Donnerstag, 18. November 2010
Neuschnee
Themen: Neuro-Psycho, Finnland
So, seit gestern bin ich krankgeschrieben. „Depressio mentis gravis“. (Finnische Ärzte stellen ihre Diagnosen gerne auf Latein.)

Hmm, ich hatte immer gedacht, „gravis“ wäre die Art von Depression, mit der man sofort ins Krankenhaus müßte. Aber ich habe „nur“ eine Krankschreibung und zwei Rezepte (eins für ein Antidepressivum und eins für ein Beruhigungsmittel, damit ich nachts ordentlich schlafen kann) bekommen.

Und dabei mal wieder gemerkt, daß mein Psychiater eine typische Arzthandschrift hat. Die Rezepte konnte ich gar nicht entziffern; zum Glück schien die Frau in der Apotheke mit sowas Erfahrung zu haben. Jedenfalls hat sie, ohne mit der Wimper zu zucken, eifrig Sachen in ihren Computer getippt und mir dann die Medikamente überreicht, komplett mit leserlichen Kleberchen, was wann wie einzunehmen ist (also im Prinzip mit dem, was der Arzt aufs Rezept gekritzelt hatte). (Hierzulande kriegt man bei verschriebenen Arzneimitteln immer so Kleberchen drauf. Meist funktioniert das ganz gut, aber manchmal passieren so Sachen wie damals, als ich bei einem Arzt in Behandlung war, der mit mir Deutsch redete und deshalb meinte, den Teil des Rezepts, der auf das Kleberchen draufkommt, auch auf deutsch schreiben zu müssen. Also damit ich bei der Einnahme ganz sicher nichts falsch mache. Wenn ich daran denke, was die Apotheker da teilweise „entziffert“ und dann aufs Kleberchen gedruckt haben... Aber ich schweife ab. Jedenfalls konnte ich den Mann irgendwann davon überzeugen, daß ich Sachen wie „morgens und abends je eine Tablette mit etwas Flüssigkeit einnehmen“ auch auf finnisch verstehen kann, und von da an gab es keine gar putzigen Schreibfehler mehr auf den Kleberchen.)

Das Krankschreibungsformular hat er übrigens in Blockschrift ausgefüllt. Naja gut, er ist ja schon etwas länger Arzt und hat vermutlich die Erfahrung gemacht, daß Apotheker durchaus in der Lage sind, Arzthandschriften zu entziffern, andere Leute (z. B. Angestellte von Krankenkassen, Leute in Sekretariaten und wer so eine Krankschreibung halt sonst noch so zu sehen kriegt) aber womöglich nicht.

Jetzt bin ich bis Mitte Dezember krankgeschrieben. Kurz vor Ablauf der Zeit habe ich einen weiteren Arzttermin; dann wird sich zeigen, ob die Krankschreibung verlängert wird. (Nach dem, was der Arzt mir über die Wirkungsweise des Antidepressivums erzählte – seeeeehr langsam, wie eigentlich die meisten Antidepressiva – halte ich eine Verlängerung für wahrscheinlich. Aber man wird sehen.)

(Der Arzt hat übrigens auf die Krankschreibung noch als Kommentar draufgeschrieben, daß ich nach seiner professionellen Meinung schon ziemlich lange arbeitsunfähig war, bevor ich zu ihm kam. Keine Ahnung, ob das irgendwelche offiziellen Auswirkungen hat oder ob er es einfach nur so hingeschrieben hat.)

Heute morgen war ich dann bei der städtischen Psycho-Krisen-Stelle und hatte ein ziemlich gutes Gespräch mit einer Frau dort. Sie hat mir u. a. einige Tips gegeben, wo ich konkrete Hilfestellung zu bestimmten konkreten Problemen bekommen kann, und mir außerdem empfohlen, mich auf das zu besinnen, was ich trotz Depression hinkriege (immerhin schaffe ich es, jeden Tag sogar noch vor der Mittagszeit aus dem Bett zu kommen und zu frühstücken und mich an vielen Tagen sogar anzuziehen – das schaffen nicht alle Depressiven!), und mir das zu verzeihen, was ich nicht hinkriege. (Ich muß nicht jedem zeitnah antworten, bloß weil der mich gerade angemailt hat. Selbst wenn es ein alter Freund ist. Ich muß nicht immer ans Telefon gehen, bloß weil das grade klingelt.) Sie meinte, vielleicht will mein Körper im Moment ja eine Weile „Pause machen“ und eine eher ruhige Kugel schieben und dann auch nur mit ganz wenigen Leuten kommunizieren müssen; ich sollte das einfach mal ein paar Tage oder womöglich auch Wochen lang zulassen. Und bis dahin sollte das Antidepressivum ja schon angefangen haben zu wirken, und vielleicht kann ich’s dann ja sowieso schon wieder. Es wird irgendwann besser werden, ich sollte mir halt bloß nicht selber ein Bein stellen, indem ich versuche, mir zur Genesung einen Termin zu setzen oder sowas in der Art. Und bis dahin einfach daran denken: ich habe einen halbwegs geregelten Tagesablauf, ich nehme jeden Tag irgendwelche halbwegs sinnvolle Nahrung zu mir, das bedeutet, daß ich Sachen auf die Reihe kriege.

Danach war ich noch beim Arbeitsamt; dort weiß man jetzt, daß ich bis auf weiteres nicht „belästigt“ werden darf. Jetzt muß ich nur noch der Krankenkasse mitteilen, daß sie anfangen dürfen, mir Kranken-Tagegeld zu zahlen...

. . .

Zu dieser Beratungsstelle hinzukommen, war heute morgen nicht ganz einfach. Es hat nämlich in der Nacht angefangen zu schneien (und bis jetzt noch nicht aufgehört). Die finnischen Autofahrer – vor allem die, die von Berufs wegen fahren, z. B. die Busfahrer – lassen sich zwar auch von größeren Mengen Schnee (als ich heute morgen aus dem Haus ging, hatte es fast 10 cm!) nicht so schnell ins Bockshorn jagen wie die deutschen, aber am ersten Schneetag jedes Winters gibt es vormittags immer ein kleines bißchen Verkehrschaos. Aber nur ein kleines bißchen; ich kam fast pünktlich zu meinem Termin und die Heimfahrt klappte auch recht gut.

Die Strecke, die der Bus fuhr, war total schön; es ging ziemlich lang über Landstraßen, das heißt, heute halt zwischen verschneiten Feldern und Wäldern durch. Herrlich. :-)

Aus dem fahrenden Bus heraus kann man ja nicht so gut fotografieren, aber hier sind ein paar Impressionen aus der Stadt:

[Bild: Weihnachtsbeleuchtung in der Fußgängerzone in Tikkurila]

[Bild: eingeschneite Hortensien]