein halbwegs brauchbares Schriftsystem. Meine ersten Schritte mache ich normalerweise mit dem IPA, dem internationalen phonetischen Alphabet, da sich damit wirklich alle Laute schriftlich ausdrücken lassen, die ich mir nur wünschen kann. Aber mit diesem System kann man nicht so richtig gut schreiben, weder von Hand noch mit dem Computer. Oder jedenfalls keine längeren Texte. Oder auch nur ganze Sätze. Sobald also meine Phonologie halbwegs steht, fange ich an, darüber nachzudenken, wie ich diese Laute halbwegs sinnvoll mit einfacheren Zeichen schreiben kann. Meistens denke ich mir in meinem jugendlichen Überschwang gleich mehrere Schriftsysteme aus, die verschiedene Zwecke haben, beispielsweise ein reines ASCII-System (falls ich die Sprache mal einfach so auf der Tastatur herunterhacken will, ohne groß über Diakritika und Tastenkombinationen nachdenken zu müssen) und eins mit Diakritika und womöglich noch ein paar Sonderzeichen (aus dem IPA oder einem fremden Alphabet wie z. B. dem griechischen geklaut) zum Schreiben mit der Hand.
(Eine eigene Schrift habe ich mir bis jetzt für keine meiner Sprachen ausgedacht; nur Transkriptionen, also Systeme, mit denen ich diese oder jene Sprache mit unserer (lateinischen) Schrift oder auch einer anderen (aus irgendeinem Grund lande ich früher oder später immer beim kyrillischen Alphabet, bleibe aber nicht unbedingt dabei) oder einer Mischform (z. B. kyrillische Schrift mit ein paar Lateinbuchstaben) schreiben kann. Das mag damit zu tun haben, daß ich zwar etliche Schriftsysteme mehr oder weniger flüssig lesen, aber nur zwei – Lateinisch und Kyrillisch – auch richtig flüssig schreiben kann.)
Und dann kommt der erste Belastungstest. Dann fange ich nämlich an, mir mehr oder weniger systematisch Sätze auszudenken. Meist drehen die sich um etwas, was gerade in meinem Alltag passiert. (Da Reisen mich aus irgendeinem Grunde inspirieren, habe ich bergeweise Beispielsätze, in denen es darum geht, daß ich gerade im Flughafen auf den Abflug warte oder was ich heute schon alles vom Zug aus gesehen habe.) Mit denen baue ich mir so nach und nach die wichtigsten Bestandteile der Grammatik auf, unter anderem „Baupläne“ für verschiedene Satzarten (Frage, Nebensatz, überraschter Ausruf usw. usf.).
Da in meinen Beispielsätzen irgendwann auch Namen vorkommen (z. B. der Ort, wo ich herkomme oder hinreise, oder Leute, die ich besuchen will oder denen ich gerade eine Postkarte geschrieben habe – was einem auf einer Reise halt so passiert), denke ich mir dann auch Regeln aus, wie Namen in diese neue Sprache übernommen werden: werden sie lautlich angepaßt (und wenn ja: wie?) oder übersetzt (Neustadt → „neue Stadt“) oder vielleicht eine Mischung aus beidem (München → „kleines Mün“, was immer ein Mün auch sein mag)? Wenn mich der Hafer sticht, bietet sich hier natürlich die eine oder andere Gelegenheit zu absichtlichen Fehlübersetzungen (z. B. England → „enges Land“ oder Andreas → „der andere“).
So nimmt das Ganze also nach und nach Gestalt an... :-)
Übrigens: Wenn jemand eine eigene Sprache erfinden will und sich Sorgen macht, er könne dabei irgend etwas Wichtiges vergessen, kann er sich mit Büchern helfen, die eigentlich für die linguistische Feldforschung gedacht sind (also für eine Situation, in der ein Sprachwissenschaftler irgendwohin reist, wo eine Sprache gesprochen wird, zu der es noch kein Wörterbuch und keine Grammatikbeschreibung usw. gibt, und diese Sprache dann von den Muttersprachlern lernt und dieses noch nicht vorhandene Material selber schreibt). Viele der Sprachbastler, die ich kenne, arbeiten mit dem Buch „Describing Morphosyntax“ von Thomas E. Payne. Es gibt aber sicher auch noch andere. (Auch auf deutsch? Keine Ahnung. Tut mir leid.) Wem das zu wissenschaftlich ist, der möge sich Mark Rosenfelders „Language Construction Kit“ ansehen, von dem ich hier ja neulich schon berichtet habe. Und wer sich erst einmal online umsehen will, bevor er ein Buch kauft (oder in der nächstgelegenen Uni-Bibliothek per Fernleihe bestellt), findet auf der Homepage der Language Creation Society einige brauchbare Links. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aus dieser Liste drei empfehlen: Mark Rosenfelders (kürzeres, elektronisches statt papiernes) Language Construction Kit, von dem es auch eine sehr gute deutsche Übersetzung von Carsten Becker gibt; Pablo David Flores’ How to create a language; und Rick Morneaus Essays on Language Design.
Für jemanden, der schon recht solide sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse hat und nun möglichst schnell einen Überblick über möglichst viele möglichst (auch) exotische Sachen bekommen will, die es in diversen Sprachen so gibt, ist vielleicht dieses Buch hier interessant: „The Languages of Native North America“ von Marianne Mithun. Kaum zu glauben, was für eine Vielfalt von grammatischen und phonologischen Features (und Kombinationen davon) es in diesen – leider zum größten Teil bereits ausgestorbenen oder zumindest vom Aussterben bedrohten – Sprachen gibt... Von diesem Buch wurde ich schon ziemlich oft beim Sprachbasteln inspiriert. :-)
Do you invent a language from scratch without using one or more existing languages as models, or do you base the syntax or grammar on the syntax or grammar of an existing language?
Ja. :-)
OK, das war jetzt gemein von mir, da einfach „ja“ zu antworten. Dieses Blog wird ja nicht nur von Leuten gelesen, die sich mit formaler Logik befassen und deshalb jetzt aufgrund meines „ja“ auf eine „X oder Y?“-Frage weise nicken werden.
Und wenn ich’s recht bedenke, läßt sich die Frage gar nicht so leicht beantworten.
Denn einerseits denke ich mir meine Sprachen am liebsten selber aus, andererseits denke ich dabei aber durchaus an die eine oder andere schon existente Sprache. Allerdings nehme ich nur sehr selten eine schon existente Sprache und baue eine neue Sprache ganz explizit auf dieser auf – obwohl das eine durchaus brauchbare Methode zum Sprachbasteln ist. Es gibt eine Menge schöne Kunstsprachen, die auf diese Weise entstanden sind (z. B. die diversen Romlangs, also auf dem Lateinischen und/oder den romanischen Sprachen basierende Kunstsprachen). Aber ich persönlich nehme mir schon existente Sprachen lieber zum Vorbild als zur Grundlage; das heißt, ich lasse mich zwar inspirieren („Sprache X hat einen schönen Klang“, „Sprache Y macht wahnsinnig spannende Sachen mit Adjektiven“), baue meine neue Sprache aber meist nicht zu stark auf einer anderen auf. Ich denke mir die Grammatik lieber selber aus (obschon meist zumindest in Teilen inspiriert von anderen Sprachen), übernehme – wenn überhaupt – nur kleine Teile des Vokabulars aus anderen Sprachen, und so weiter.
Da es schon unglaublich viele (natürliche und künstliche) Sprachen gibt, die unglaublich vielfältig sind, kommt am Ende natürlich meist doch etwas heraus, das auf die eine oder andere Weise an eine oder auch mehrere andere Sprachen erinnert. Allerdings ist das nicht unbedingt das, was ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Manchmal fange ich tatsächlich mit einer Zielsetzung in der Art von „ich will eine Sprache, die einen ähnlichen Charakter hat wie Sprache X“ an, aber dann passiert unterwegs dies und das und jenes (beziehungsweise: ich baue dies und das und jenes in meine Sprache ein, was es in Sprache X nicht gibt, weil ich ja auf keinen Fall einen „Zwilling“ oder „Klon“ von Sprache X bauen will) und am Ende sieht meine Sprache nicht mehr Sprache X ähnlich, sondern einer völlig anderen Sprache Y.
Aber das ist eine der Sachen, die das Sprachbasteln so spannend machen. :-)
Why would one choose to invent a new language (aside from the whole ‘wildest academic dreams’ thing) rather than revive a ‘dead’ language or a dying one, like Cornish or Manx?
Das wurde in dem Interview (und auch in Christophes Kommentar zum Interview) ja schon hinreichend beantwortet. Aber da mir dieses Thema am Herzen liegt, gebe ich auch noch meinen Senf dazu. :-)
Erstens: Zum Erfinden einer neuen Sprache braucht man im Zweifelsfall weder besonders viel Zeit noch besonders viel Mühe. Und auch keine besondere Ausbildung. Viele von uns Sprachbastlern machen hauptberuflich etwas völlig anderes bzw. haben etwas völlig anderes studiert bzw. gelernt als ausgerechnet Sprachwissenschaft. Aber das ist auch durchaus in Ordnung, denn in den meisten Fällen ist die Sprachbastelei einfach nur ein Hobby und niemand erwartet von einem, daß die Sprache am Ende irgendwie „fertig“ oder „vollständig“ (oder auch nur benutzbar) wäre. Aber wenn man eine Sprache wiederbeleben oder vor dem Verschwinden retten bzw. vor dem Verschwinden schnell noch möglichst vollständig dokumentieren will, braucht man dazu erstens eine ganze Menge Zeit (wenn man’s richtig machen will, ist das ein Vollzeitjob, an dem man – meist zu mehreren – mindestens ein paar Jahre lang sitzt!) und zweitens eine ziemlich fundierte Fachausbildung. Ich habe zwar Sprachwissenschaften studiert – zwar Computerlinguistik und Vergleichende Sprachwissenschaft, was beides nicht so viel mit Spracherhalt oder -rettung zu tun hat, aber immerhin habe ich auch ein paar Scheine zum Thema linguistische Feldforschung und Sprachdokumentation –, aber das heißt auch nicht unbedingt, daß ich mir diese Art intensiver linguistischer Feldforschung zutrauen würde... Man muß diese mindestens-ein-paar-Jahre ja normalerweise auch in der betreffenden Sprachgemeinschaft verbringen, also im Zweifelsfalle beispielsweise in einem Indianerdorf im Amazonastiefland oder zumindest (um bei den Beispielen in der Frage zu bleiben) in einem Dorf in Cornwall oder auf der Insel Man. (Dorf? Ja, bedrohte Sprachen sind auf dem Lande eher erhalten als in den Städten.)
Zweitens: Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber manche Sprechergemeinschaften wollen aussterben. Beziehungsweise: Sie wollen etwas, was für Außenstehende so aussieht. Auf einer sprachwissenschaftlichen Mailingliste, die ich abonniert habe, haben wir unter anderem einen Sprachwissenschaftler irgendwo im Südwesten der USA, der die dortigen Indianersprachen erforscht. Der hat im Laufe seines Lebens schon einige Sachen erlebt... Beispielsweise erzählte er mal von einer Abstimmung innerhalb eines Stammes, wo es darum ging, ob in den High Schools der Gegend (die größtenteils von Stammesangehörigen besucht wurden) als erste (und für viele Schüler einzige) Fremdsprache Spanisch oder die (nur noch von Älteren gesprochene) Sprache des Stammes angeboten werden sollte, und die überwiegende Mehrheit der Leute war für Spanisch. – Ja, aber dann könnte die eigene Sprache doch aussterben, wenn die keiner mehr lernt? – Na und? Was nützt es, wenn unsere Sprache überlebt und wir alle arbeitslos sind, weil man in dieser Gegend heutzutage für viele Jobs nun mal ein gewisses Minimum an Spanisch (wegen der mexikanischen Touristen und Saisonarbeiter und so) können muß? – Er hatte auch schon mit Sprechergemeinschaften zu tun, die es zwar alles andere als gut fanden, daß ihre Sprache am Aussterben war, die aber andererseits ihre Sprache als so eng mit ihrer Kultur verbunden sahen, daß sie – weil sie ihre Kultur als ihre betrachteten, die für sie und nicht für irgendwelche Außenstehenden da war – das Aussterben der Sprache als das kleinere Übel empfanden und es wesentlich schlimmer gefunden hätten, wenn auf einmal irgendwelche fremden Sprachwissenschaftler und Anthropologen angefangen hätten, mit ihren dreckigen Fingern in ihrer schönen Sprache und Kultur herumzuwühlen. (So eine Einstellung ist anscheinend gar nicht so selten, vor allem, wenn die Sprache als irgendwie heilig empfunden wird, also z. B. als „die Sprache, in der wir mit unseren Göttern reden“ im Gegensatz zu der „Alltagssprache“ (z. B. Englisch oder Spanisch oder Französisch oder Arabisch oder Russisch, je nachdem, in welchem Teil der Welt man sich befindet), mit der man alles andere macht, also z. B. mit seiner Familie und seinen Freunden reden oder einkaufen. Wenn dann auf einmal irgend so ein Sprachforscher daherkommt und die Sprache dokumentieren will, kann es passieren, daß er zuallererst einmal angemotzt wird: red mit deinen Göttern gefälligst in deiner Sprache und laß unsere in Ruhe.)
Und drittens: Wenn wir jetzt alle aufhören, uns neue Sprachen auszudenken, ist damit ja noch nicht garantiert, daß all die plötzlich freigewordene Zeit und Energie dann auch wirklich in die Rettung bedrohter Sprachen fließt. Die meisten Leute würden stattdessen wohl eher ein anderes, ebenso „sinnfreies“, Hobby anfangen und statt Sprachen beispielsweise Modellflugzeuge basteln. Oder stricken lernen. Oder Orchestermusik komponieren. Oder mehr Sport treiben. Oder mehr Zeit damit verbringen, Löcher in die Luft zu starren... Anders ausgedrückt: Wenn ein Spielzeugeisenbahn-Enthusiast seine Spielzeugeisenbahn verschrottet, heißt das ja auch noch lange nicht, daß er sich jetzt stattdessen an die Lösung sämtlicher Probleme der Deutschen Bahn machen will... oder umgekehrt: Wenn mal wieder ein Zug unpünktlich ist und im Sommer die Klimaanlagen in den Wagen ausfallen und im Winter die Lokomotiven gar nicht erst anspringen, dann liegt das an allem möglichen, aber ganz bestimmt nicht daran, daß zu viele Leute ihre Zeit mit einer Spielzeugeisenbahn im Keller verplempern. ;-)
Who after all reads the Pope’s pronouncements in the original Latin?
OK, das war nur ein winziger Teil einer längeren Frage (in der es um alte Sprachen ging: soll man die lernen, wem bringt das was, usw.), aber ich konnte einfach nicht widerstehen. :-)
Ich. Ich lese päpstliche Verlautbarungen im lateinischen Original. Das heißt, wenn ich sie überhaupt lese (bin ja nicht katholisch und war es auch nie). Aber wenn ich sie lese, dann im Original.
Zu irgendwas muß so ein Latinum ja gut sein... ;-)
(Ich lese am liebsten alles im Original, wenn ich die Originalsprache halbwegs lesen kann. Ich habe schon viel zu viele und viel zu peinliche Übersetzungsfehler gesehen, um noch auf Übersetzungen vertrauen zu wollen, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt... Aber das ist ein anderes Thema.)
OK, strenggenommen müßte man also sagen: Lojban bietet niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen, sondern benachteiligt alle Leute gleichermaßen, und zwar gleichermaßen extrem. Selbst Leute wie ich, die sich (z. B. im Studium) intensiv mit formaler Logik auseinandergesetzt haben, können diese Sprache ganz schön knifflig finden...
Das Problem mit dem Englischen als internationalem Kommunikationsmedium ist ja, daß diese Sprache nicht kulturneutral ist – es gibt ja leider einige, sagen wir mal, ziemlich durchsetzungsfähige englischsprachige Kulturen, die in manchen Teilen der Welt ja durchaus auch als „imperialistisch“ wahrgenommen werden (egal, ob es nun um das British Empire oder um die USA oder um sonstwen geht).
Aus einem ähnlichen Grund finde ich auch Esperanto nicht geeignet; die Esperanto-Kultur kann man zwar nur mit viel bösem Willen als „imperialistisch“ oder sonstwie „böse“ definieren, aber es gibt eine Esperanto-Kultur, und auch wenn die so geartet ist, daß da jeder gerne mit reindarf (aber niemand dazu seine ursprüngliche Kultur aufgeben muß): nicht jeder will da auch mit rein. (Ich persönlich finde die Esperanto-Kultur als Kultur nicht besonders anziehend, aber die Sprache gefällt mir. Vor allem die Ableitungsmorphologie. Aber ich bin ja auch bekennender Fan von Ableitungsmorphologie.)
Nein, wenn Lojban ausscheidet, ist mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache Tok Pisin. Gut, da hängt auch eine Kultur mit dran, aber wenigstens ist das eine relativ kleine und nicht so weit verbreitete Kultur, die wohl niemand als groß und böse und bedrohlich und imperialistisch (oder so) empfinden wird. Außer womöglich den Bewohnern gewisser Bergtäler in Neuguinea. Mist, jetzt habe ich doch wieder dieses blöde Imperialismusproblem... Aber wenigstens würde mit TP als internationalem Kommunikationsmedium der größte Teil der Menschheit – also die Nicht-Muttersprachler – gleichermaßen benachteiligt werden. Allerdings nicht so stark wie mit Lojban. Denn TP hat als typische Kreolsprache eine recht einfach zu durchschauende Grammatik und auch eine recht unkomplizierte Phonologie und Orthographie, ist also mit relativ geringem Aufwand zu lernen (im Vergleich zum Englischen mit seiner unmöglichen Orthographie oder zum Spanischen mit diesen ganzen bescheuerten Verbformen) und dennoch sehr ausdrucksfähig. Und – was in solchen hypothetischen Weltsprach-Diskussionen selbstverständlich der aller-allerwichtigste Punkt ist – ich finde diese Sprache einfach schön. :-)
Ich persönlich finde die englische Orthographie übrigens eigentlich gar nicht so „unmöglich“, sondern eher spannend, und dasselbe gilt für die Verbformen im Spanischen und anderen romanischen Sprachen. Allerdings ist mir natürlich schon klar, daß „spannend“ nicht ganz dasselbe ist wie „leicht zu lernen“. Außerdem bin ich ja, wie gesagt, Sprachwissenschaftlerin und habe als solche vermutlich sowieso eine etwas höhere Schmerzschwelle für solche Sachen als die meisten anderen Leute. ;-)
Meine eigenen Kunstsprachen haben typischerweise keine besonders komplizierte Orthographie – so etwas ist einfach zu schwierig zu konzipieren, und ich stecke meine Energie stattdessen lieber in die Grammatik. Aber komplexe Verbformen bzw. Verbsysteme denke ich mir schon sehr gerne aus... ähm, ja, wie gesagt: ich stecke meine Energie gerne in die Grammatik.
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