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Donnerstag, 19. August 2010
Glasperlenprojekte
Themen: Handarbeit
sileas, 21:45h
Ich hatte ja von Anfang an vorgehabt, hier im Blog auch mal etwas über Glasperlen zu schreiben. Perlennähen und -weben war damals nämlich meine hauptsächliche Handarbeit.
Inzwischen hat sich das unter anderem dank dieser Frau hier stark in Richtung Weben und Knüpfen verschoben...
Aber jetzt will ich doch endlich mal ein paar meiner Perlen-Kunstwerke online stellen. Auch wenn ich seit Monaten keine Glasperle angerührt habe – also für geeignete Werte von „angerührt“, denn auch wenn ich im Moment nicht mit Perlen arbeite, berühre ich sie doch ab und zu, denn wie man weiter unten sehen kann, befinden sich einige dieser Perlen an solchen Sachen wie Haarspangen oder Armbändern. :-)
Falls sich jemand für die technischen Details interessiert: Die kleinen runden Perlen sind größtenteils Größe 11/0, haben also einen Durchmesser von knapp 2 mm. Wie man auf den Bildern sieht, sind die Perlen meiner Lieblingsmarke (öhm... irgendwas Chinesisches) nicht alle identisch, weder von der genauen Größe und Form noch von der Farbe her. Manche Leute würden vermutlich sagen „igitt, wie ungleichmäßig!“. Für mich dagegen ist das Ergebnis „angenehm organisch“. Deshalb mag ich diese Marke so gerne, auch wenn ich mir den Namen nie merken kann... (Genauer: es ist einer der Gründe. Der andere ist, daß es diese Perlen in relativ großen Packungen – je nach Typ 100 oder 200 Gramm – und in relativ bunten Farbmischungen zu kaufen gibt.)
Als Garn habe ich dickes Nähgarn benutzt, und zwar das in Finnland so beliebte „Bärengarn“.. . .
Zuerst einmal sind hier drei Haarspangen, die ich mit Glasperlen geschmückt habe.
Das Muster für die mittlere stammt aus „The Beader’s Bible“ von Claire Crouchley, die der anderen beiden aus „1000 Great Cross Stitch Designs“ von Maria Kelly. (Ja, aus einem Kreuzstichmusterbuch. Das Anordnungsschema der „Farbpunkte“ ist ja dasselbe, egal, ob man zum Erzeugen des Musters nun Glasperlen oder Stickgarn verwendet.)
Nachdem ich die Perlen alle zusammengenäht hatte, leimte ich das Ergebnis auf dünne Pappe und die dann auf so einen Haarspangen-Rohling, wie man sie in Bastelbedarfgeschäften kaufen kann.
Die drei Haarspangen gibt’s hier noch einmal in der Nahansicht. (Ich wollte in diesen Eintrag jetzt nicht zu viele Fotos packen, damit er nicht zu lang wird oder wegen der vielen Fotos zu lange zum Laden braucht...). . .
Dieses Armband hier sieht komplizierter aus, als es eigentlich ist:
Das Muster bzw. die Herstellungsweise ist leider ohne Diagramme (oder Handbewegungen) nicht leicht zu beschreiben, aber da ich dieses oder ganz ähnliche Muster schon in mehreren verschiedenen Büchern gefunden habe, gehe ich davon aus, daß es relativ verbreitet ist.
Man kann statt der langen Röhrenperlen auch eine passende Anzahl (pro Röhrenperle 5–6) kleine runde Perlen benutzen, aber mit den Röhrenperlen kommt man wesentlich schneller voran. ;-)
Das Armband (und auch den selbstgemachten Verschluß) gibt es hier in der Nahansicht.. . .
Und dieses Armband hier folgt demselben Muster wie das aller-allererste Armband, das ich mir seinerzeit im Glasperlenkurs gemacht habe. Damals war ich noch der Meinung, ich hätte das Muster selber erfunden. ;-) Es ist ein ganz einfaches Zickzackmuster, bei dem die Schnur durch bestimmte Perlen (in diesem Armband: die weißen) mehrmals durchgezogen wird, damit eine Struktur entsteht.
Dieses Armband habe ich sozusagen mehrmals, nämlich in verschiedenen Farbkombinationen. Die Nahansicht (nur von dieser bestimmten Farbkombination) gibt es hier.
. . .
Dieses Armband hier ist sehr schnell und ganz ohne Plan entstanden. Ich habe einfach ungefähr 3 m Draht (Durchmesser ca. 0,5 mm) genommen und wild Glasperlen in allen möglichen Größen, Formen und Farben draufgefädelt und nach jeweils einem oder zwei Zentimetern verdreht.
Das Armband braucht keinen Verschluß, denn ich wickle es mir einfach so ums Handgelenk. :-)
Natürlich habe ich auch von diesem Armband Nahaufnahmen gemacht, auf denen man hoffentlich gut sehen kann, wie das mit „allen möglichen Perlen durcheinander“ und mit dem Verdrehen funktioniert.. . .
Und das hier ist ein Stück, das einmal Teil einer größeren Arbeit werden soll. (Beziehungsweise werden sollte. Ich habe ja, wie gesagt, seit Monaten keine Perlen mehr angerührt. Aber vielleicht wird’s ja noch was... und selbst wenn nicht, ist es jedenfalls hübsch.)
Die Vorlage stammt aus „The Beader’s Bible“. Falls man’s nicht so gut erkennen kann: das Motiv ist (laut Buch) eine Kornblume.
In der Nahaufnahme kann man vielleicht erkennen (oder zumindest erraten), daß bei dieser Technik jede einzelne Perle an ihren sämtlichen Nachbarperlen (Nachbar links, Nachbar rechts, Nachbar oben, Nachbar unten) festgenäht ist. So erhält man ein Gewebe, das einerseits recht flexibel, aber andererseits auch sehr stabil ist. Die drei Haarspangen oben habe ich mit derselben Technik genäht.
. . .
Auf die Muster erhebe ich übrigens keinen Copyright-Anspruch; wie denn auch, denn zumindest zum Teil stammen sie ja gar nicht von mir. Und selbst die Sachen, die mir unabhängig eingefallen sind, sind nicht „meine“ – oder wie sonst sollte man erklären, daß solche und ähnliche Modelle immer wieder in der Fachliteratur auftauchen, als mit „das ist Allgemeingut/Volksgut/irgendein anderes Synonym für ‚das gab’s schon immer‘“?
Eigentlich ist das Armband aus Draht und Glasperlen das einzige Stück hier, das ich weder nach irgendeiner Anleitung angefertigt noch später irgendwo gesehen habe. Wenn es jemandem gefällt, darf derjenige es von mir aus gerne nachmachen oder sich davon inspirieren lassen... Nur zu, es macht Spaß, so einfach mit Draht und Perlen und ohne jeglichen Plan loszulegen. ;-)
Die Arbeit mit Perlen (mit oder ohne Draht) mit Plan macht allerdings auch Spaß. :-)
Inzwischen hat sich das unter anderem dank dieser Frau hier stark in Richtung Weben und Knüpfen verschoben...
Aber jetzt will ich doch endlich mal ein paar meiner Perlen-Kunstwerke online stellen. Auch wenn ich seit Monaten keine Glasperle angerührt habe – also für geeignete Werte von „angerührt“, denn auch wenn ich im Moment nicht mit Perlen arbeite, berühre ich sie doch ab und zu, denn wie man weiter unten sehen kann, befinden sich einige dieser Perlen an solchen Sachen wie Haarspangen oder Armbändern. :-)
Falls sich jemand für die technischen Details interessiert: Die kleinen runden Perlen sind größtenteils Größe 11/0, haben also einen Durchmesser von knapp 2 mm. Wie man auf den Bildern sieht, sind die Perlen meiner Lieblingsmarke (öhm... irgendwas Chinesisches) nicht alle identisch, weder von der genauen Größe und Form noch von der Farbe her. Manche Leute würden vermutlich sagen „igitt, wie ungleichmäßig!“. Für mich dagegen ist das Ergebnis „angenehm organisch“. Deshalb mag ich diese Marke so gerne, auch wenn ich mir den Namen nie merken kann... (Genauer: es ist einer der Gründe. Der andere ist, daß es diese Perlen in relativ großen Packungen – je nach Typ 100 oder 200 Gramm – und in relativ bunten Farbmischungen zu kaufen gibt.)
Als Garn habe ich dickes Nähgarn benutzt, und zwar das in Finnland so beliebte „Bärengarn“.
Nachdem ich die Perlen alle zusammengenäht hatte, leimte ich das Ergebnis auf dünne Pappe und die dann auf so einen Haarspangen-Rohling, wie man sie in Bastelbedarfgeschäften kaufen kann.
Die drei Haarspangen gibt’s hier noch einmal in der Nahansicht. (Ich wollte in diesen Eintrag jetzt nicht zu viele Fotos packen, damit er nicht zu lang wird oder wegen der vielen Fotos zu lange zum Laden braucht...)
Man kann statt der langen Röhrenperlen auch eine passende Anzahl (pro Röhrenperle 5–6) kleine runde Perlen benutzen, aber mit den Röhrenperlen kommt man wesentlich schneller voran. ;-)
Das Armband (und auch den selbstgemachten Verschluß) gibt es hier in der Nahansicht.
Natürlich habe ich auch von diesem Armband Nahaufnahmen gemacht, auf denen man hoffentlich gut sehen kann, wie das mit „allen möglichen Perlen durcheinander“ und mit dem Verdrehen funktioniert.
Die Vorlage stammt aus „The Beader’s Bible“. Falls man’s nicht so gut erkennen kann: das Motiv ist (laut Buch) eine Kornblume.
Eigentlich ist das Armband aus Draht und Glasperlen das einzige Stück hier, das ich weder nach irgendeiner Anleitung angefertigt noch später irgendwo gesehen habe. Wenn es jemandem gefällt, darf derjenige es von mir aus gerne nachmachen oder sich davon inspirieren lassen... Nur zu, es macht Spaß, so einfach mit Draht und Perlen und ohne jeglichen Plan loszulegen. ;-)
Die Arbeit mit Perlen (mit oder ohne Draht) mit Plan macht allerdings auch Spaß. :-)
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Samstag, 14. August 2010
Artikel über Kunstsprachen in der New York Times – und: wie bastelt man eigentlich eine Sprache?
Themen: Sprachen
sileas, 15:05h
(Vorsicht, dieser Eintrag ist sogar für meine Begriffe ziemlich lang!)
Wie ich gerade herausgefunden habe, gibt es in einem Blog auf der NYT-Site (also strenggenommen nicht direkt in der New York Times) einen interessanten Artikel über Kunstsprachen. <freu>
Der Artikel ist hier. Aber Vorsicht, auf der Seite (bzw. in dem Blog) gibt es irgendein speicherfressendes JavaScript-Element, das meinen Firefox immer gaaanz langsam werden läßt... Ich konnte das Interview erst richtig (also ohne bei jedem Nach-unten-Weiterscroll-Vorgang mindestens eine halbe Minute warten zu müssen) lesen, nachdem ich JavaScript deaktiviert und die Seite neu geladen hatte. Und dabei ist mein Rechner gerade mal ein Jahr alt und sollte eigentlich, wenn schon nicht auf dem neuesten Stand der Technik, doch zumindest hinreichend gut bzw. schnell sein. :-(
(Kleiner Einschub, falls sich jetzt jemand wundert: Der dedizierte Internet-Rechner, der ja eigentlich deutlich älter als ein Jahr war, ist immer noch kaputt und ich habe mir immer noch keinen neuen zugelegt und gehe deshalb immer noch mit meinem vor genau einem Jahr und einer Woche gekauften Nicht-Internet-Rechner online – beziehungsweise, da ich natürlich die strikte Online/Offline-Trennung meiner Daten nicht aufgeben will: ich gehe mit der Hardware meines Nicht-Internet-Rechners online und benutze zum Booten nicht die Festplatte des Rechners (die ich im Online-Zustand nicht einmal gemountet habe), sondern den guten alten Ubuntu-Live-USB-Stick. Und zum Daten-Abspeichern eine externe Platte. Aber zurück zum Thema.)
Der Artikel ist schon ein paar Monate alt. Ich hatte davon seinerzeit gar nichts mitbekommen (<schäm>) und ihn erst jetzt über einen Link im Christophoronomicon entdeckt...
Und um ganz genau zu sein: Eigentlich ist es gar kein Artikel im üblichen Sinne, sondern ein Interview. Der Blogautor hatte seine Leser aufgefordert gehabt, Fragen über Kunstsprachen einzuschicken, und diese Fragen wurden dann zwei Experten vorgelegt, nämlich Arika Okrent (Verfasserin des Buches „In the Land of Invented Languages“) und Paul Frommer (Urheber der Na’vi-Sprache, also der Sprache der Außerirdischen im Film Avatar).
Sehr viel mehr muß ich zu diesem Interview gar nicht sagen, denn alles, was ich dazu hätte sagen wollen (es ist lesenswert, weil... erstens... zweitens... drittens... usw.), wurde im Christophoronomicon schon gesagt. Insgesamt ist es jedenfalls sehr interessant und – ungewöhnlich für die Mainstream-Presse – vom Grundton her eher positiv. Sehr positiv. Allerdings auch sehr lang. Nehmt euch Zeit zum Lesen. :-)
(Und schaltet vorher vielleicht euer JavaScript ab... :-P)
Jetzt bleibt mir nur noch, es Christophe nachzutun und meine Antworten zu ausgewählten Fragen aufzuschreiben. Rein zufällig sind das fast die gleichen Sachen, die auch Christophe für sich beantwortet hat, nämlich die, die aus der Sicht eines beliebigen Sprachbastlers halbwegs relevant sind (im Gegensatz zu den eher allgemein sprachwissenschaftlichen Fragen oder zu denen, die sich auf eine ganz bestimmte Sprache beziehen, die weder von ihm noch von mir erfunden wurde; Na’vi oder Esperanto oder Toki Pona oder was auch immer).
What is the process for ‘making up’ a language?
Das macht jeder etwas anders. Ich gehöre zu den Leuten, die eher systematisch vorgehen – naja, ich habe ja auch mal ein sprachwissenschaftliches Fach studiert und so unter anderem eine Systematik zur Beschreibung von Sprachen gelernt, die sich auch ganz prima zur Beschreibung (und Ausarbeitung) neuer Sprachen eignet...
Ich fange normalerweise mit einer Idee an. Meistens geht es dabei um irgendeine Eigenschaft oder (wahrscheinlicher) Kombination von Eigenschaften, die ich gerade irgendwie interessant finde. Also beispielsweise: „Ich finde es total spannend, wie man im Arabischen alle möglichen Wörter aus relativ simplen Wurzeln herleiten kann, sowas will ich auch machen, aber mit einem völlig anderen Lautsystem, weil ich zufällig gerade total auf australische Sprachen stehe (oder weil ich gerade endlich gelernt habe, wie man Klicks produziert, oder weil mein Kumpel gerade an einer Sprache ohne Nasale bastelt und ich dadurch auf die Idee gekommen bin, daß ich jetzt unbedingt eine ohne Frikative haben will, oder...).“
Oder vielleicht auch etwas völlig anderes, wie z. B. „Wie sähe Esperanto wohl aus, wenn es ergativisch wäre und phonemische Töne hätte?“
Oder so etwas in der Art.
Wenn ich auf diese Weise beschlossen habe, mir eine neue Sprache auszudenken, fange ich mit den kleinsten Bausteinen an, sozusagen mit den Atomen. Bei einer Sprache ist das die Phonologie, also die Menge der Laute, die es in der Sprache gibt (Phonemsystem), und Regeln darüber, wie diese Laute sich verhalten, wenn sie z. B. mit bestimmten anderen Lauten zusammentreffen (Phonotaktik), oder was für Lautveränderungen es womöglich bei der Flexion von Wörtern oder bei der Wortbildung geben kann (Morphophonologie).
Als nächstes kommt die Grammatik. Will ich eine Morphologie haben oder soll meine Sprache ganz isolierend sein? Und was für eine Morphologie? Was für grammatische Informationen sollen durch solche Sachen wie Flexion ausgedrückt werden – will ich beispielsweise Zeitformen der Verben lieber wie im Lateinischen bilden, indem ich das Wort flektiere (tangere „berühren“ → Imperfekt tangēbam, Perfekt tetigī, Futur tangam), oder will ich lieber wie im Deutschen bestimmte Zeitformen durch Flexion ausdrücken und andere durch Funktionswörter oder Hilfsverben (lieben → Imperfekt ich liebte, Perfekt ich habe geliebt, Futur ich werde lieben)? Oder womöglich wie im Mandarin alles durch Funktionswörter ausdrücken (keine Beispiele, da mein Mandarin praktisch nichtexistent ist)? Und welche Informationen sollen überhaupt ausgedrückt werden und welche nicht oder nur optional? (Im Deutschen kann man ja beispielsweise, wenn man über die Zukunft redet, auch Gegenwartsformen der Verben benutzen; man kann sich also aussuchen, ob man die Information „das findet in der Zukunft statt“ explizit ins Verb einbaut oder nicht. Und im Russischen wird in Verbformen das Geschlecht des Subjekts angezeigt, allerdings nur in Singularformen in der Vergangenheit: mit einem Satz wie „я гуляла“ drücke ich ja nicht nur (die wörtliche Übersetzung) „ich ging spazieren“ aus, sondern liefere außerdem die Information „ich bin weiblich“. Wäre ich männlich, so würde ich sagen „я гулял“.)
Da gibt es ziemlich viele Möglichkeiten und entsprechend viele Kombinationen. :-)
Sobald ich ein bißchen Grammatik beisammen habe, fange ich meist schon an mit den ersten einfachen Beispielsätzen. Die helfen mir auch dabei, Unklarheiten aufzuspüren und zu beseitigen und meine Ideen zu testen – wenn sich herausstellt, daß das schöne Flexionsschema oder die Ableitungsendung, die ich mir gerade ausgedacht habe, im Satzzusammenhang häßlich klingt oder bei leider allzu vielen Wortstämmen zu unaussprechbaren Lautverbindungen führt, wird sie halt umgebaut.
Ach ja, an dieser Stelle habe ich mir auch schon ein paar Wörter ausgedacht. Die ersten kommen dadurch zustande, daß solche Sachen wie Flexionsschemata ja nicht im luftleeren Raum existieren können, sondern die Endungen (oder auch Vorsilben oder... naja, je nachdem) irgendwo angehängt werden müssen. Durch die Beispielsätze kommen dann auch noch Wörter hinzu, die ich nicht unbedingt nur für die reine Morphologie brauche, also beispielsweise Adverbien; oder Wörter, die ich noch nicht brauche. Und natürlich auch noch mehr Substantive und Verben als nur die, die ich für die erste Beschreibung meiner Flexionsschemata brauche (sagen wir mal: eins pro Flexionsklasse), weil es mit den Beispielsätzen ja ziemlich schnell langweilig wird, wenn ich immer nur (angenommen, ich habe eine Sprache mit drei Geschlechtern wie im Deutschen, die jeweils auf eine eigene Weise flektiert werden) über dieselben drei Protagonisten: DER Hund, DIE Katze und DAS Meerschweinchen reden muß.
Außerdem komme ich durch die Beispielsätze natürlich auch auf neue grammatische Kategorien und Konstruktionen, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. (Einfaches Beispiel: Ich weiß schon, ob und wie Substantive und Verben flektiert werden; während ich mir meinen ersten Beispielsatz ausdenke, muß ich zuerst einmal die Frage „steht das Subjekt vor oder hinter dem Verb oder ist beides möglich?“ beantworten. Für den nächsten oder übernächsten Satz dann vielleicht auch schon „wo im Satz dürfen Adverbien stehen?“.)
Und dann fällt mir siedendheiß ein, daß ich natürlich mal wieder vergessen habe, daß zur Grammatik ja nicht nur die Morphologie gehört, sondern auch die Syntax. Und dann muß ich mich erst einmal hinsetzen und mir ein paar Gedanken über Satzbau, Wortstellung u. ä. machen.
Bis dahin habe ich meist auch schon ein halbwegs brauchbares Schriftsystem. Meine ersten Schritte mache ich normalerweise mit dem IPA, dem internationalen phonetischen Alphabet, da sich damit wirklich alle Laute schriftlich ausdrücken lassen, die ich mir nur wünschen kann. Aber mit diesem System kann man nicht so richtig gut schreiben, weder von Hand noch mit dem Computer. Oder jedenfalls keine längeren Texte. Oder auch nur ganze Sätze. Sobald also meine Phonologie halbwegs steht, fange ich an, darüber nachzudenken, wie ich diese Laute halbwegs sinnvoll mit einfacheren Zeichen schreiben kann. Meistens denke ich mir in meinem jugendlichen Überschwang gleich mehrere Schriftsysteme aus, die verschiedene Zwecke haben, beispielsweise ein reines ASCII-System (falls ich die Sprache mal einfach so auf der Tastatur herunterhacken will, ohne groß über Diakritika und Tastenkombinationen nachdenken zu müssen) und eins mit Diakritika und womöglich noch ein paar Sonderzeichen (aus dem IPA oder einem fremden Alphabet wie z. B. dem griechischen geklaut) zum Schreiben mit der Hand.
(Eine eigene Schrift habe ich mir bis jetzt für keine meiner Sprachen ausgedacht; nur Transkriptionen, also Systeme, mit denen ich diese oder jene Sprache mit unserer (lateinischen) Schrift oder auch einer anderen (aus irgendeinem Grund lande ich früher oder später immer beim kyrillischen Alphabet, bleibe aber nicht unbedingt dabei) oder einer Mischform (z. B. kyrillische Schrift mit ein paar Lateinbuchstaben) schreiben kann. Das mag damit zu tun haben, daß ich zwar etliche Schriftsysteme mehr oder weniger flüssig lesen, aber nur zwei – Lateinisch und Kyrillisch – auch richtig flüssig schreiben kann.)
Und dann kommt der erste Belastungstest. Dann fange ich nämlich an, mir mehr oder weniger systematisch Sätze auszudenken. Meist drehen die sich um etwas, was gerade in meinem Alltag passiert. (Da Reisen mich aus irgendeinem Grunde inspirieren, habe ich bergeweise Beispielsätze, in denen es darum geht, daß ich gerade im Flughafen auf den Abflug warte oder was ich heute schon alles vom Zug aus gesehen habe.) Mit denen baue ich mir so nach und nach die wichtigsten Bestandteile der Grammatik auf, unter anderem „Baupläne“ für verschiedene Satzarten (Frage, Nebensatz, überraschter Ausruf usw. usf.).
Da in meinen Beispielsätzen irgendwann auch Namen vorkommen (z. B. der Ort, wo ich herkomme oder hinreise, oder Leute, die ich besuchen will oder denen ich gerade eine Postkarte geschrieben habe – was einem auf einer Reise halt so passiert), denke ich mir dann auch Regeln aus, wie Namen in diese neue Sprache übernommen werden: werden sie lautlich angepaßt (und wenn ja: wie?) oder übersetzt (Neustadt → „neue Stadt“) oder vielleicht eine Mischung aus beidem (München → „kleines Mün“, was immer ein Mün auch sein mag)? Wenn mich der Hafer sticht, bietet sich hier natürlich die eine oder andere Gelegenheit zu absichtlichen Fehlübersetzungen (z. B. England → „enges Land“ oder Andreas → „der andere“).
So nimmt das Ganze also nach und nach Gestalt an... :-)
Übrigens: Wenn jemand eine eigene Sprache erfinden will und sich Sorgen macht, er könne dabei irgend etwas Wichtiges vergessen, kann er sich mit Büchern helfen, die eigentlich für die linguistische Feldforschung gedacht sind (also für eine Situation, in der ein Sprachwissenschaftler irgendwohin reist, wo eine Sprache gesprochen wird, zu der es noch kein Wörterbuch und keine Grammatikbeschreibung usw. gibt, und diese Sprache dann von den Muttersprachlern lernt und dieses noch nicht vorhandene Material selber schreibt). Viele der Sprachbastler, die ich kenne, arbeiten mit dem Buch „Describing Morphosyntax“ von Thomas E. Payne. Es gibt aber sicher auch noch andere. (Auch auf deutsch? Keine Ahnung. Tut mir leid.) Wem das zu wissenschaftlich ist, der möge sich Mark Rosenfelders „Language Construction Kit“ ansehen, von dem ich hier ja neulich schon berichtet habe. Und wer sich erst einmal online umsehen will, bevor er ein Buch kauft (oder in der nächstgelegenen Uni-Bibliothek per Fernleihe bestellt), findet auf der Homepage der Language Creation Society einige brauchbare Links. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aus dieser Liste drei empfehlen: Mark Rosenfelders (kürzeres, elektronisches statt papiernes) Language Construction Kit, von dem es auch eine sehr gute deutsche Übersetzung von Carsten Becker gibt; Pablo David Flores’ How to create a language; und Rick Morneaus Essays on Language Design.
Für jemanden, der schon recht solide sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse hat und nun möglichst schnell einen Überblick über möglichst viele möglichst (auch) exotische Sachen bekommen will, die es in diversen Sprachen so gibt, ist vielleicht dieses Buch hier interessant: „The Languages of Native North America“ von Marianne Mithun. Kaum zu glauben, was für eine Vielfalt von grammatischen und phonologischen Features (und Kombinationen davon) es in diesen – leider zum größten Teil bereits ausgestorbenen oder zumindest vom Aussterben bedrohten – Sprachen gibt... Von diesem Buch wurde ich schon ziemlich oft beim Sprachbasteln inspiriert. :-)
Do you invent a language from scratch without using one or more existing languages as models, or do you base the syntax or grammar on the syntax or grammar of an existing language?
Ja. :-)
OK, das war jetzt gemein von mir, da einfach „ja“ zu antworten. Dieses Blog wird ja nicht nur von Leuten gelesen, die sich mit formaler Logik befassen und deshalb jetzt aufgrund meines „ja“ auf eine „X oder Y?“-Frage weise nicken werden.
Und wenn ich’s recht bedenke, läßt sich die Frage gar nicht so leicht beantworten.
Denn einerseits denke ich mir meine Sprachen am liebsten selber aus, andererseits denke ich dabei aber durchaus an die eine oder andere schon existente Sprache. Allerdings nehme ich nur sehr selten eine schon existente Sprache und baue eine neue Sprache ganz explizit auf dieser auf – obwohl das eine durchaus brauchbare Methode zum Sprachbasteln ist. Es gibt eine Menge schöne Kunstsprachen, die auf diese Weise entstanden sind (z. B. die diversen Romlangs, also auf dem Lateinischen und/oder den romanischen Sprachen basierende Kunstsprachen). Aber ich persönlich nehme mir schon existente Sprachen lieber zum Vorbild als zur Grundlage; das heißt, ich lasse mich zwar inspirieren („Sprache X hat einen schönen Klang“, „Sprache Y macht wahnsinnig spannende Sachen mit Adjektiven“), baue meine neue Sprache aber meist nicht zu stark auf einer anderen auf. Ich denke mir die Grammatik lieber selber aus (obschon meist zumindest in Teilen inspiriert von anderen Sprachen), übernehme – wenn überhaupt – nur kleine Teile des Vokabulars aus anderen Sprachen, und so weiter.
Da es schon unglaublich viele (natürliche und künstliche) Sprachen gibt, die unglaublich vielfältig sind, kommt am Ende natürlich meist doch etwas heraus, das auf die eine oder andere Weise an eine oder auch mehrere andere Sprachen erinnert. Allerdings ist das nicht unbedingt das, was ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Manchmal fange ich tatsächlich mit einer Zielsetzung in der Art von „ich will eine Sprache, die einen ähnlichen Charakter hat wie Sprache X“ an, aber dann passiert unterwegs dies und das und jenes (beziehungsweise: ich baue dies und das und jenes in meine Sprache ein, was es in Sprache X nicht gibt, weil ich ja auf keinen Fall einen „Zwilling“ oder „Klon“ von Sprache X bauen will) und am Ende sieht meine Sprache nicht mehr Sprache X ähnlich, sondern einer völlig anderen Sprache Y.
Aber das ist eine der Sachen, die das Sprachbasteln so spannend machen. :-)
Why would one choose to invent a new language (aside from the whole ‘wildest academic dreams’ thing) rather than revive a ‘dead’ language or a dying one, like Cornish or Manx?
Das wurde in dem Interview (und auch in Christophes Kommentar zum Interview) ja schon hinreichend beantwortet. Aber da mir dieses Thema am Herzen liegt, gebe ich auch noch meinen Senf dazu. :-)
Erstens: Zum Erfinden einer neuen Sprache braucht man im Zweifelsfall weder besonders viel Zeit noch besonders viel Mühe. Und auch keine besondere Ausbildung. Viele von uns Sprachbastlern machen hauptberuflich etwas völlig anderes bzw. haben etwas völlig anderes studiert bzw. gelernt als ausgerechnet Sprachwissenschaft. Aber das ist auch durchaus in Ordnung, denn in den meisten Fällen ist die Sprachbastelei einfach nur ein Hobby und niemand erwartet von einem, daß die Sprache am Ende irgendwie „fertig“ oder „vollständig“ (oder auch nur benutzbar) wäre. Aber wenn man eine Sprache wiederbeleben oder vor dem Verschwinden retten bzw. vor dem Verschwinden schnell noch möglichst vollständig dokumentieren will, braucht man dazu erstens eine ganze Menge Zeit (wenn man’s richtig machen will, ist das ein Vollzeitjob, an dem man – meist zu mehreren – mindestens ein paar Jahre lang sitzt!) und zweitens eine ziemlich fundierte Fachausbildung. Ich habe zwar Sprachwissenschaften studiert – zwar Computerlinguistik und Vergleichende Sprachwissenschaft, was beides nicht so viel mit Spracherhalt oder -rettung zu tun hat, aber immerhin habe ich auch ein paar Scheine zum Thema linguistische Feldforschung und Sprachdokumentation –, aber das heißt auch nicht unbedingt, daß ich mir diese Art intensiver linguistischer Feldforschung zutrauen würde... Man muß diese mindestens-ein-paar-Jahre ja normalerweise auch in der betreffenden Sprachgemeinschaft verbringen, also im Zweifelsfalle beispielsweise in einem Indianerdorf im Amazonastiefland oder zumindest (um bei den Beispielen in der Frage zu bleiben) in einem Dorf in Cornwall oder auf der Insel Man. (Dorf? Ja, bedrohte Sprachen sind auf dem Lande eher erhalten als in den Städten.)
Zweitens: Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber manche Sprechergemeinschaften wollen aussterben. Beziehungsweise: Sie wollen etwas, was für Außenstehende so aussieht. Auf einer sprachwissenschaftlichen Mailingliste, die ich abonniert habe, haben wir unter anderem einen Sprachwissenschaftler irgendwo im Südwesten der USA, der die dortigen Indianersprachen erforscht. Der hat im Laufe seines Lebens schon einige Sachen erlebt... Beispielsweise erzählte er mal von einer Abstimmung innerhalb eines Stammes, wo es darum ging, ob in den High Schools der Gegend (die größtenteils von Stammesangehörigen besucht wurden) als erste (und für viele Schüler einzige) Fremdsprache Spanisch oder die (nur noch von Älteren gesprochene) Sprache des Stammes angeboten werden sollte, und die überwiegende Mehrheit der Leute war für Spanisch. – Ja, aber dann könnte die eigene Sprache doch aussterben, wenn die keiner mehr lernt? – Na und? Was nützt es, wenn unsere Sprache überlebt und wir alle arbeitslos sind, weil man in dieser Gegend heutzutage für viele Jobs nun mal ein gewisses Minimum an Spanisch (wegen der mexikanischen Touristen und Saisonarbeiter und so) können muß? – Er hatte auch schon mit Sprechergemeinschaften zu tun, die es zwar alles andere als gut fanden, daß ihre Sprache am Aussterben war, die aber andererseits ihre Sprache als so eng mit ihrer Kultur verbunden sahen, daß sie – weil sie ihre Kultur als ihre betrachteten, die für sie und nicht für irgendwelche Außenstehenden da war – das Aussterben der Sprache als das kleinere Übel empfanden und es wesentlich schlimmer gefunden hätten, wenn auf einmal irgendwelche fremden Sprachwissenschaftler und Anthropologen angefangen hätten, mit ihren dreckigen Fingern in ihrer schönen Sprache und Kultur herumzuwühlen. (So eine Einstellung ist anscheinend gar nicht so selten, vor allem, wenn die Sprache als irgendwie heilig empfunden wird, also z. B. als „die Sprache, in der wir mit unseren Göttern reden“ im Gegensatz zu der „Alltagssprache“ (z. B. Englisch oder Spanisch oder Französisch oder Arabisch oder Russisch, je nachdem, in welchem Teil der Welt man sich befindet), mit der man alles andere macht, also z. B. mit seiner Familie und seinen Freunden reden oder einkaufen. Wenn dann auf einmal irgend so ein Sprachforscher daherkommt und die Sprache dokumentieren will, kann es passieren, daß er zuallererst einmal angemotzt wird: red mit deinen Göttern gefälligst in deiner Sprache und laß unsere in Ruhe.)
Und drittens: Wenn wir jetzt alle aufhören, uns neue Sprachen auszudenken, ist damit ja noch nicht garantiert, daß all die plötzlich freigewordene Zeit und Energie dann auch wirklich in die Rettung bedrohter Sprachen fließt. Die meisten Leute würden stattdessen wohl eher ein anderes, ebenso „sinnfreies“, Hobby anfangen und statt Sprachen beispielsweise Modellflugzeuge basteln. Oder stricken lernen. Oder Orchestermusik komponieren. Oder mehr Sport treiben. Oder mehr Zeit damit verbringen, Löcher in die Luft zu starren... Anders ausgedrückt: Wenn ein Spielzeugeisenbahn-Enthusiast seine Spielzeugeisenbahn verschrottet, heißt das ja auch noch lange nicht, daß er sich jetzt stattdessen an die Lösung sämtlicher Probleme der Deutschen Bahn machen will... oder umgekehrt: Wenn mal wieder ein Zug unpünktlich ist und im Sommer die Klimaanlagen in den Wagen ausfallen und im Winter die Lokomotiven gar nicht erst anspringen, dann liegt das an allem möglichen, aber ganz bestimmt nicht daran, daß zu viele Leute ihre Zeit mit einer Spielzeugeisenbahn im Keller verplempern. ;-)
Who after all reads the Pope’s pronouncements in the original Latin?
OK, das war nur ein winziger Teil einer längeren Frage (in der es um alte Sprachen ging: soll man die lernen, wem bringt das was, usw.), aber ich konnte einfach nicht widerstehen. :-)
Ich. Ich lese päpstliche Verlautbarungen im lateinischen Original. Das heißt, wenn ich sie überhaupt lese (bin ja nicht katholisch und war es auch nie). Aber wenn ich sie lese, dann im Original.
Zu irgendwas muß so ein Latinum ja gut sein... ;-)
(Ich lese am liebsten alles im Original, wenn ich die Originalsprache halbwegs lesen kann. Ich habe schon viel zu viele und viel zu peinliche Übersetzungsfehler gesehen, um noch auf Übersetzungen vertrauen zu wollen, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt... Aber das ist ein anderes Thema.). . .
Und zu guter Letzt noch etwas, was mir zu Themen wie diesem immer wieder einfällt – schließlich ging es in dem Interview auch um solche Sachen wie Esperanto und Welthilfssprachen im allgemeinen – und was ich meines Wissens noch nie irgendwo aufgeschrieben habe, ganz bestimmt nicht in diesem Blog und mit ziemlicher Sicherheit auch nicht sonstwo (Tagebuch, Diskussionsforum...): Mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache wäre Lojban. Die ist garantiert kulturneutral und bietet auch niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen. Allerdings ist mir natürlich klar, daß kaum jemand freiwillig eine Sprache lernen wird, deren Grammatik auf formaler Logik aufbaut (das riecht zu sehr nach Mathematik, und daran haben zu viele Leute schlechte Erinnerungen aus ihrer Schulzeit).
OK, strenggenommen müßte man also sagen: Lojban bietet niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen, sondern benachteiligt alle Leute gleichermaßen, und zwar gleichermaßen extrem. Selbst Leute wie ich, die sich (z. B. im Studium) intensiv mit formaler Logik auseinandergesetzt haben, können diese Sprache ganz schön knifflig finden...
Das Problem mit dem Englischen als internationalem Kommunikationsmedium ist ja, daß diese Sprache nicht kulturneutral ist – es gibt ja leider einige, sagen wir mal, ziemlich durchsetzungsfähige englischsprachige Kulturen, die in manchen Teilen der Welt ja durchaus auch als „imperialistisch“ wahrgenommen werden (egal, ob es nun um das British Empire oder um die USA oder um sonstwen geht).
Aus einem ähnlichen Grund finde ich auch Esperanto nicht geeignet; die Esperanto-Kultur kann man zwar nur mit viel bösem Willen als „imperialistisch“ oder sonstwie „böse“ definieren, aber es gibt eine Esperanto-Kultur, und auch wenn die so geartet ist, daß da jeder gerne mit reindarf (aber niemand dazu seine ursprüngliche Kultur aufgeben muß): nicht jeder will da auch mit rein. (Ich persönlich finde die Esperanto-Kultur als Kultur nicht besonders anziehend, aber die Sprache gefällt mir. Vor allem die Ableitungsmorphologie. Aber ich bin ja auch bekennender Fan von Ableitungsmorphologie.)
Nein, wenn Lojban ausscheidet, ist mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache Tok Pisin. Gut, da hängt auch eine Kultur mit dran, aber wenigstens ist das eine relativ kleine und nicht so weit verbreitete Kultur, die wohl niemand als groß und böse und bedrohlich und imperialistisch (oder so) empfinden wird. Außer womöglich den Bewohnern gewisser Bergtäler in Neuguinea. Mist, jetzt habe ich doch wieder dieses blöde Imperialismusproblem... Aber wenigstens würde mit TP als internationalem Kommunikationsmedium der größte Teil der Menschheit – also die Nicht-Muttersprachler – gleichermaßen benachteiligt werden. Allerdings nicht so stark wie mit Lojban. Denn TP hat als typische Kreolsprache eine recht einfach zu durchschauende Grammatik und auch eine recht unkomplizierte Phonologie und Orthographie, ist also mit relativ geringem Aufwand zu lernen (im Vergleich zum Englischen mit seiner unmöglichen Orthographie oder zum Spanischen mit diesen ganzen bescheuerten Verbformen) und dennoch sehr ausdrucksfähig. Und – was in solchen hypothetischen Weltsprach-Diskussionen selbstverständlich der aller-allerwichtigste Punkt ist – ich finde diese Sprache einfach schön. :-)
Ich persönlich finde die englische Orthographie übrigens eigentlich gar nicht so „unmöglich“, sondern eher spannend, und dasselbe gilt für die Verbformen im Spanischen und anderen romanischen Sprachen. Allerdings ist mir natürlich schon klar, daß „spannend“ nicht ganz dasselbe ist wie „leicht zu lernen“. Außerdem bin ich ja, wie gesagt, Sprachwissenschaftlerin und habe als solche vermutlich sowieso eine etwas höhere Schmerzschwelle für solche Sachen als die meisten anderen Leute. ;-)
Meine eigenen Kunstsprachen haben typischerweise keine besonders komplizierte Orthographie – so etwas ist einfach zu schwierig zu konzipieren, und ich stecke meine Energie stattdessen lieber in die Grammatik. Aber komplexe Verbformen bzw. Verbsysteme denke ich mir schon sehr gerne aus... ähm, ja, wie gesagt: ich stecke meine Energie gerne in die Grammatik.
Wie ich gerade herausgefunden habe, gibt es in einem Blog auf der NYT-Site (also strenggenommen nicht direkt in der New York Times) einen interessanten Artikel über Kunstsprachen. <freu>
Der Artikel ist hier. Aber Vorsicht, auf der Seite (bzw. in dem Blog) gibt es irgendein speicherfressendes JavaScript-Element, das meinen Firefox immer gaaanz langsam werden läßt... Ich konnte das Interview erst richtig (also ohne bei jedem Nach-unten-Weiterscroll-Vorgang mindestens eine halbe Minute warten zu müssen) lesen, nachdem ich JavaScript deaktiviert und die Seite neu geladen hatte. Und dabei ist mein Rechner gerade mal ein Jahr alt und sollte eigentlich, wenn schon nicht auf dem neuesten Stand der Technik, doch zumindest hinreichend gut bzw. schnell sein. :-(
(Kleiner Einschub, falls sich jetzt jemand wundert: Der dedizierte Internet-Rechner, der ja eigentlich deutlich älter als ein Jahr war, ist immer noch kaputt und ich habe mir immer noch keinen neuen zugelegt und gehe deshalb immer noch mit meinem vor genau einem Jahr und einer Woche gekauften Nicht-Internet-Rechner online – beziehungsweise, da ich natürlich die strikte Online/Offline-Trennung meiner Daten nicht aufgeben will: ich gehe mit der Hardware meines Nicht-Internet-Rechners online und benutze zum Booten nicht die Festplatte des Rechners (die ich im Online-Zustand nicht einmal gemountet habe), sondern den guten alten Ubuntu-Live-USB-Stick. Und zum Daten-Abspeichern eine externe Platte. Aber zurück zum Thema.)
Der Artikel ist schon ein paar Monate alt. Ich hatte davon seinerzeit gar nichts mitbekommen (<schäm>) und ihn erst jetzt über einen Link im Christophoronomicon entdeckt...
Und um ganz genau zu sein: Eigentlich ist es gar kein Artikel im üblichen Sinne, sondern ein Interview. Der Blogautor hatte seine Leser aufgefordert gehabt, Fragen über Kunstsprachen einzuschicken, und diese Fragen wurden dann zwei Experten vorgelegt, nämlich Arika Okrent (Verfasserin des Buches „In the Land of Invented Languages“) und Paul Frommer (Urheber der Na’vi-Sprache, also der Sprache der Außerirdischen im Film Avatar).
Sehr viel mehr muß ich zu diesem Interview gar nicht sagen, denn alles, was ich dazu hätte sagen wollen (es ist lesenswert, weil... erstens... zweitens... drittens... usw.), wurde im Christophoronomicon schon gesagt. Insgesamt ist es jedenfalls sehr interessant und – ungewöhnlich für die Mainstream-Presse – vom Grundton her eher positiv. Sehr positiv. Allerdings auch sehr lang. Nehmt euch Zeit zum Lesen. :-)
(Und schaltet vorher vielleicht euer JavaScript ab... :-P)
Jetzt bleibt mir nur noch, es Christophe nachzutun und meine Antworten zu ausgewählten Fragen aufzuschreiben. Rein zufällig sind das fast die gleichen Sachen, die auch Christophe für sich beantwortet hat, nämlich die, die aus der Sicht eines beliebigen Sprachbastlers halbwegs relevant sind (im Gegensatz zu den eher allgemein sprachwissenschaftlichen Fragen oder zu denen, die sich auf eine ganz bestimmte Sprache beziehen, die weder von ihm noch von mir erfunden wurde; Na’vi oder Esperanto oder Toki Pona oder was auch immer).
What is the process for ‘making up’ a language?
Das macht jeder etwas anders. Ich gehöre zu den Leuten, die eher systematisch vorgehen – naja, ich habe ja auch mal ein sprachwissenschaftliches Fach studiert und so unter anderem eine Systematik zur Beschreibung von Sprachen gelernt, die sich auch ganz prima zur Beschreibung (und Ausarbeitung) neuer Sprachen eignet...
Ich fange normalerweise mit einer Idee an. Meistens geht es dabei um irgendeine Eigenschaft oder (wahrscheinlicher) Kombination von Eigenschaften, die ich gerade irgendwie interessant finde. Also beispielsweise: „Ich finde es total spannend, wie man im Arabischen alle möglichen Wörter aus relativ simplen Wurzeln herleiten kann, sowas will ich auch machen, aber mit einem völlig anderen Lautsystem, weil ich zufällig gerade total auf australische Sprachen stehe (oder weil ich gerade endlich gelernt habe, wie man Klicks produziert, oder weil mein Kumpel gerade an einer Sprache ohne Nasale bastelt und ich dadurch auf die Idee gekommen bin, daß ich jetzt unbedingt eine ohne Frikative haben will, oder...).“
Oder vielleicht auch etwas völlig anderes, wie z. B. „Wie sähe Esperanto wohl aus, wenn es ergativisch wäre und phonemische Töne hätte?“
Oder so etwas in der Art.
Wenn ich auf diese Weise beschlossen habe, mir eine neue Sprache auszudenken, fange ich mit den kleinsten Bausteinen an, sozusagen mit den Atomen. Bei einer Sprache ist das die Phonologie, also die Menge der Laute, die es in der Sprache gibt (Phonemsystem), und Regeln darüber, wie diese Laute sich verhalten, wenn sie z. B. mit bestimmten anderen Lauten zusammentreffen (Phonotaktik), oder was für Lautveränderungen es womöglich bei der Flexion von Wörtern oder bei der Wortbildung geben kann (Morphophonologie).
Als nächstes kommt die Grammatik. Will ich eine Morphologie haben oder soll meine Sprache ganz isolierend sein? Und was für eine Morphologie? Was für grammatische Informationen sollen durch solche Sachen wie Flexion ausgedrückt werden – will ich beispielsweise Zeitformen der Verben lieber wie im Lateinischen bilden, indem ich das Wort flektiere (tangere „berühren“ → Imperfekt tangēbam, Perfekt tetigī, Futur tangam), oder will ich lieber wie im Deutschen bestimmte Zeitformen durch Flexion ausdrücken und andere durch Funktionswörter oder Hilfsverben (lieben → Imperfekt ich liebte, Perfekt ich habe geliebt, Futur ich werde lieben)? Oder womöglich wie im Mandarin alles durch Funktionswörter ausdrücken (keine Beispiele, da mein Mandarin praktisch nichtexistent ist)? Und welche Informationen sollen überhaupt ausgedrückt werden und welche nicht oder nur optional? (Im Deutschen kann man ja beispielsweise, wenn man über die Zukunft redet, auch Gegenwartsformen der Verben benutzen; man kann sich also aussuchen, ob man die Information „das findet in der Zukunft statt“ explizit ins Verb einbaut oder nicht. Und im Russischen wird in Verbformen das Geschlecht des Subjekts angezeigt, allerdings nur in Singularformen in der Vergangenheit: mit einem Satz wie „я гуляла“ drücke ich ja nicht nur (die wörtliche Übersetzung) „ich ging spazieren“ aus, sondern liefere außerdem die Information „ich bin weiblich“. Wäre ich männlich, so würde ich sagen „я гулял“.)
Da gibt es ziemlich viele Möglichkeiten und entsprechend viele Kombinationen. :-)
Sobald ich ein bißchen Grammatik beisammen habe, fange ich meist schon an mit den ersten einfachen Beispielsätzen. Die helfen mir auch dabei, Unklarheiten aufzuspüren und zu beseitigen und meine Ideen zu testen – wenn sich herausstellt, daß das schöne Flexionsschema oder die Ableitungsendung, die ich mir gerade ausgedacht habe, im Satzzusammenhang häßlich klingt oder bei leider allzu vielen Wortstämmen zu unaussprechbaren Lautverbindungen führt, wird sie halt umgebaut.
Ach ja, an dieser Stelle habe ich mir auch schon ein paar Wörter ausgedacht. Die ersten kommen dadurch zustande, daß solche Sachen wie Flexionsschemata ja nicht im luftleeren Raum existieren können, sondern die Endungen (oder auch Vorsilben oder... naja, je nachdem) irgendwo angehängt werden müssen. Durch die Beispielsätze kommen dann auch noch Wörter hinzu, die ich nicht unbedingt nur für die reine Morphologie brauche, also beispielsweise Adverbien; oder Wörter, die ich noch nicht brauche. Und natürlich auch noch mehr Substantive und Verben als nur die, die ich für die erste Beschreibung meiner Flexionsschemata brauche (sagen wir mal: eins pro Flexionsklasse), weil es mit den Beispielsätzen ja ziemlich schnell langweilig wird, wenn ich immer nur (angenommen, ich habe eine Sprache mit drei Geschlechtern wie im Deutschen, die jeweils auf eine eigene Weise flektiert werden) über dieselben drei Protagonisten: DER Hund, DIE Katze und DAS Meerschweinchen reden muß.
Außerdem komme ich durch die Beispielsätze natürlich auch auf neue grammatische Kategorien und Konstruktionen, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. (Einfaches Beispiel: Ich weiß schon, ob und wie Substantive und Verben flektiert werden; während ich mir meinen ersten Beispielsatz ausdenke, muß ich zuerst einmal die Frage „steht das Subjekt vor oder hinter dem Verb oder ist beides möglich?“ beantworten. Für den nächsten oder übernächsten Satz dann vielleicht auch schon „wo im Satz dürfen Adverbien stehen?“.)
Und dann fällt mir siedendheiß ein, daß ich natürlich mal wieder vergessen habe, daß zur Grammatik ja nicht nur die Morphologie gehört, sondern auch die Syntax. Und dann muß ich mich erst einmal hinsetzen und mir ein paar Gedanken über Satzbau, Wortstellung u. ä. machen.
Bis dahin habe ich meist auch schon ein halbwegs brauchbares Schriftsystem. Meine ersten Schritte mache ich normalerweise mit dem IPA, dem internationalen phonetischen Alphabet, da sich damit wirklich alle Laute schriftlich ausdrücken lassen, die ich mir nur wünschen kann. Aber mit diesem System kann man nicht so richtig gut schreiben, weder von Hand noch mit dem Computer. Oder jedenfalls keine längeren Texte. Oder auch nur ganze Sätze. Sobald also meine Phonologie halbwegs steht, fange ich an, darüber nachzudenken, wie ich diese Laute halbwegs sinnvoll mit einfacheren Zeichen schreiben kann. Meistens denke ich mir in meinem jugendlichen Überschwang gleich mehrere Schriftsysteme aus, die verschiedene Zwecke haben, beispielsweise ein reines ASCII-System (falls ich die Sprache mal einfach so auf der Tastatur herunterhacken will, ohne groß über Diakritika und Tastenkombinationen nachdenken zu müssen) und eins mit Diakritika und womöglich noch ein paar Sonderzeichen (aus dem IPA oder einem fremden Alphabet wie z. B. dem griechischen geklaut) zum Schreiben mit der Hand.
(Eine eigene Schrift habe ich mir bis jetzt für keine meiner Sprachen ausgedacht; nur Transkriptionen, also Systeme, mit denen ich diese oder jene Sprache mit unserer (lateinischen) Schrift oder auch einer anderen (aus irgendeinem Grund lande ich früher oder später immer beim kyrillischen Alphabet, bleibe aber nicht unbedingt dabei) oder einer Mischform (z. B. kyrillische Schrift mit ein paar Lateinbuchstaben) schreiben kann. Das mag damit zu tun haben, daß ich zwar etliche Schriftsysteme mehr oder weniger flüssig lesen, aber nur zwei – Lateinisch und Kyrillisch – auch richtig flüssig schreiben kann.)
Und dann kommt der erste Belastungstest. Dann fange ich nämlich an, mir mehr oder weniger systematisch Sätze auszudenken. Meist drehen die sich um etwas, was gerade in meinem Alltag passiert. (Da Reisen mich aus irgendeinem Grunde inspirieren, habe ich bergeweise Beispielsätze, in denen es darum geht, daß ich gerade im Flughafen auf den Abflug warte oder was ich heute schon alles vom Zug aus gesehen habe.) Mit denen baue ich mir so nach und nach die wichtigsten Bestandteile der Grammatik auf, unter anderem „Baupläne“ für verschiedene Satzarten (Frage, Nebensatz, überraschter Ausruf usw. usf.).
Da in meinen Beispielsätzen irgendwann auch Namen vorkommen (z. B. der Ort, wo ich herkomme oder hinreise, oder Leute, die ich besuchen will oder denen ich gerade eine Postkarte geschrieben habe – was einem auf einer Reise halt so passiert), denke ich mir dann auch Regeln aus, wie Namen in diese neue Sprache übernommen werden: werden sie lautlich angepaßt (und wenn ja: wie?) oder übersetzt (Neustadt → „neue Stadt“) oder vielleicht eine Mischung aus beidem (München → „kleines Mün“, was immer ein Mün auch sein mag)? Wenn mich der Hafer sticht, bietet sich hier natürlich die eine oder andere Gelegenheit zu absichtlichen Fehlübersetzungen (z. B. England → „enges Land“ oder Andreas → „der andere“).
So nimmt das Ganze also nach und nach Gestalt an... :-)
Übrigens: Wenn jemand eine eigene Sprache erfinden will und sich Sorgen macht, er könne dabei irgend etwas Wichtiges vergessen, kann er sich mit Büchern helfen, die eigentlich für die linguistische Feldforschung gedacht sind (also für eine Situation, in der ein Sprachwissenschaftler irgendwohin reist, wo eine Sprache gesprochen wird, zu der es noch kein Wörterbuch und keine Grammatikbeschreibung usw. gibt, und diese Sprache dann von den Muttersprachlern lernt und dieses noch nicht vorhandene Material selber schreibt). Viele der Sprachbastler, die ich kenne, arbeiten mit dem Buch „Describing Morphosyntax“ von Thomas E. Payne. Es gibt aber sicher auch noch andere. (Auch auf deutsch? Keine Ahnung. Tut mir leid.) Wem das zu wissenschaftlich ist, der möge sich Mark Rosenfelders „Language Construction Kit“ ansehen, von dem ich hier ja neulich schon berichtet habe. Und wer sich erst einmal online umsehen will, bevor er ein Buch kauft (oder in der nächstgelegenen Uni-Bibliothek per Fernleihe bestellt), findet auf der Homepage der Language Creation Society einige brauchbare Links. Aus persönlicher Erfahrung kann ich aus dieser Liste drei empfehlen: Mark Rosenfelders (kürzeres, elektronisches statt papiernes) Language Construction Kit, von dem es auch eine sehr gute deutsche Übersetzung von Carsten Becker gibt; Pablo David Flores’ How to create a language; und Rick Morneaus Essays on Language Design.
Für jemanden, der schon recht solide sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse hat und nun möglichst schnell einen Überblick über möglichst viele möglichst (auch) exotische Sachen bekommen will, die es in diversen Sprachen so gibt, ist vielleicht dieses Buch hier interessant: „The Languages of Native North America“ von Marianne Mithun. Kaum zu glauben, was für eine Vielfalt von grammatischen und phonologischen Features (und Kombinationen davon) es in diesen – leider zum größten Teil bereits ausgestorbenen oder zumindest vom Aussterben bedrohten – Sprachen gibt... Von diesem Buch wurde ich schon ziemlich oft beim Sprachbasteln inspiriert. :-)
Do you invent a language from scratch without using one or more existing languages as models, or do you base the syntax or grammar on the syntax or grammar of an existing language?
Ja. :-)
OK, das war jetzt gemein von mir, da einfach „ja“ zu antworten. Dieses Blog wird ja nicht nur von Leuten gelesen, die sich mit formaler Logik befassen und deshalb jetzt aufgrund meines „ja“ auf eine „X oder Y?“-Frage weise nicken werden.
Und wenn ich’s recht bedenke, läßt sich die Frage gar nicht so leicht beantworten.
Denn einerseits denke ich mir meine Sprachen am liebsten selber aus, andererseits denke ich dabei aber durchaus an die eine oder andere schon existente Sprache. Allerdings nehme ich nur sehr selten eine schon existente Sprache und baue eine neue Sprache ganz explizit auf dieser auf – obwohl das eine durchaus brauchbare Methode zum Sprachbasteln ist. Es gibt eine Menge schöne Kunstsprachen, die auf diese Weise entstanden sind (z. B. die diversen Romlangs, also auf dem Lateinischen und/oder den romanischen Sprachen basierende Kunstsprachen). Aber ich persönlich nehme mir schon existente Sprachen lieber zum Vorbild als zur Grundlage; das heißt, ich lasse mich zwar inspirieren („Sprache X hat einen schönen Klang“, „Sprache Y macht wahnsinnig spannende Sachen mit Adjektiven“), baue meine neue Sprache aber meist nicht zu stark auf einer anderen auf. Ich denke mir die Grammatik lieber selber aus (obschon meist zumindest in Teilen inspiriert von anderen Sprachen), übernehme – wenn überhaupt – nur kleine Teile des Vokabulars aus anderen Sprachen, und so weiter.
Da es schon unglaublich viele (natürliche und künstliche) Sprachen gibt, die unglaublich vielfältig sind, kommt am Ende natürlich meist doch etwas heraus, das auf die eine oder andere Weise an eine oder auch mehrere andere Sprachen erinnert. Allerdings ist das nicht unbedingt das, was ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Manchmal fange ich tatsächlich mit einer Zielsetzung in der Art von „ich will eine Sprache, die einen ähnlichen Charakter hat wie Sprache X“ an, aber dann passiert unterwegs dies und das und jenes (beziehungsweise: ich baue dies und das und jenes in meine Sprache ein, was es in Sprache X nicht gibt, weil ich ja auf keinen Fall einen „Zwilling“ oder „Klon“ von Sprache X bauen will) und am Ende sieht meine Sprache nicht mehr Sprache X ähnlich, sondern einer völlig anderen Sprache Y.
Aber das ist eine der Sachen, die das Sprachbasteln so spannend machen. :-)
Why would one choose to invent a new language (aside from the whole ‘wildest academic dreams’ thing) rather than revive a ‘dead’ language or a dying one, like Cornish or Manx?
Das wurde in dem Interview (und auch in Christophes Kommentar zum Interview) ja schon hinreichend beantwortet. Aber da mir dieses Thema am Herzen liegt, gebe ich auch noch meinen Senf dazu. :-)
Erstens: Zum Erfinden einer neuen Sprache braucht man im Zweifelsfall weder besonders viel Zeit noch besonders viel Mühe. Und auch keine besondere Ausbildung. Viele von uns Sprachbastlern machen hauptberuflich etwas völlig anderes bzw. haben etwas völlig anderes studiert bzw. gelernt als ausgerechnet Sprachwissenschaft. Aber das ist auch durchaus in Ordnung, denn in den meisten Fällen ist die Sprachbastelei einfach nur ein Hobby und niemand erwartet von einem, daß die Sprache am Ende irgendwie „fertig“ oder „vollständig“ (oder auch nur benutzbar) wäre. Aber wenn man eine Sprache wiederbeleben oder vor dem Verschwinden retten bzw. vor dem Verschwinden schnell noch möglichst vollständig dokumentieren will, braucht man dazu erstens eine ganze Menge Zeit (wenn man’s richtig machen will, ist das ein Vollzeitjob, an dem man – meist zu mehreren – mindestens ein paar Jahre lang sitzt!) und zweitens eine ziemlich fundierte Fachausbildung. Ich habe zwar Sprachwissenschaften studiert – zwar Computerlinguistik und Vergleichende Sprachwissenschaft, was beides nicht so viel mit Spracherhalt oder -rettung zu tun hat, aber immerhin habe ich auch ein paar Scheine zum Thema linguistische Feldforschung und Sprachdokumentation –, aber das heißt auch nicht unbedingt, daß ich mir diese Art intensiver linguistischer Feldforschung zutrauen würde... Man muß diese mindestens-ein-paar-Jahre ja normalerweise auch in der betreffenden Sprachgemeinschaft verbringen, also im Zweifelsfalle beispielsweise in einem Indianerdorf im Amazonastiefland oder zumindest (um bei den Beispielen in der Frage zu bleiben) in einem Dorf in Cornwall oder auf der Insel Man. (Dorf? Ja, bedrohte Sprachen sind auf dem Lande eher erhalten als in den Städten.)
Zweitens: Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber manche Sprechergemeinschaften wollen aussterben. Beziehungsweise: Sie wollen etwas, was für Außenstehende so aussieht. Auf einer sprachwissenschaftlichen Mailingliste, die ich abonniert habe, haben wir unter anderem einen Sprachwissenschaftler irgendwo im Südwesten der USA, der die dortigen Indianersprachen erforscht. Der hat im Laufe seines Lebens schon einige Sachen erlebt... Beispielsweise erzählte er mal von einer Abstimmung innerhalb eines Stammes, wo es darum ging, ob in den High Schools der Gegend (die größtenteils von Stammesangehörigen besucht wurden) als erste (und für viele Schüler einzige) Fremdsprache Spanisch oder die (nur noch von Älteren gesprochene) Sprache des Stammes angeboten werden sollte, und die überwiegende Mehrheit der Leute war für Spanisch. – Ja, aber dann könnte die eigene Sprache doch aussterben, wenn die keiner mehr lernt? – Na und? Was nützt es, wenn unsere Sprache überlebt und wir alle arbeitslos sind, weil man in dieser Gegend heutzutage für viele Jobs nun mal ein gewisses Minimum an Spanisch (wegen der mexikanischen Touristen und Saisonarbeiter und so) können muß? – Er hatte auch schon mit Sprechergemeinschaften zu tun, die es zwar alles andere als gut fanden, daß ihre Sprache am Aussterben war, die aber andererseits ihre Sprache als so eng mit ihrer Kultur verbunden sahen, daß sie – weil sie ihre Kultur als ihre betrachteten, die für sie und nicht für irgendwelche Außenstehenden da war – das Aussterben der Sprache als das kleinere Übel empfanden und es wesentlich schlimmer gefunden hätten, wenn auf einmal irgendwelche fremden Sprachwissenschaftler und Anthropologen angefangen hätten, mit ihren dreckigen Fingern in ihrer schönen Sprache und Kultur herumzuwühlen. (So eine Einstellung ist anscheinend gar nicht so selten, vor allem, wenn die Sprache als irgendwie heilig empfunden wird, also z. B. als „die Sprache, in der wir mit unseren Göttern reden“ im Gegensatz zu der „Alltagssprache“ (z. B. Englisch oder Spanisch oder Französisch oder Arabisch oder Russisch, je nachdem, in welchem Teil der Welt man sich befindet), mit der man alles andere macht, also z. B. mit seiner Familie und seinen Freunden reden oder einkaufen. Wenn dann auf einmal irgend so ein Sprachforscher daherkommt und die Sprache dokumentieren will, kann es passieren, daß er zuallererst einmal angemotzt wird: red mit deinen Göttern gefälligst in deiner Sprache und laß unsere in Ruhe.)
Und drittens: Wenn wir jetzt alle aufhören, uns neue Sprachen auszudenken, ist damit ja noch nicht garantiert, daß all die plötzlich freigewordene Zeit und Energie dann auch wirklich in die Rettung bedrohter Sprachen fließt. Die meisten Leute würden stattdessen wohl eher ein anderes, ebenso „sinnfreies“, Hobby anfangen und statt Sprachen beispielsweise Modellflugzeuge basteln. Oder stricken lernen. Oder Orchestermusik komponieren. Oder mehr Sport treiben. Oder mehr Zeit damit verbringen, Löcher in die Luft zu starren... Anders ausgedrückt: Wenn ein Spielzeugeisenbahn-Enthusiast seine Spielzeugeisenbahn verschrottet, heißt das ja auch noch lange nicht, daß er sich jetzt stattdessen an die Lösung sämtlicher Probleme der Deutschen Bahn machen will... oder umgekehrt: Wenn mal wieder ein Zug unpünktlich ist und im Sommer die Klimaanlagen in den Wagen ausfallen und im Winter die Lokomotiven gar nicht erst anspringen, dann liegt das an allem möglichen, aber ganz bestimmt nicht daran, daß zu viele Leute ihre Zeit mit einer Spielzeugeisenbahn im Keller verplempern. ;-)
Who after all reads the Pope’s pronouncements in the original Latin?
OK, das war nur ein winziger Teil einer längeren Frage (in der es um alte Sprachen ging: soll man die lernen, wem bringt das was, usw.), aber ich konnte einfach nicht widerstehen. :-)
Ich. Ich lese päpstliche Verlautbarungen im lateinischen Original. Das heißt, wenn ich sie überhaupt lese (bin ja nicht katholisch und war es auch nie). Aber wenn ich sie lese, dann im Original.
Zu irgendwas muß so ein Latinum ja gut sein... ;-)
(Ich lese am liebsten alles im Original, wenn ich die Originalsprache halbwegs lesen kann. Ich habe schon viel zu viele und viel zu peinliche Übersetzungsfehler gesehen, um noch auf Übersetzungen vertrauen zu wollen, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt... Aber das ist ein anderes Thema.)
OK, strenggenommen müßte man also sagen: Lojban bietet niemandem nur wegen bestimmter Eigenschaften seiner Muttersprache irgendwelche Vorteile beim Lernen, sondern benachteiligt alle Leute gleichermaßen, und zwar gleichermaßen extrem. Selbst Leute wie ich, die sich (z. B. im Studium) intensiv mit formaler Logik auseinandergesetzt haben, können diese Sprache ganz schön knifflig finden...
Das Problem mit dem Englischen als internationalem Kommunikationsmedium ist ja, daß diese Sprache nicht kulturneutral ist – es gibt ja leider einige, sagen wir mal, ziemlich durchsetzungsfähige englischsprachige Kulturen, die in manchen Teilen der Welt ja durchaus auch als „imperialistisch“ wahrgenommen werden (egal, ob es nun um das British Empire oder um die USA oder um sonstwen geht).
Aus einem ähnlichen Grund finde ich auch Esperanto nicht geeignet; die Esperanto-Kultur kann man zwar nur mit viel bösem Willen als „imperialistisch“ oder sonstwie „böse“ definieren, aber es gibt eine Esperanto-Kultur, und auch wenn die so geartet ist, daß da jeder gerne mit reindarf (aber niemand dazu seine ursprüngliche Kultur aufgeben muß): nicht jeder will da auch mit rein. (Ich persönlich finde die Esperanto-Kultur als Kultur nicht besonders anziehend, aber die Sprache gefällt mir. Vor allem die Ableitungsmorphologie. Aber ich bin ja auch bekennender Fan von Ableitungsmorphologie.)
Nein, wenn Lojban ausscheidet, ist mein Traumkandidat für eine „kulturneutrale“ Welthilfssprache Tok Pisin. Gut, da hängt auch eine Kultur mit dran, aber wenigstens ist das eine relativ kleine und nicht so weit verbreitete Kultur, die wohl niemand als groß und böse und bedrohlich und imperialistisch (oder so) empfinden wird. Außer womöglich den Bewohnern gewisser Bergtäler in Neuguinea. Mist, jetzt habe ich doch wieder dieses blöde Imperialismusproblem... Aber wenigstens würde mit TP als internationalem Kommunikationsmedium der größte Teil der Menschheit – also die Nicht-Muttersprachler – gleichermaßen benachteiligt werden. Allerdings nicht so stark wie mit Lojban. Denn TP hat als typische Kreolsprache eine recht einfach zu durchschauende Grammatik und auch eine recht unkomplizierte Phonologie und Orthographie, ist also mit relativ geringem Aufwand zu lernen (im Vergleich zum Englischen mit seiner unmöglichen Orthographie oder zum Spanischen mit diesen ganzen bescheuerten Verbformen) und dennoch sehr ausdrucksfähig. Und – was in solchen hypothetischen Weltsprach-Diskussionen selbstverständlich der aller-allerwichtigste Punkt ist – ich finde diese Sprache einfach schön. :-)
Ich persönlich finde die englische Orthographie übrigens eigentlich gar nicht so „unmöglich“, sondern eher spannend, und dasselbe gilt für die Verbformen im Spanischen und anderen romanischen Sprachen. Allerdings ist mir natürlich schon klar, daß „spannend“ nicht ganz dasselbe ist wie „leicht zu lernen“. Außerdem bin ich ja, wie gesagt, Sprachwissenschaftlerin und habe als solche vermutlich sowieso eine etwas höhere Schmerzschwelle für solche Sachen als die meisten anderen Leute. ;-)
Meine eigenen Kunstsprachen haben typischerweise keine besonders komplizierte Orthographie – so etwas ist einfach zu schwierig zu konzipieren, und ich stecke meine Energie stattdessen lieber in die Grammatik. Aber komplexe Verbformen bzw. Verbsysteme denke ich mir schon sehr gerne aus... ähm, ja, wie gesagt: ich stecke meine Energie gerne in die Grammatik.
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Freitag, 13. August 2010
Weitergeflochten
Themen: Handarbeit
sileas, 17:15h
In den letzten Tagen habe ich wirklich viel geflochten, und zwar mit der neuen Technik mit vier Strängen, die ich neulich gelernt habe und die immer besser klappt. So habe ich jetzt im Lauf dreier Abende eine etwa zwei Meter lange und etwa einen halben Zentimeter dicke Schnur zustandebekommen.
Aus der Nähe sieht sie so aus. Wie man sehen kann, klappt es inzwischen etwas besser mit der gleichmäßigen Spannung.
Die nächste Schnur ist schon in Arbeit...
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Ich schreibe wie...
Themen: Computer, Sprachen, Englisch
sileas, 16:05h
Gerade über eine Mailingliste hereingekommen: der Hinweis auf das Online-Schreibstil-Analysetool I Write Like („Ich schreibe wie...“).
Da kann man ein Stück selbstgeschriebenen Text von einem statistischen Algorithmus analysieren und mit den Schreibstilen berühmter Schriftsteller vergleichen lassen. Am Ende kommt dann beispielsweise heraus, daß man wie J.K. Rowling schreibt. Oder wie Stephen King.
Oder, wie in meinem Fall: Cory Doctorow. Gut, das war jetzt nicht unbedingt ein großer Schock. Aber bei einigen Leuten auf der Mailingliste, die dem Tool ebenfalls selbstgeschriebene Texte fütterten, kamen solche Sachen heraus wie beispielsweise diese:
Weitere Tests förderten Folgendes zutage: Wenn man Raumfahrt erwähnt, kommt Asimov raus; wenn man das alte Rom erwähnt, kommt Shakespeare raus; wenn dem Algorithmus sonst nichts mehr einfällt, kommt James Joyce raus. (Mailinglisten mit vielen aktiven Abonnenten, die fast alle einen starken Spieltrieb haben, sind wirklich etwas Schönes!)
Anscheinend handelt es sich um einen ganz banalen Bayes-Klassifikator, der sich vor allem auf das Vorhandensein (oder Nicht-Vorhandensein) bestimmter Schlüsselwörter stützt und nicht so sehr auf tatsächlich stilistische Dinge wie die Länge und Komplexität von Sätzen oder die Verwendung von Metaphern oder von Stilebenen („hochtrabende“ Ausdrucksweise, Slang, Fachjargon, Dialekt, Grammatikfehler usw.). Das heißt, die Texte werden nicht wirklich den Schreibstilen bestimmter berühmter Schriftsteller zugeordnet, sondern eher deren bevorzugten Genres.
Einer der Diskussionsteilnehmer war darüber sehr erleichtert. Er war, gelinde gesagt, nicht so furchtbar begeistert davon gewesen, daß sein Stil als „wie Dan Brown“ analysiert worden war; aber jetzt (so schreibt er) weiß er, daß das wohl daran lag, daß er im selben Absatz sowohl Schußwaffen als auch eine Übernachtung in einem Hotel erwähnt hatte, und wenn die Zuordnung zu diesem oder jenem Schriftsteller über Schlüsselwörter erfolgt, ist es ja durchaus verständlich, daß sein Schußwaffen-im-Hotel-Text mit Dan Brown verglichen wird. ;-)
Da fragt man sich jetzt natürlich, was bei dem Zauberer-Text herausgekommen wäre, wenn das Schlüsselwort „Zauberer“ nicht durch „Thaumaturg“, sondern z. B. durch „Lokomotive“ oder „Fladenbrot“ oder „Beulenpest“ ersetzt worden wäre. <grübel>
Daß meine englischsprachigen Texte (die aktuelle Version meines Lebenslaufs sowie die Hauptseite und die FAQ-Seite meiner englischsprachigen Homepage) „stilistisch“ Cory Doctorow zugeordnet werden, liegt dann also wohl daran, daß ich solche Sachen wie Programmiersprachen und Linux und das Internet erwähne... ;-)
Als ich probeweise einen deutschsprachigen Text eingab (einen meiner längeren Blogeinträge), wurde das vom Algorithmus übrigens als „wie H.P. Lovecraft“ erkannt. Muß ich mir jetzt Sorgen machen...?
Ich würde sagen: ja, aber vermutlich eher um den Algorithmus als um mich. Oder wie drückte es jemand in der Diskussion in der Mailingliste aus: „Das Fehlen von Meldungen der Art ‚Dieser Text ist anscheinend nicht auf englisch geschrieben.‘ oder ‚Dieser Text kann keinem der Schriftsteller in der Datenbank mit hinreichender Sicherheit zugeordnet werden.‘ ist ein deutlicher Hinweis auf die Wertlosigkeit des Analyseprogramms.“ Ich bin geneigt, dem zuzustimmen.. . .
Natürlich gab ich mich nicht damit zufrieden, daß ein längerer englischsprachiger Text von mir (diese FAQ-Seite) insgesamt als „wie Cory Doctorow“ analysiert wurde. Schließlich schreibe ich da über einige sehr verschiedene Themen, und wenn die Analyse nicht aufgrund meines Stils erfolgt, sondern aufgrund von Schlüsselwörtern, dann können diese Abschnitte doch nicht alle...?
Also gab ich die einzelnen Fragen und die dazugehörigen Antworten noch einmal einzeln ein. Ergebnis: nein, die können tatsächlich nicht alle.
Das Witzige ist, daß ich, wenn ich schon mal irgendwelchen englischsprachigen Autoren nacheifere, mich da nie an die von dem Algorithmus vorgeschlagenen Leute halte, sondern eher an Neil Gaiman oder Aaron Sorkin oder (wenn mir poetisch-romantisch zumute ist) Robert Frost...
Da kann man ein Stück selbstgeschriebenen Text von einem statistischen Algorithmus analysieren und mit den Schreibstilen berühmter Schriftsteller vergleichen lassen. Am Ende kommt dann beispielsweise heraus, daß man wie J.K. Rowling schreibt. Oder wie Stephen King.
Oder, wie in meinem Fall: Cory Doctorow. Gut, das war jetzt nicht unbedingt ein großer Schock. Aber bei einigen Leuten auf der Mailingliste, die dem Tool ebenfalls selbstgeschriebene Texte fütterten, kamen solche Sachen heraus wie beispielsweise diese:
- Ein Auszug aus einer Geschichte, in der sich einige Figuren unter anderem über Mark Twain und seine Werke unterhielten, wurde als „wie Mark Twain“ bewertet. Nach der Entfernung gewisser Eigennamen aus dem Text („Huckleberry Finn“, „Tom Sawyer“) bewertete der Algorithmus denselben Text als „wie Leo Tolstoi“.
- Eine Fantasy-Geschichte, die zuerst als „wie J.K. Rowling“ bewertet wurde, mutierte zu „wie Harry Harrison“, nachdem das Wort „Zauberer“ im ganzen Text durch das Synonym „Thaumaturg“ ersetzt worden war.
- Einige Leute haben Nonsense-Texte (u. a. mit dem Zufallsgenerator erzeugte Strings) oder Texte, die für den Algorithmus als Nonsense-Texte erscheinen mußten (also Texte, die in einer möglichst exotischen Fremdsprache geschrieben waren), getestet und bekamen als Ergebnis fast jedesmal „wie James Joyce“. Naja, das sollte eigentlich auch niemanden überraschen, denn dieser Schriftsteller ist ja berüchtigt für seinen kryptischen Stil und die Verwendung selbsterfundener Wörter...
Weitere Tests förderten Folgendes zutage: Wenn man Raumfahrt erwähnt, kommt Asimov raus; wenn man das alte Rom erwähnt, kommt Shakespeare raus; wenn dem Algorithmus sonst nichts mehr einfällt, kommt James Joyce raus. (Mailinglisten mit vielen aktiven Abonnenten, die fast alle einen starken Spieltrieb haben, sind wirklich etwas Schönes!)
Anscheinend handelt es sich um einen ganz banalen Bayes-Klassifikator, der sich vor allem auf das Vorhandensein (oder Nicht-Vorhandensein) bestimmter Schlüsselwörter stützt und nicht so sehr auf tatsächlich stilistische Dinge wie die Länge und Komplexität von Sätzen oder die Verwendung von Metaphern oder von Stilebenen („hochtrabende“ Ausdrucksweise, Slang, Fachjargon, Dialekt, Grammatikfehler usw.). Das heißt, die Texte werden nicht wirklich den Schreibstilen bestimmter berühmter Schriftsteller zugeordnet, sondern eher deren bevorzugten Genres.
Einer der Diskussionsteilnehmer war darüber sehr erleichtert. Er war, gelinde gesagt, nicht so furchtbar begeistert davon gewesen, daß sein Stil als „wie Dan Brown“ analysiert worden war; aber jetzt (so schreibt er) weiß er, daß das wohl daran lag, daß er im selben Absatz sowohl Schußwaffen als auch eine Übernachtung in einem Hotel erwähnt hatte, und wenn die Zuordnung zu diesem oder jenem Schriftsteller über Schlüsselwörter erfolgt, ist es ja durchaus verständlich, daß sein Schußwaffen-im-Hotel-Text mit Dan Brown verglichen wird. ;-)
Da fragt man sich jetzt natürlich, was bei dem Zauberer-Text herausgekommen wäre, wenn das Schlüsselwort „Zauberer“ nicht durch „Thaumaturg“, sondern z. B. durch „Lokomotive“ oder „Fladenbrot“ oder „Beulenpest“ ersetzt worden wäre. <grübel>
Daß meine englischsprachigen Texte (die aktuelle Version meines Lebenslaufs sowie die Hauptseite und die FAQ-Seite meiner englischsprachigen Homepage) „stilistisch“ Cory Doctorow zugeordnet werden, liegt dann also wohl daran, daß ich solche Sachen wie Programmiersprachen und Linux und das Internet erwähne... ;-)
Als ich probeweise einen deutschsprachigen Text eingab (einen meiner längeren Blogeinträge), wurde das vom Algorithmus übrigens als „wie H.P. Lovecraft“ erkannt. Muß ich mir jetzt Sorgen machen...?
Ich würde sagen: ja, aber vermutlich eher um den Algorithmus als um mich. Oder wie drückte es jemand in der Diskussion in der Mailingliste aus: „Das Fehlen von Meldungen der Art ‚Dieser Text ist anscheinend nicht auf englisch geschrieben.‘ oder ‚Dieser Text kann keinem der Schriftsteller in der Datenbank mit hinreichender Sicherheit zugeordnet werden.‘ ist ein deutlicher Hinweis auf die Wertlosigkeit des Analyseprogramms.“ Ich bin geneigt, dem zuzustimmen.
Also gab ich die einzelnen Fragen und die dazugehörigen Antworten noch einmal einzeln ein. Ergebnis: nein, die können tatsächlich nicht alle.
- Der erste Punkt (Wer bin ich?) wird H.P. Lovecraft zugeordnet. Nanu?
- Der zweite Punkt (Warum kann ich so gut Deutsch? – ja, das werde ich tatsächlich immer wieder gefragt) wird Kurt Vonnegut zugeordnet. Ich fühle mich geschmeichelt. Beziehungsweise: Ich würde mich geschmeichelt fühlen, wenn ich noch glauben würde, daß diese Zuordnung tatsächlich aufgrund meines Schreibstils geschah und nicht aufgrund irgendwelcher von mir zufällig verwendeter Schlüsselwörter. :-)
- Der dritte Punkt (Warum kann ich so gut Englisch?) wird wieder Lovecraft zugeordnet. Ich fange wieder an, mir Sorgen zu machen. Also versteht das jetzt bitte nicht falsch, ich mag Lovecraft, aber in meinen Texten kommen doch nur eher selten gruselige außerirdische Monster vor...?
- Der vierte Punkt (Wie wird mein Name ausgesprochen? – genaugenommen keine Frequently Asked Question, ich werde oft falsch ausgesprochen, eben weil die ganzen Nicht-Deutsch-Muttersprachler nie danach fragen) wird James Joyce zugeordnet. Das könnte daran liegen, daß das der Abschnitt mit den ganzen IPA- und C-X-SAMPA-Knoddelzeichen ist. Mit denen kann der Algorithmus wohl nichts anfangen, und wenn er mit etwas nichts anfangen kann, entscheidet er sich ja, wie oben schon vermutet, am ehesten für Joyce.
- Der fünfte Punkt (Wie hat es mich nach Finnland verschlagen?) wird wieder Vonnegut zugeordnet.
- Der sechste Punkt (Erklärung der verschiedenen Komponenten meiner E-Mail-Signatur) wird zu meiner großen Überraschung George Orwell zugeordnet. Jetzt grübele ich, woran das liegen mag – an den beiden kleinen ASCII-Grafiken in der Signatur oder doch eher an dem lateinischen Zitat?
- Der siebte Punkt (Wie viele Sprachen kann ich eigentlich?) wird wieder Lovecraft zugeordnet. Das liegt vielleicht daran, daß in diesem (ziemlich langen) Abschnitt viele, teilweise relativ exotische, Sprachennamen erwähnt werden und sogar ein paar erfundene. In diesem Abschnitt erledige ich nämlich außer dem Thema „Sprachkenntnisse“ gleich auch noch das Thema „Kunstsprachen“. Und meine Sprachen haben natürlich selbsterfundene Namen, die für Außenstehende womöglich so fremdartig klingen wie die Namen gewisser Figuren bei Lovecraft.
- Der achte Punkt (Erklärung meiner Handarbeits-Hobbys) wird David Foster Wallace zugeordnet, einem Schriftsteller, den ich bis dahin nicht einmal dem Namen nach kannte. Schreibt der etwa viel über Weberei? Oder über Knoten? <grübel>
- Der neunte Punkt (Kurzbeschreibung meiner Tätowierungen) wird ebenfalls Wallace zugeordnet. <kopfkratz>
- Der zehnte Punkt (Herkunft und Entstehung meines Seiten-Logos und meines Favicon) wird Dan Brown zugeordnet. Kein Kommentar. >;-)
Das Witzige ist, daß ich, wenn ich schon mal irgendwelchen englischsprachigen Autoren nacheifere, mich da nie an die von dem Algorithmus vorgeschlagenen Leute halte, sondern eher an Neil Gaiman oder Aaron Sorkin oder (wenn mir poetisch-romantisch zumute ist) Robert Frost...
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Donnerstag, 12. August 2010
Sprachwissenschaftliches im Fernsehen
Themen: Sprachen
sileas, 18:00h
Stephen Fry, den bestimmt auch im deutschsprachigen Raum einige als Schauspieler, Schriftsteller und/oder Regisseur kennen, arbeitet an einer Dokumentarreihe für die BBC, in der es um Sprache und Sprachen gehen soll.
Details kann man in diesem Artikel auf der BBC-Website nachlesen.
Ich bin gespannt. Wenn da jemand wie Fry maßgeblich dran beteiligt ist, wird das Ganze von der Qualität her schon mal nicht ganz schlecht werden... :-D
Details kann man in diesem Artikel auf der BBC-Website nachlesen.
Ich bin gespannt. Wenn da jemand wie Fry maßgeblich dran beteiligt ist, wird das Ganze von der Qualität her schon mal nicht ganz schlecht werden... :-D
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Dienstag, 10. August 2010
Etwas länger gelaufen
Themen: Vermischtes
sileas, 12:52h
Ich bin ja ganz stolz, daß ich, die Inkarnation der Unsportlichkeit, es schaffe, fast jeden Tag entweder meinen Frühsport zu machen (mehrere Kilometer Nordic Walking) oder sonst eine Ausrede zu finden, um mindestens einen Kilometer (meistens mehrere) zu laufen.
Heute lief mir, kaum daß ich das Haus mit meinen Walking-Stöcken in der Hand verlassen hatte, diese eine Nachbarin über den Weg, die ich neulich erwähnt habe. Die, die mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuquatscht.
Sie war gerade mit ihrem Hund unterwegs und fragte mich, wie weit ich denn normalerweise so laufe. Ich meinte: so zwischen zwei und fünf Kilometern. Je nachdem.
Sie bot mir daraufhin an, mit ihr und dem Hund mitzukommen. Also wenn ich Lust hätte, heute ein bißchen weiter zu laufen.
Da das Wetter gerade sehr angenehm war (was für mich im Zusammenhang mit Bewegung an der frischen Luft bedeutet: etwas unter 20 Grad, leichte Bewölkung, leichter Wind, ab und zu ein kurzer Regenschauer), sagte ich: klar, warum nicht. (Wenn sie das kann, kann ich das auch. Sie ist etwa zehn Jahre älter als ich und klein und rundlich. Also nicht unbedingt so der Supersportler-Typ.)
So bin ich heute heute letztendlich ungefähr 8 km gelaufen (mit kurzen Unterbrechungen, wenn der Hund mal wieder irgendein Gebüsch näher untersuchen wollte) und im Moment natürlich ziemlich erschöpft. Dafür habe ich ein paar schöne Waldwege kennengelernt, von denen ich noch gar nichts wußte, und weiß jetzt außerdem (dank der Redefreudigkeit der Nachbarin) ALLES über die Geschichte unseres Viertels und über in unserer Gegend wild wachsende Heil- und sonstige Nutzpflanzen. ;-)
Heute lief mir, kaum daß ich das Haus mit meinen Walking-Stöcken in der Hand verlassen hatte, diese eine Nachbarin über den Weg, die ich neulich erwähnt habe. Die, die mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuquatscht.
Sie war gerade mit ihrem Hund unterwegs und fragte mich, wie weit ich denn normalerweise so laufe. Ich meinte: so zwischen zwei und fünf Kilometern. Je nachdem.
Sie bot mir daraufhin an, mit ihr und dem Hund mitzukommen. Also wenn ich Lust hätte, heute ein bißchen weiter zu laufen.
Da das Wetter gerade sehr angenehm war (was für mich im Zusammenhang mit Bewegung an der frischen Luft bedeutet: etwas unter 20 Grad, leichte Bewölkung, leichter Wind, ab und zu ein kurzer Regenschauer), sagte ich: klar, warum nicht. (Wenn sie das kann, kann ich das auch. Sie ist etwa zehn Jahre älter als ich und klein und rundlich. Also nicht unbedingt so der Supersportler-Typ.)
So bin ich heute heute letztendlich ungefähr 8 km gelaufen (mit kurzen Unterbrechungen, wenn der Hund mal wieder irgendein Gebüsch näher untersuchen wollte) und im Moment natürlich ziemlich erschöpft. Dafür habe ich ein paar schöne Waldwege kennengelernt, von denen ich noch gar nichts wußte, und weiß jetzt außerdem (dank der Redefreudigkeit der Nachbarin) ALLES über die Geschichte unseres Viertels und über in unserer Gegend wild wachsende Heil- und sonstige Nutzpflanzen. ;-)
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Montag, 9. August 2010
Gewitter am Abend
Themen: Vermischtes
sileas, 15:40h
... erquickend und labend, oder wie ging dieses Sprichwort noch schnell?
Gestern abend gab es hier ein sehr beeindruckendes Gewitter. Fotos gibt es hier in der Online-Version der Helsingin Sanomat zu sehen.
Zum Starten der Slideshow einfach auf das Bild klicken. Die Fotos sind teilweise echt beeindruckend (mir hat vor allem das letzte sehr gefallen). Und selbst die weniger beeindruckenden zeigen immer noch hübsche Stadtpanoramen aus Helsinki. ;-) (Gut, das ist nicht ganz da, wo ich wohne, aber immerhin die Nachbarstadt. Und bei uns waren die Wolken genauso imposant, nur daß es bei uns hier keine so schönen Jugendstilbauten gibt wie im Stadtzentrum von Helsinki. <motz>)
Zur Navigation innerhalb der Slideshow sollte ich noch erwähnen, daß man mit „seuraava“ zum nächsten Bild und mit „edellinen“ zum vorangehenden Bild kommt.
Ich wurde gestern abend vor allem durch den faszinierend gelben Abendhimmel nach draußen gelockt. Die Farbe hat wohl etwas mit den zur Zeit in Rußland wütenden Waldbränden zu tun; ich erinnere mich, daß es vor ein paar Jahren um diese Zeit genauso war. Beziehungsweise: Ich erinnere mich, daß mir die Kollegen, als ich aus meinem Urlaub (im August) zurückkam, sagten, ach, ich könne ja so froh sein, in den letzten Wochen nicht da gewesen zu sein, denn in Rußland habe es so schlimme Waldbrände gegeben und der Wind habe das alles nach Finnland rübergeweht und an einigen Tagen habe es in Helsinki sogar Smog gegeben.
Tja, hoffentlich kriegen wir jetzt nicht wieder Smog. :-P
Inzwischen ist mir auch aufgegangen, daß meine in manchen Nächten auftretenden Atemprobleme (bzw. das Gefühl, es wäre unglaublich stickig) womöglich nicht nur auf die nach Mitternacht dank fallender Temperaturen schnell und stark ansteigende Luftfeuchtigkeit zurückzuführen sind, sondern auf eine Kombination aus Luftfeuchtigkeit und fiesem russischen Waldbrand-Feinstaub. Allerdings habe ich bis jetzt noch zu keiner Tages- oder Nachtzeit Brandgeruch wahrgenommen. (In manchen Gegenden in Südfinnland kommt anscheinend soviel russischer Rauch an, daß man ihn tatsächlich riechen kann.)
Der schöne Gelbton am Himmel erinnerte mich sehr an manche Landschaftsgemälde aus den Jahren nach dem letzten großen Ausbruch des Vulkans Tambora. Ein schönes Beispiel ist „Chichester Canal“ von J. M. W. Turner.
Wozu ich natürlich sagen muß, daß mir ein schöner gelber Abendhimmel wegen eines Waldbrandes lieber ist als einer wegen eines (sehr viel weiter entfernten und sehr viel drastischeren) großen Vulkanausbruchs und mir ein langweiliger normaler Abendhimmel ganz ohne Vulkanausbrüche und/oder Waldbrände noch viel lieber wäre. Egal, wie schön dieser Gelbton sein mag. :-/
Wo war ich stehengeblieben? Ach ja: nach draußen gelockt.
Dort merkte ich dann, daß es ziemlich stürmte. Kaum war ich draußen, fing es auch schon an zu donnern und blitzen – zum Glück noch in einiger Entfernung. Aber es war dennoch sehr beeindruckend, da anscheinend mehrere Gewitter gleichzeitig stattfanden. Oder ein einziges mit sehr hoher Blitzaktivität...
Stockdunkel war es auch, obwohl die Sonne noch gar nicht untergegangen war. Das machte die Blitze natürlich noch etwas beeindruckender. :-)
Da es ungefähr eine Minute danach auch noch anfing zu regnen, lief ich nur einmal ums Grundstück herum und genoß die auf ein erträgliches Maß gesunkene Temperatur; die war innerhalb etwa einer halben Stunde von 28 auf 18 Grad abgefallen. (28 Grad klingt ja an und für sich noch nicht so schlimm, bis man sich klar macht, daß das abends um halb zehn war... Um diese Uhrzeit SOLL es hier im hohen Norden gefälligst nicht mehr so heiß sein!) Dann ging ich zurück in meine Wohnung, zog die nassen Kleider aus und genoß das Gewitterschauspiel noch eine Weile hinter dem Fenster, im Trockenen.
Die Wettervorhersage hatte uns ja schon seit Tagen ein Gewitter angedroht. Stattdessen kam immer nur neue Sommerhitze und -schwüle. Gut, daß wir auch endlich mal etwas Regen abbekommen haben... Während manche anderen Leute von Regen trübsinnig werden und/oder vor Gewittern Angst haben, fühle ich mich bei solchem Wetter immer richtig energiegeladen. Nur die Leute, die unter gewitterbedingten Stromausfällen oder Verkehrschaos (umgestürzte Bäume auf Straßen und Bahngleisen) zu leiden hatten, tun mir leid.
Gestern abend gab es hier ein sehr beeindruckendes Gewitter. Fotos gibt es hier in der Online-Version der Helsingin Sanomat zu sehen.
Zum Starten der Slideshow einfach auf das Bild klicken. Die Fotos sind teilweise echt beeindruckend (mir hat vor allem das letzte sehr gefallen). Und selbst die weniger beeindruckenden zeigen immer noch hübsche Stadtpanoramen aus Helsinki. ;-) (Gut, das ist nicht ganz da, wo ich wohne, aber immerhin die Nachbarstadt. Und bei uns waren die Wolken genauso imposant, nur daß es bei uns hier keine so schönen Jugendstilbauten gibt wie im Stadtzentrum von Helsinki. <motz>)
Zur Navigation innerhalb der Slideshow sollte ich noch erwähnen, daß man mit „seuraava“ zum nächsten Bild und mit „edellinen“ zum vorangehenden Bild kommt.
Ich wurde gestern abend vor allem durch den faszinierend gelben Abendhimmel nach draußen gelockt. Die Farbe hat wohl etwas mit den zur Zeit in Rußland wütenden Waldbränden zu tun; ich erinnere mich, daß es vor ein paar Jahren um diese Zeit genauso war. Beziehungsweise: Ich erinnere mich, daß mir die Kollegen, als ich aus meinem Urlaub (im August) zurückkam, sagten, ach, ich könne ja so froh sein, in den letzten Wochen nicht da gewesen zu sein, denn in Rußland habe es so schlimme Waldbrände gegeben und der Wind habe das alles nach Finnland rübergeweht und an einigen Tagen habe es in Helsinki sogar Smog gegeben.
Tja, hoffentlich kriegen wir jetzt nicht wieder Smog. :-P
Inzwischen ist mir auch aufgegangen, daß meine in manchen Nächten auftretenden Atemprobleme (bzw. das Gefühl, es wäre unglaublich stickig) womöglich nicht nur auf die nach Mitternacht dank fallender Temperaturen schnell und stark ansteigende Luftfeuchtigkeit zurückzuführen sind, sondern auf eine Kombination aus Luftfeuchtigkeit und fiesem russischen Waldbrand-Feinstaub. Allerdings habe ich bis jetzt noch zu keiner Tages- oder Nachtzeit Brandgeruch wahrgenommen. (In manchen Gegenden in Südfinnland kommt anscheinend soviel russischer Rauch an, daß man ihn tatsächlich riechen kann.)
Der schöne Gelbton am Himmel erinnerte mich sehr an manche Landschaftsgemälde aus den Jahren nach dem letzten großen Ausbruch des Vulkans Tambora. Ein schönes Beispiel ist „Chichester Canal“ von J. M. W. Turner.
Wozu ich natürlich sagen muß, daß mir ein schöner gelber Abendhimmel wegen eines Waldbrandes lieber ist als einer wegen eines (sehr viel weiter entfernten und sehr viel drastischeren) großen Vulkanausbruchs und mir ein langweiliger normaler Abendhimmel ganz ohne Vulkanausbrüche und/oder Waldbrände noch viel lieber wäre. Egal, wie schön dieser Gelbton sein mag. :-/
Wo war ich stehengeblieben? Ach ja: nach draußen gelockt.
Dort merkte ich dann, daß es ziemlich stürmte. Kaum war ich draußen, fing es auch schon an zu donnern und blitzen – zum Glück noch in einiger Entfernung. Aber es war dennoch sehr beeindruckend, da anscheinend mehrere Gewitter gleichzeitig stattfanden. Oder ein einziges mit sehr hoher Blitzaktivität...
Stockdunkel war es auch, obwohl die Sonne noch gar nicht untergegangen war. Das machte die Blitze natürlich noch etwas beeindruckender. :-)
Da es ungefähr eine Minute danach auch noch anfing zu regnen, lief ich nur einmal ums Grundstück herum und genoß die auf ein erträgliches Maß gesunkene Temperatur; die war innerhalb etwa einer halben Stunde von 28 auf 18 Grad abgefallen. (28 Grad klingt ja an und für sich noch nicht so schlimm, bis man sich klar macht, daß das abends um halb zehn war... Um diese Uhrzeit SOLL es hier im hohen Norden gefälligst nicht mehr so heiß sein!) Dann ging ich zurück in meine Wohnung, zog die nassen Kleider aus und genoß das Gewitterschauspiel noch eine Weile hinter dem Fenster, im Trockenen.
Die Wettervorhersage hatte uns ja schon seit Tagen ein Gewitter angedroht. Stattdessen kam immer nur neue Sommerhitze und -schwüle. Gut, daß wir auch endlich mal etwas Regen abbekommen haben... Während manche anderen Leute von Regen trübsinnig werden und/oder vor Gewittern Angst haben, fühle ich mich bei solchem Wetter immer richtig energiegeladen. Nur die Leute, die unter gewitterbedingten Stromausfällen oder Verkehrschaos (umgestürzte Bäume auf Straßen und Bahngleisen) zu leiden hatten, tun mir leid.
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Sonntag, 8. August 2010
Neue Webtechnik
Themen: Handarbeit
sileas, 19:34h
Dieses hübsche Band:
... habe ich eigentlich schon am Freitagabend gewebt, komme aber erst jetzt dazu, etwas dazu zu schreiben.
Genau wie meine aus vier Strängen geflochtene Schnur stammt die Idee aus Jacqui Careys Buch. Aber dieses Band ist im Vergleich zu den Sachen, die ich sonst so webe, eher primitiv. Es hat nur drei Kettfäden, und daher braucht man auch keinen wie auch immer gearteten Webrahmen oder Webrahmenersatz (z. B. Webbrettchen). Nein, man knotet die Kettfäden einfach irgendwo fest und hält die freien Enden entweder in der einen Hand oder knotet sie irgendwo anders fest – wichtig ist nur, daß die Kettfäden beim Weben gespannt sind. Dann zieht man den Schußfaden wie gewohnt obendrüber-untendurch-obendrüber-untendurch hin und her. Bei nur drei Kettfäden ist es ganz leicht, den mittleren mit dem Zeigefinger abwechselnd über und unter die anderen beiden zu heben, damit man das Schiffchen durchziehen kann. Und am Ende hat man ein Band.
Wie das funktioniert, kann man auf diesem Bild hoffentlich gut erkennen:
Bei dem Garn handelt es sich mal wieder um ganz normales Strickgarn (diesmal eine Woll-Polyamid-Mischung). Da das Garn eher dünn war, habe ich es für den Schußfaden dreifach genommen. Das Schiffchen auf dem Foto ist übrigens einer dieser Plastikklöppel von neulich.
Und ja, ich mag Garne, die zwischen mehreren Farben hin- und herwechseln. Wieso fragt ihr? <unschuldigguck> (Das Garn in diesem Band stammt ganz ehrlich alles vom selben Knäuel! Das Garn wechselt zwischen Weiß und je zwei verschiedenen Rot- und Grüntönen. Die roten Strecken sind etwas (viel) länger, die weißen und grünen kürzer.)
Genau wie meine aus vier Strängen geflochtene Schnur stammt die Idee aus Jacqui Careys Buch. Aber dieses Band ist im Vergleich zu den Sachen, die ich sonst so webe, eher primitiv. Es hat nur drei Kettfäden, und daher braucht man auch keinen wie auch immer gearteten Webrahmen oder Webrahmenersatz (z. B. Webbrettchen). Nein, man knotet die Kettfäden einfach irgendwo fest und hält die freien Enden entweder in der einen Hand oder knotet sie irgendwo anders fest – wichtig ist nur, daß die Kettfäden beim Weben gespannt sind. Dann zieht man den Schußfaden wie gewohnt obendrüber-untendurch-obendrüber-untendurch hin und her. Bei nur drei Kettfäden ist es ganz leicht, den mittleren mit dem Zeigefinger abwechselnd über und unter die anderen beiden zu heben, damit man das Schiffchen durchziehen kann. Und am Ende hat man ein Band.
Wie das funktioniert, kann man auf diesem Bild hoffentlich gut erkennen:
Und ja, ich mag Garne, die zwischen mehreren Farben hin- und herwechseln. Wieso fragt ihr? <unschuldigguck> (Das Garn in diesem Band stammt ganz ehrlich alles vom selben Knäuel! Das Garn wechselt zwischen Weiß und je zwei verschiedenen Rot- und Grüntönen. Die roten Strecken sind etwas (viel) länger, die weißen und grünen kürzer.)
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Positive und negative Gedanken
Themen: Neuro-Psycho
sileas, 19:08h
Aus aktuellem Anlaß:
Eine Freundin sagte mir neulich, daß sie es klasse findet, wie ich es trotz allem immer wieder schaffe, die schönen Sachen in meinem Leben zu sehen bzw. zu finden. Also obwohl ich ja eigentlich klinisch depressiv bin und außerdem eine generalisierte Angststörung habe... das ist die Krankheit, bei der man ganz mühelos in der Lage ist, vor wirklich allem Angst zu haben, sogar vor dem eigenen Schatten...
Also habe ich beschlossen, darüber mal ein paar Worte zu schreiben. Und zwar einerseits für die anderen Leute in meinem Bekanntenkreis, die womöglich dasselbe denken, es mir aber noch nicht gesagt haben, und andererseits für alle, die hier womöglich sonst noch mitlesen und sich wundern, wie jemand einerseits behaupten kann, klinisch depressiv zu sein, und andererseits über solche banalen Sachen wie zufällig in der Firmenküche gefundene Krabbenchips oder Umhängetaschen mit Igelmotiv in Freudentaumel ausbrechen kann.
Hmm, wo soll ich anfangen...?
Erstens habe ich ja nicht nur meine Depression und meine Angstneurose, sondern auch noch ein paar andere Sachen, die mir paradoxerweise helfen, damit umzugehen.
Mein ADHS macht mich leicht ablenkbar; das heißt, manchmal verfalle ich allein deswegen nicht in tiefe Depressionen, weil z. B. eine Fliege vorbeifliegt und mich ablenkt, und dann kommen interessante Geräusche aus der Nachbarwohnung und lenken mich ab, und dann muß ich aufs Klo, und dabei bemerke ich, daß die Seife im Bad fast alle ist, und gehe rüber in die Küche, wo ich meinen Einkaufszettel aufbewahre, und in der Küche merke ich dann, daß ich auf dem langen Weg aus dem Bad (über 5 m zu Fuß!) vergessen habe, was ich eigentlich in der Küche wollte, und beschließe, mir stattdessen ein Glas Milch einzuschenken und ein wenig Geschirr zu spülen, usw. usf., und mit all dem habe ich dann mit etwas Glück soviel Zeit verplempert, daß es der beginnenden Depression langweilig wurde und sie sich verflüchtigt hat. Mit noch etwas mehr Glück schaffe ich es sogar, das Glas Milch nicht auf dem Küchentisch zu vergessen...
Und mein Asperger (OK, ohne offizielle Diagnose müßte ich eigentlich sagen: meine autistischen Züge) hindert mich daran, bestimmte Sachen, über die sich andere Leute grämen können, überhaupt wahrzunehmen – beispielsweise kann ich andere Leute und ihre Motivationen extrem schwer einschätzen, was mir zwar oft genug mein Leben schwerer macht, als es sein könnte, aber andererseits gehen solche Informationen wie „Kollege X und Kollege Y haben sich anscheinend verkracht und bemühen sich jetzt angestrengt, das niemanden merken zu lassen“ (und die für die meisten „normalen“ Leute darauf folgenden Überlegungen, was zwischen denen wohl vorgefallen sein mag, und Anstrengungen, sich seinerseits nicht anmerken zu lassen, daß man die dicke Luft zwischen den beiden bemerkt hat) an mir meist völlig vorbei.
(Ja, das meine ich alles ernst. Ablenkbarkeit und Nicht-Mitbekommen relevanter sozialer Informationen machen einem zwar, wie gesagt, das Leben nicht unbedingt immer leichter, aber andererseits können sie manchmal erstaunlich nützlich sein. Man bekommt zwar immer wieder irgend etwas auf die eine oder andere Weise Wichtiges nicht mit, aber andererseits bekommt man auch immer wieder irgend etwas nicht mit, worüber man sich sonst unnötig aufgeregt oder Sorgen gemacht hätte.)
Zweitens habe ich meine diversen Syndrome ja auch schon etwas länger (die Diagnosen kamen so nach und nach um das Jahr 2000 herum, waren aber eigentlich nur offizielle Bestätigungen von Sachen, die ich teils schon jahrelang, teils sogar schon mein ganzes Leben lang – oder zumindest solange ich zurückdenken kann – gehabt hatte) und hatte daher mehr als genug Zeit, um zu lernen, damit umzugehen. Beispielsweise habe ich irgendwann gemerkt, daß eine Depression nicht unbedingt bedeutet, daß man immer nur traurig in der Gegend herumsitzt. Nein, das Ganze hat auch positive Aspekte – man muß sie nur wahrnehmen.
Anscheinend gibt es zwei Grundtypen von Depression bzw. depressiver Episode: einen, bei dem man kaum oder gar keine Gefühlsregungen hat, und einen, bei dem man in tiefer Traurigkeit versinkt – also eine extreme, leider aber extrem negative, Gefühlsregung. Ich habe irgendwann gemerkt, daß die tiefe Traurigkeit nicht etwa bedeutet, daß ich „ein trauriger Mensch“ wäre oder so; nein, ich kann tiefe Traurigkeit empfinden, weil ich grundsätzlich tiefe Gefühlsregungen empfinden kann. Tiefe Freude kann ich nämlich auch empfinden. Und ich habe mir angewöhnt, auf die ganz bewußt zu achten, damit ich mich in den depressiven Phasen daran erinnern kann, daß es neben dieser blöden Dunkelheit auch noch Licht und eine Menge tolle Farben gibt. („Tiefe Freude“, seltsamer Ausdruck, ich weiß. Aber auf die Schnelle fällt mir nichts Besseres ein, oder zumindest nichts, was neben „tiefe Traurigkeit“ gut klingen würde.)
Die Variante, bei der man überhaupt keine oder nur ganz winzige Gefühlsregungen hat, ist ebenfalls unangenehm, wenn auch natürlich auf eine völlig andere Weise als so eine tiefe Traurigkeit. Der Vorteil bei so einer Abwesenheit von Gefühlsregungen ist: Man empfindet dabei auch keine starken negativen Gefühle. (Für mich als Angstneurotikerin heißt das vor allem: wenn ich depressiv bin, rege ich mich wenigstens über so gut wie nichts auf.)
Und drittens kenne ich einige nette Leute, die mich immer wieder aufmuntern. Einige von denen lesen hier sogar mit. :-)
Das Lustige ist, daß ich oft von jemandem aufgemuntert werde, der noch gar nicht weiß, daß ich das gerade zu diesem Zeitpunkt brauche. Daß also beispielsweise eine Mail von jemandem eintrifft, den ich mag, und zwar zufällig gerade zu einem Zeitpunkt, an dem es mir schlecht geht, aber bevor ich Gelegenheit hatte, das irgend jemandem (oder gar dem Absender der Mail) zu erzählen. Oder daß ich mit einer schwarzen Gewitterwolke über dem Kopf das Haus verlasse, beispielsweise um den Müll wegzubringen, und dabei zufällig der einen Nachbarin über den Weg laufe, die mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuquatscht (ich muß die Frau irgendwann mal fragen, ob sie wirklich sicher ist, daß sie Finnin ist, denn die sind ja normalerweise eher schweigsam), und die mich daraufhin so intensiv zuquatscht, daß die Gewitterwolke die Flucht ergreift.
Ich habe eine Freundin, mit der ich öfters per SMS kommuniziere. Manchmal schickt sie mir eine ganz kurze SMS, die womöglich nur aus einem Smilie besteht – beispielsweise zum Abschluß einer Konversation oder als Nachtrag, um mir mitzuteilen: die Sache, von der ich dir erzählt habe, ist gut gelaufen. Diese Mini-SMSe hebe ich mir nach Möglichkeit auf, damit ich sie bei Bedarf (also wenn ich irgendwie schlecht drauf bin) noch einmal ansehen und mich dann hoffentlich besser fühlen kann.
Viertens habe ich dank jahrelanger Therapie meine Depression und meine Ängste recht gut im Griff. Antidepressiva habe ich in meinem ganzen Leben erst dreimal genommen:
Glücklicherweise hat sich herausgestellt, daß die Stimulantien, die man als Mensch mit ADHS so zu sich nimmt, auch gegen Angst wirken. Oder zumindest gegen meine. (Ich habe schon seit längerer Zeit die Vermutung, daß meine Angstneurose eigentlich nur etwas ist, was sich mein hyperaktives und zur Langeweile neigendes ADHSler-Hirn sozusagen „gebastelt“ hat, um der Langeweile vorzubeugen. Diese Vermutung wird von der Beobachtung gestützt, daß meine Ängste deutlich abnahmen, sobald ich mit einer halbwegs zielgerichteten ADHS-Therapie – Methylphenidat plus explizit auf ADHS ausgerichtete Psychotherapie – anfing, während sie sich von der vorangegangenen eher auf typische Angstneurosen mit komorbider Depression (oder umgekehrt) ausgerichteten Therapie nicht im geringsten beeindruckt gezeigt hatten. Inzwischen langt als Stimulans an weniger stressigen Tagen, z. B. am Wochenende, auch eine große Tasse Grüntee zum Frühstück.)
Und sobald meine Therapeutin merkte, daß ich auf Antidepressiva eher nicht so sehr anspreche und die Depression auch keinerlei Anstalten machte, von selber wieder zu verschwinden, hat sie die Therapie dahingehend ausgerichtet, daß ich lernen sollte, mit der Depression zu leben. So habe ich über die Jahre einiges Nützliche gelernt. Unter anderem das Finden und Wahrnehmen von positiven Sachen. :-)
(Und ich habe gelernt, zu akzeptieren, daß ich anscheinend eine eher traurige Grundhaltung habe. Na und? Dann bin ich halt Bernd das Brot und nicht Chili das Schaf...)
Fünftens gehörte zu dieser Therapie (wie schon angedeutet) unter anderem, daß ich aufpaßte, was mir Freude macht – und was mir womöglich soviel Freude macht, daß ich mich damit sozusagen an meinen eigenen Haaren (wie Münchhausen aus dem Sumpf) aus einer beginnenden Depression hinausziehen kann. Und daß ich darauf achtete, von diesen Sachen immer wenigstens ein paar bei der Hand zu haben. (Das ist der „Werkzeugkasten“, den ich neulich erwähnt habe!)
Also habe ich zu Hause eine ganze Sammlung von CDs und DVDs mit Musik und Filmen, die mich irgendwie erfreuen. Und ich habe in der Küche einige Nahrungsmittel, die sich auf meine Stimmung irgendwie positiv auswirken. (Mal ganz davon abgesehen, daß ich darauf achte, immer genügend Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Ein Bekannter eines Bekannten hat seine Depression dadurch überwunden, daß er sich angewöhnt hat, jeden Tag mindestens vier Liter Wasser zu trinken. Bei mir funktioniert das leider nicht, aber ich kann immerhin meine Stimmung drastisch verbessern, indem ich mich einfach immer hinreichend stark hydriere.) Und ich habe eine Menge Bücher, die mich in verschiedenen negativen Stimmungslagen irgendwie aufheitern oder sonstwie erfreuen. Und da, wo ich wohne, gibt es eine Menge schöne Spazierwege. Undsoweiter.
So bin ich also nicht darauf angewiesen, daß mir das Leben bzw. das Universum irgend etwas vorlegt, was mich irgendwie erfreut, sondern ich kann mir selber eine Freude bereiten, wenn ich mal eine brauche. Gut, manchmal ist die negative Stimmung soweit fortgeschritten, daß ich nicht mehr selber darauf komme, sondern einen Schubser brauche; z. B. einen Anruf von einem Freund, der mir dann sagt: koch dir doch eine Tasse Tee oder hör schöne Musik oder geh spazieren oder... Und natürlich passiert das in den seltensten Fällen, daß zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt jemand anruft, der mir so einen guten Rat geben kann. Aber über die Jahre hat es sich ergeben, daß ich in meiner Wohnung erstens lauter kleine Hinweise auf solche Sachen herumliegen habe, die mich erfreuen könnten (da schweift mein depressiver Blick ziellos in der Gegend herum und bleibt z. B. an einem DVD-Box-Set hängen, bis mein Gehirn merkt, daß ich die Dinger ja eigentlich auch mal wieder angucken könnte), und zweitens diejenigen Sachen, die ich auch im normalen (also nicht-depressiven) Alltag brauche, immer griffbereit habe – zum Beispiel eine große Flasche Wasser oder Saft. Wie gesagt, wenn ich mich immer gut mit Flüssigkeit versorge, ist das schon mal ein solides Fundament für eine halbwegs gute Stimmung.
Sechstens: Ich weiß ganz genau, wer ich bin. Die meisten Menschen wissen das von sich nicht. Aber die meisten Menschen waren auch noch nie gezwungen, sich selbst ganz genau anzuschauen und dabei auch in die tiefen Abgründe in ihrem Innern zu sehen, weil die meisten Menschen halt weder Depression noch Angstneurose haben. Aber diese detaillierte Selbst-Kenntnis hilft mir sehr dabei, mit mir selbst und der Welt und dem Leben an sich klarzukommen. Ich habe beim Mich-Selbst-Erforschen ja auch nicht nur dunkle Abgründe gefunden, sondern auch (sozusagen) vergrabene Schätze. Und so kann man paradoxerweise sagen: Meine Depression hat mich zum Glücklicher-Werden gezwungen. Natürlich bin ich nicht ständig glücklich, aber das sind Nicht-Depressive ja auch nicht. (Es sei denn, sie haben eine unipolare Manie!)
Manchmal fühle ich mich ein bißchen wie Sara, die eine der beiden Orakel-Schwestern in American Dragon; das ist diejenige, die immer nur schlimme Sachen voraussieht und dennoch immer blendend gelaunt ist. Ihre Schwester Kara sieht immer nur gute Sachen voraus und ist immer schlecht gelaunt. Die beiden erklären das so: Kara ist immer griesgrämig, weil ihr Alltag im Vergleich zu all den tollen Sachen in ihren Visionen doch arg unbefriedigend ist. Sara dagegen vergleicht ihren Alltag (der mit dem von Kara mehr oder weniger identisch ist) mit den gräßlichen Sachen in ihren Visionen, und der Vergleich fällt natürlich sehr positiv aus, und deshalb ist sie immer fröhlich.
Siebtens: Vorbilder. Meine Mutter war ein großer Fan von Paul Gerhardt, von dem eine ganze Menge auch heute noch gesungene Lieder (vor allem Kirchenlieder) stammen; unter anderem „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“. Das muß man sich mal vorstellen: Der Mann lebte in einer postapokalyptischen Landschaft (Europa während und kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem ja ganze Dörfer ausgelöscht wurden) und schrieb Gedichte über die Schönheit von Tulpen... Solche und ähnliche Gedanken haben mir schon durch so manche depressive Phase geholfen und mich auch angeregt, selber mal zu versuchen, in meiner „postapokalyptischen Landschaft“ meine eigenen „schönen Tulpen“ zu finden.
(Wenn wir schon mal bei christlicher Dichtung sind, kann ich auch noch meine Bibel herauskramen: Wenn die Autorenzuordnung bei den Psalmen akkurat ist, dann kann ich mich außer an den Liedern und Gedichten von Paul Gerhardt auch daran trösten, daß der offenbar tief depressive Mensch, der den 69. Psalm geschrieben hat (die ersten paar Verse enthalten eine blumige, aber sehr treffende Beschreibung einiger typischer Depressionssymptome), derselbe war, der auch den 23. Psalm („Der Herr ist mein Hirte“) geschrieben hat.)
Und last but not least: Ich bin Meisterin im Verdrängen. ;-) Das schiebe ich wieder auf das gute alte ADHS... Wenn man hinreichend schnell von hinreichend vielen Sachen abgelenkt wird, fällt das, woran man ursprünglich dachte, irgendwann aus dem Arbeitsspeicher hinaus. Das ist oft natürlich (gelinde gesagt) nicht so furchtbar wünschenswert; aber wenn das, woran man ursprünglich dachte, hinreichend nervig (oder furchterregend oder deprimierend) ist, kann es echt praktisch sein...
Aber das habe ich ja schon oben unter „Erstens“ erwähnt. Soviel zum Thema Ablenkbarkeit... m(
Nachtrag: Das kryptische Knoddelzeichen am Ende des letzten Absatzes ist ein Smilie, das sich frustriert mit der Hand auf die Stirn haut.
Eine Freundin sagte mir neulich, daß sie es klasse findet, wie ich es trotz allem immer wieder schaffe, die schönen Sachen in meinem Leben zu sehen bzw. zu finden. Also obwohl ich ja eigentlich klinisch depressiv bin und außerdem eine generalisierte Angststörung habe... das ist die Krankheit, bei der man ganz mühelos in der Lage ist, vor wirklich allem Angst zu haben, sogar vor dem eigenen Schatten...
Also habe ich beschlossen, darüber mal ein paar Worte zu schreiben. Und zwar einerseits für die anderen Leute in meinem Bekanntenkreis, die womöglich dasselbe denken, es mir aber noch nicht gesagt haben, und andererseits für alle, die hier womöglich sonst noch mitlesen und sich wundern, wie jemand einerseits behaupten kann, klinisch depressiv zu sein, und andererseits über solche banalen Sachen wie zufällig in der Firmenküche gefundene Krabbenchips oder Umhängetaschen mit Igelmotiv in Freudentaumel ausbrechen kann.
Hmm, wo soll ich anfangen...?
Erstens habe ich ja nicht nur meine Depression und meine Angstneurose, sondern auch noch ein paar andere Sachen, die mir paradoxerweise helfen, damit umzugehen.
Mein ADHS macht mich leicht ablenkbar; das heißt, manchmal verfalle ich allein deswegen nicht in tiefe Depressionen, weil z. B. eine Fliege vorbeifliegt und mich ablenkt, und dann kommen interessante Geräusche aus der Nachbarwohnung und lenken mich ab, und dann muß ich aufs Klo, und dabei bemerke ich, daß die Seife im Bad fast alle ist, und gehe rüber in die Küche, wo ich meinen Einkaufszettel aufbewahre, und in der Küche merke ich dann, daß ich auf dem langen Weg aus dem Bad (über 5 m zu Fuß!) vergessen habe, was ich eigentlich in der Küche wollte, und beschließe, mir stattdessen ein Glas Milch einzuschenken und ein wenig Geschirr zu spülen, usw. usf., und mit all dem habe ich dann mit etwas Glück soviel Zeit verplempert, daß es der beginnenden Depression langweilig wurde und sie sich verflüchtigt hat. Mit noch etwas mehr Glück schaffe ich es sogar, das Glas Milch nicht auf dem Küchentisch zu vergessen...
Und mein Asperger (OK, ohne offizielle Diagnose müßte ich eigentlich sagen: meine autistischen Züge) hindert mich daran, bestimmte Sachen, über die sich andere Leute grämen können, überhaupt wahrzunehmen – beispielsweise kann ich andere Leute und ihre Motivationen extrem schwer einschätzen, was mir zwar oft genug mein Leben schwerer macht, als es sein könnte, aber andererseits gehen solche Informationen wie „Kollege X und Kollege Y haben sich anscheinend verkracht und bemühen sich jetzt angestrengt, das niemanden merken zu lassen“ (und die für die meisten „normalen“ Leute darauf folgenden Überlegungen, was zwischen denen wohl vorgefallen sein mag, und Anstrengungen, sich seinerseits nicht anmerken zu lassen, daß man die dicke Luft zwischen den beiden bemerkt hat) an mir meist völlig vorbei.
(Ja, das meine ich alles ernst. Ablenkbarkeit und Nicht-Mitbekommen relevanter sozialer Informationen machen einem zwar, wie gesagt, das Leben nicht unbedingt immer leichter, aber andererseits können sie manchmal erstaunlich nützlich sein. Man bekommt zwar immer wieder irgend etwas auf die eine oder andere Weise Wichtiges nicht mit, aber andererseits bekommt man auch immer wieder irgend etwas nicht mit, worüber man sich sonst unnötig aufgeregt oder Sorgen gemacht hätte.)
Zweitens habe ich meine diversen Syndrome ja auch schon etwas länger (die Diagnosen kamen so nach und nach um das Jahr 2000 herum, waren aber eigentlich nur offizielle Bestätigungen von Sachen, die ich teils schon jahrelang, teils sogar schon mein ganzes Leben lang – oder zumindest solange ich zurückdenken kann – gehabt hatte) und hatte daher mehr als genug Zeit, um zu lernen, damit umzugehen. Beispielsweise habe ich irgendwann gemerkt, daß eine Depression nicht unbedingt bedeutet, daß man immer nur traurig in der Gegend herumsitzt. Nein, das Ganze hat auch positive Aspekte – man muß sie nur wahrnehmen.
Anscheinend gibt es zwei Grundtypen von Depression bzw. depressiver Episode: einen, bei dem man kaum oder gar keine Gefühlsregungen hat, und einen, bei dem man in tiefer Traurigkeit versinkt – also eine extreme, leider aber extrem negative, Gefühlsregung. Ich habe irgendwann gemerkt, daß die tiefe Traurigkeit nicht etwa bedeutet, daß ich „ein trauriger Mensch“ wäre oder so; nein, ich kann tiefe Traurigkeit empfinden, weil ich grundsätzlich tiefe Gefühlsregungen empfinden kann. Tiefe Freude kann ich nämlich auch empfinden. Und ich habe mir angewöhnt, auf die ganz bewußt zu achten, damit ich mich in den depressiven Phasen daran erinnern kann, daß es neben dieser blöden Dunkelheit auch noch Licht und eine Menge tolle Farben gibt. („Tiefe Freude“, seltsamer Ausdruck, ich weiß. Aber auf die Schnelle fällt mir nichts Besseres ein, oder zumindest nichts, was neben „tiefe Traurigkeit“ gut klingen würde.)
Die Variante, bei der man überhaupt keine oder nur ganz winzige Gefühlsregungen hat, ist ebenfalls unangenehm, wenn auch natürlich auf eine völlig andere Weise als so eine tiefe Traurigkeit. Der Vorteil bei so einer Abwesenheit von Gefühlsregungen ist: Man empfindet dabei auch keine starken negativen Gefühle. (Für mich als Angstneurotikerin heißt das vor allem: wenn ich depressiv bin, rege ich mich wenigstens über so gut wie nichts auf.)
Und drittens kenne ich einige nette Leute, die mich immer wieder aufmuntern. Einige von denen lesen hier sogar mit. :-)
Das Lustige ist, daß ich oft von jemandem aufgemuntert werde, der noch gar nicht weiß, daß ich das gerade zu diesem Zeitpunkt brauche. Daß also beispielsweise eine Mail von jemandem eintrifft, den ich mag, und zwar zufällig gerade zu einem Zeitpunkt, an dem es mir schlecht geht, aber bevor ich Gelegenheit hatte, das irgend jemandem (oder gar dem Absender der Mail) zu erzählen. Oder daß ich mit einer schwarzen Gewitterwolke über dem Kopf das Haus verlasse, beispielsweise um den Müll wegzubringen, und dabei zufällig der einen Nachbarin über den Weg laufe, die mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuquatscht (ich muß die Frau irgendwann mal fragen, ob sie wirklich sicher ist, daß sie Finnin ist, denn die sind ja normalerweise eher schweigsam), und die mich daraufhin so intensiv zuquatscht, daß die Gewitterwolke die Flucht ergreift.
Ich habe eine Freundin, mit der ich öfters per SMS kommuniziere. Manchmal schickt sie mir eine ganz kurze SMS, die womöglich nur aus einem Smilie besteht – beispielsweise zum Abschluß einer Konversation oder als Nachtrag, um mir mitzuteilen: die Sache, von der ich dir erzählt habe, ist gut gelaufen. Diese Mini-SMSe hebe ich mir nach Möglichkeit auf, damit ich sie bei Bedarf (also wenn ich irgendwie schlecht drauf bin) noch einmal ansehen und mich dann hoffentlich besser fühlen kann.
Viertens habe ich dank jahrelanger Therapie meine Depression und meine Ängste recht gut im Griff. Antidepressiva habe ich in meinem ganzen Leben erst dreimal genommen:
- Das erste Mal, als die Depression gerade diagnostiziert worden war und mein damaliger Hausarzt mit mir ausprobierte, ob ich auf Medikamente anspreche und, falls ja, auf welche. (Wie sich herausstellte, gehöre ich zu den Leuten, bei denen Antidepressiva der üblichen Typen so gut wie gar keine Wirkung zeigen. Und bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, mir Johanniskraut zu empfehlen: habe ich schon ausprobiert und nach mehreren absolut ergebnislosen Monaten wieder abgesetzt.)
- Das zweite Mal, als ich vor fast zwei Jahren eine sogenannte komplexe Trauerreaktion hatte, die mit wirklich ekligen Symptomen einherging, gegen die ich dann einen Monat lang ein eklig teures Medikament mit ekligen Nebenwirkungen nehmen mußte. (Wenn ich diese Symptome irgendwann noch einmal bekomme, werde ich lieber eine intensive Psychotherapie machen und dafür auf die Medikamente dankend verzichten. Die Psychotherapie würde zwar noch ekliger teurer, aber da ich ohne die Medikamente auch keine ekligen Nebenwirkungen hätte, würde sich das wirklich lohnen.)
- Das dritte Mal war eigentlich zeitlich vor dem zweiten Mal. Und zwar hatte ich Schlafstörungen und bekam ein mildes Beruhigungsmittel verschrieben, das „offiziell“ eigentlich ein Antidepressivum ist, das als Nebenwirkung Schläfrigkeit hat. Wenn man es in einer deutlich geringeren Dosis und immer abends vor dem Schlafengehen nimmt, verwandelt es sich sozusagen magisch in ein Beruhigungsmittel, das einem beim Einschlafen hilft (aber kein Schlafmittel im eigentlichen Sinne). Das Zeug hatte auf meine Depression nicht die geringsten Auswirkungen (natürlich nicht, bei der Dosierung), auf meinen Schlaf dafür um so deutlichere. Und zwar erfreuliche.
Glücklicherweise hat sich herausgestellt, daß die Stimulantien, die man als Mensch mit ADHS so zu sich nimmt, auch gegen Angst wirken. Oder zumindest gegen meine. (Ich habe schon seit längerer Zeit die Vermutung, daß meine Angstneurose eigentlich nur etwas ist, was sich mein hyperaktives und zur Langeweile neigendes ADHSler-Hirn sozusagen „gebastelt“ hat, um der Langeweile vorzubeugen. Diese Vermutung wird von der Beobachtung gestützt, daß meine Ängste deutlich abnahmen, sobald ich mit einer halbwegs zielgerichteten ADHS-Therapie – Methylphenidat plus explizit auf ADHS ausgerichtete Psychotherapie – anfing, während sie sich von der vorangegangenen eher auf typische Angstneurosen mit komorbider Depression (oder umgekehrt) ausgerichteten Therapie nicht im geringsten beeindruckt gezeigt hatten. Inzwischen langt als Stimulans an weniger stressigen Tagen, z. B. am Wochenende, auch eine große Tasse Grüntee zum Frühstück.)
Und sobald meine Therapeutin merkte, daß ich auf Antidepressiva eher nicht so sehr anspreche und die Depression auch keinerlei Anstalten machte, von selber wieder zu verschwinden, hat sie die Therapie dahingehend ausgerichtet, daß ich lernen sollte, mit der Depression zu leben. So habe ich über die Jahre einiges Nützliche gelernt. Unter anderem das Finden und Wahrnehmen von positiven Sachen. :-)
(Und ich habe gelernt, zu akzeptieren, daß ich anscheinend eine eher traurige Grundhaltung habe. Na und? Dann bin ich halt Bernd das Brot und nicht Chili das Schaf...)
Fünftens gehörte zu dieser Therapie (wie schon angedeutet) unter anderem, daß ich aufpaßte, was mir Freude macht – und was mir womöglich soviel Freude macht, daß ich mich damit sozusagen an meinen eigenen Haaren (wie Münchhausen aus dem Sumpf) aus einer beginnenden Depression hinausziehen kann. Und daß ich darauf achtete, von diesen Sachen immer wenigstens ein paar bei der Hand zu haben. (Das ist der „Werkzeugkasten“, den ich neulich erwähnt habe!)
Also habe ich zu Hause eine ganze Sammlung von CDs und DVDs mit Musik und Filmen, die mich irgendwie erfreuen. Und ich habe in der Küche einige Nahrungsmittel, die sich auf meine Stimmung irgendwie positiv auswirken. (Mal ganz davon abgesehen, daß ich darauf achte, immer genügend Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Ein Bekannter eines Bekannten hat seine Depression dadurch überwunden, daß er sich angewöhnt hat, jeden Tag mindestens vier Liter Wasser zu trinken. Bei mir funktioniert das leider nicht, aber ich kann immerhin meine Stimmung drastisch verbessern, indem ich mich einfach immer hinreichend stark hydriere.) Und ich habe eine Menge Bücher, die mich in verschiedenen negativen Stimmungslagen irgendwie aufheitern oder sonstwie erfreuen. Und da, wo ich wohne, gibt es eine Menge schöne Spazierwege. Undsoweiter.
So bin ich also nicht darauf angewiesen, daß mir das Leben bzw. das Universum irgend etwas vorlegt, was mich irgendwie erfreut, sondern ich kann mir selber eine Freude bereiten, wenn ich mal eine brauche. Gut, manchmal ist die negative Stimmung soweit fortgeschritten, daß ich nicht mehr selber darauf komme, sondern einen Schubser brauche; z. B. einen Anruf von einem Freund, der mir dann sagt: koch dir doch eine Tasse Tee oder hör schöne Musik oder geh spazieren oder... Und natürlich passiert das in den seltensten Fällen, daß zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt jemand anruft, der mir so einen guten Rat geben kann. Aber über die Jahre hat es sich ergeben, daß ich in meiner Wohnung erstens lauter kleine Hinweise auf solche Sachen herumliegen habe, die mich erfreuen könnten (da schweift mein depressiver Blick ziellos in der Gegend herum und bleibt z. B. an einem DVD-Box-Set hängen, bis mein Gehirn merkt, daß ich die Dinger ja eigentlich auch mal wieder angucken könnte), und zweitens diejenigen Sachen, die ich auch im normalen (also nicht-depressiven) Alltag brauche, immer griffbereit habe – zum Beispiel eine große Flasche Wasser oder Saft. Wie gesagt, wenn ich mich immer gut mit Flüssigkeit versorge, ist das schon mal ein solides Fundament für eine halbwegs gute Stimmung.
Sechstens: Ich weiß ganz genau, wer ich bin. Die meisten Menschen wissen das von sich nicht. Aber die meisten Menschen waren auch noch nie gezwungen, sich selbst ganz genau anzuschauen und dabei auch in die tiefen Abgründe in ihrem Innern zu sehen, weil die meisten Menschen halt weder Depression noch Angstneurose haben. Aber diese detaillierte Selbst-Kenntnis hilft mir sehr dabei, mit mir selbst und der Welt und dem Leben an sich klarzukommen. Ich habe beim Mich-Selbst-Erforschen ja auch nicht nur dunkle Abgründe gefunden, sondern auch (sozusagen) vergrabene Schätze. Und so kann man paradoxerweise sagen: Meine Depression hat mich zum Glücklicher-Werden gezwungen. Natürlich bin ich nicht ständig glücklich, aber das sind Nicht-Depressive ja auch nicht. (Es sei denn, sie haben eine unipolare Manie!)
Manchmal fühle ich mich ein bißchen wie Sara, die eine der beiden Orakel-Schwestern in American Dragon; das ist diejenige, die immer nur schlimme Sachen voraussieht und dennoch immer blendend gelaunt ist. Ihre Schwester Kara sieht immer nur gute Sachen voraus und ist immer schlecht gelaunt. Die beiden erklären das so: Kara ist immer griesgrämig, weil ihr Alltag im Vergleich zu all den tollen Sachen in ihren Visionen doch arg unbefriedigend ist. Sara dagegen vergleicht ihren Alltag (der mit dem von Kara mehr oder weniger identisch ist) mit den gräßlichen Sachen in ihren Visionen, und der Vergleich fällt natürlich sehr positiv aus, und deshalb ist sie immer fröhlich.
Siebtens: Vorbilder. Meine Mutter war ein großer Fan von Paul Gerhardt, von dem eine ganze Menge auch heute noch gesungene Lieder (vor allem Kirchenlieder) stammen; unter anderem „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“. Das muß man sich mal vorstellen: Der Mann lebte in einer postapokalyptischen Landschaft (Europa während und kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem ja ganze Dörfer ausgelöscht wurden) und schrieb Gedichte über die Schönheit von Tulpen... Solche und ähnliche Gedanken haben mir schon durch so manche depressive Phase geholfen und mich auch angeregt, selber mal zu versuchen, in meiner „postapokalyptischen Landschaft“ meine eigenen „schönen Tulpen“ zu finden.
(Wenn wir schon mal bei christlicher Dichtung sind, kann ich auch noch meine Bibel herauskramen: Wenn die Autorenzuordnung bei den Psalmen akkurat ist, dann kann ich mich außer an den Liedern und Gedichten von Paul Gerhardt auch daran trösten, daß der offenbar tief depressive Mensch, der den 69. Psalm geschrieben hat (die ersten paar Verse enthalten eine blumige, aber sehr treffende Beschreibung einiger typischer Depressionssymptome), derselbe war, der auch den 23. Psalm („Der Herr ist mein Hirte“) geschrieben hat.)
Und last but not least: Ich bin Meisterin im Verdrängen. ;-) Das schiebe ich wieder auf das gute alte ADHS... Wenn man hinreichend schnell von hinreichend vielen Sachen abgelenkt wird, fällt das, woran man ursprünglich dachte, irgendwann aus dem Arbeitsspeicher hinaus. Das ist oft natürlich (gelinde gesagt) nicht so furchtbar wünschenswert; aber wenn das, woran man ursprünglich dachte, hinreichend nervig (oder furchterregend oder deprimierend) ist, kann es echt praktisch sein...
Aber das habe ich ja schon oben unter „Erstens“ erwähnt. Soviel zum Thema Ablenkbarkeit... m(
Nachtrag: Das kryptische Knoddelzeichen am Ende des letzten Absatzes ist ein Smilie, das sich frustriert mit der Hand auf die Stirn haut.
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Mehrwertsteuer
Themen: Finnland
sileas, 17:59h
Neulich hat sich hierzulande anscheinend die Mehrwertsteuer geändert.
Davon hätte ich eigentlich kaum etwas mitbekommen, da die Sachen, für die ich am meisten bzw. am öftesten Geld ausgebe (Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs), zu einer Steuerklasse gehören, wo sich nichts geändert hat.
Allerdings bekam ich von meinem Provider schon im Vorfeld einen Brief, in dem ich darauf hingewiesen wurde, daß sich wegen der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung leider die Preise für Telefonie und Internet erhöhen würden.
In meinem Fall heißt das konkret: Statt wie früher 14,90 Euro im Monat zahle ich für meinen Internetzugang (plus vom Provider gemietetes Modem) jetzt grandiose 14,92 Euro.
Oh Schreck. ZWEI GANZE CENT. ;-)
Dafür schreiben die mir extra einen Brief? Gut, natürlich sind sie verpflichtet, mich über Preisänderungen rechtzeitig zu informieren. Aber zwei Cent? Das ist so ein Kleckerbetrag, daß es dafür hierzulande nicht einmal eine eigene Münze gibt. (Es gibt zwar finnische Euromünzen mit den üblichen Nennwerten, also von 1 Cent bis 2 Euro, aber die Einerlis und Zweierlis werden nicht verwendet. Ich habe ein paar Rollen von den Dingern im Bankschließfach liegen, nur für den rein hypothetischen Fall, daß die irgendwann etwas mehr als 1 bzw. 2 Cent pro Münze wert sind... Beim Einkaufen läuft es so, daß man den genauen Betrag zahlt, wenn man irgendwie bargeldlos zahlt (Bankkarte, Überweisung, Kreditkarte), und beim Barzahlen auf den nächsten Fünfer gerundet wird – daß man also ein bis zwei Cent mehr oder auch weniger berechnet, damit der Kunde einen auf 0 oder auf 5 endenden Betrag zahlen kann, denn noch kleinere Münzen hat ja weder der Kunde im Geldbeutel noch der Kassierer in der Kasse.)
Als ich letzte Woche bei der Post war, um Briefmarken zu kaufen, stellte ich zu meinem großen Erstaunen fest, daß die – anscheinend im Zuge derselben Steuer-Veränderungs-Maßnahme – billiger geworden sind. (Ich glaube, sie haben Briefmarken von einer Kategorie in eine andere verschoben und deshalb wird da jetzt nicht ein veränderter, sondern ein völlig anderer Steuersatz fällig, oder so etwas Ähnliches.) Na sowas. Auf einmal zahle ich für einen Brief, der früher eine 80-Cent-Marke brauchte, nur noch 75 Cent.
Dann kann ich mir jetzt von dem Geld, das ich bei zweimal Briefverschicken spare, 5 Monate teureres Internet leisten... <freu>
(Wobei ich jetzt noch darauf hinweisen möchte, daß bei der Konkurrenz das Internet-Paket, das am ehesten dem entspricht, das ich habe, schon vor der Mehrwertsteuererhöhung 14,95 Euro kostete. Aber nicht daß jetzt jemand auf die Idee kommt, ich wäre nur deshalb bei Saunalahti, weil ich da im Vergleich zur Konkurrenz 5 Cent im Monat spare; nein, die beiden Hauptgründe waren: (1) Bei denen bzw. deren Muttergesellschaft bin ich wegen meines Festnetzvertrages sowieso schon Kundin, und (2) über deren Modem habe ich sehr schnell im Internet herausgefunden, daß es mit Linux funktioniert, über das der Konkurrenz weiß ich’s heute immer noch nicht. Normalerweise sind solche einstelligen Centbeträge bei meinen Kaufentscheidungen eher irrelevant, aber wenn gleichzeitig die eine Sache teurer und die andere dafür billiger wird, ist das ja schon lustig.)
Davon hätte ich eigentlich kaum etwas mitbekommen, da die Sachen, für die ich am meisten bzw. am öftesten Geld ausgebe (Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs), zu einer Steuerklasse gehören, wo sich nichts geändert hat.
Allerdings bekam ich von meinem Provider schon im Vorfeld einen Brief, in dem ich darauf hingewiesen wurde, daß sich wegen der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung leider die Preise für Telefonie und Internet erhöhen würden.
In meinem Fall heißt das konkret: Statt wie früher 14,90 Euro im Monat zahle ich für meinen Internetzugang (plus vom Provider gemietetes Modem) jetzt grandiose 14,92 Euro.
Oh Schreck. ZWEI GANZE CENT. ;-)
Dafür schreiben die mir extra einen Brief? Gut, natürlich sind sie verpflichtet, mich über Preisänderungen rechtzeitig zu informieren. Aber zwei Cent? Das ist so ein Kleckerbetrag, daß es dafür hierzulande nicht einmal eine eigene Münze gibt. (Es gibt zwar finnische Euromünzen mit den üblichen Nennwerten, also von 1 Cent bis 2 Euro, aber die Einerlis und Zweierlis werden nicht verwendet. Ich habe ein paar Rollen von den Dingern im Bankschließfach liegen, nur für den rein hypothetischen Fall, daß die irgendwann etwas mehr als 1 bzw. 2 Cent pro Münze wert sind... Beim Einkaufen läuft es so, daß man den genauen Betrag zahlt, wenn man irgendwie bargeldlos zahlt (Bankkarte, Überweisung, Kreditkarte), und beim Barzahlen auf den nächsten Fünfer gerundet wird – daß man also ein bis zwei Cent mehr oder auch weniger berechnet, damit der Kunde einen auf 0 oder auf 5 endenden Betrag zahlen kann, denn noch kleinere Münzen hat ja weder der Kunde im Geldbeutel noch der Kassierer in der Kasse.)
Als ich letzte Woche bei der Post war, um Briefmarken zu kaufen, stellte ich zu meinem großen Erstaunen fest, daß die – anscheinend im Zuge derselben Steuer-Veränderungs-Maßnahme – billiger geworden sind. (Ich glaube, sie haben Briefmarken von einer Kategorie in eine andere verschoben und deshalb wird da jetzt nicht ein veränderter, sondern ein völlig anderer Steuersatz fällig, oder so etwas Ähnliches.) Na sowas. Auf einmal zahle ich für einen Brief, der früher eine 80-Cent-Marke brauchte, nur noch 75 Cent.
Dann kann ich mir jetzt von dem Geld, das ich bei zweimal Briefverschicken spare, 5 Monate teureres Internet leisten... <freu>
(Wobei ich jetzt noch darauf hinweisen möchte, daß bei der Konkurrenz das Internet-Paket, das am ehesten dem entspricht, das ich habe, schon vor der Mehrwertsteuererhöhung 14,95 Euro kostete. Aber nicht daß jetzt jemand auf die Idee kommt, ich wäre nur deshalb bei Saunalahti, weil ich da im Vergleich zur Konkurrenz 5 Cent im Monat spare; nein, die beiden Hauptgründe waren: (1) Bei denen bzw. deren Muttergesellschaft bin ich wegen meines Festnetzvertrages sowieso schon Kundin, und (2) über deren Modem habe ich sehr schnell im Internet herausgefunden, daß es mit Linux funktioniert, über das der Konkurrenz weiß ich’s heute immer noch nicht. Normalerweise sind solche einstelligen Centbeträge bei meinen Kaufentscheidungen eher irrelevant, aber wenn gleichzeitig die eine Sache teurer und die andere dafür billiger wird, ist das ja schon lustig.)
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Posttherapie
Themen: Neuro-Psycho, Postcrossing
sileas, 17:30h
Muß ich schnell zum Patent anmelden, bevor’s ein anderer tut.
Seit ich Mitglied bei Postcrossing bin, also innerhalb der letzten paar Wochen, hat sich meine Einstellung zum Post-Bekommen grundlegend geändert.
Früher hat es mir immer etwas gegraut, wenn ich den Briefträger die Treppe heraufkommen hörte. (In finnischen Mehrfamilienhäusern mit nicht allzu vielen Stockwerken – unser Haus hat derer drei – gibt es keine Briefkästen in der traditionellen Kastenform, sondern die Wohnungstüren haben Briefschlitze.) Oder wenn ich (falls ich zu der betreffenden Uhrzeit – früher Nachmittag – nicht daheim war) beim Heimkommen die Tür aufsperrte und mich fragte, was mich heute wohl erwartete.
Denn ich bekam eigentlich nur zwei Arten von Post:
Ein guter Tag war einer, an dem ich entweder gar keine Post bekam oder zumindest nur Werbesendungen. Oder meinetwegen diese Steuerzahler-Zeitschrift.
(Daß bei dieser Betrachtungsweise die meisten Tage „gute Tage“ sind, bedeutet leider nicht, daß mir nicht trotzdem jedesmal, wenn ich den Briefträger kommen hörte bzw. beim Heimkommen die Tür aufschloß, etwas bang zumute wurde.)
Aber jetzt ist alles anders. Denn jetzt bekomme ich ja noch eine dritte Art von Post, nämlich Postkarten aus aller Welt. :-)
Jetzt ist ein guter Tag nicht mehr einer ohne Post, sondern einer, an dem ich eine Postkarte bekomme.
Und inzwischen freue ich mich fast jeden Tag auf die Post. Heute, Sonntag, habe ich mich sogar dabei erwischt, daß ich mich darüber ärgerte, daß ich heute keine Post bekommen würde.
Nicht schlecht für eine Angstneurotikerin, der es bis vor kurzem noch jeden (Werk-) Tag vor der Post graute. Oder? :-)
So einfach kann es manchmal sein...
Inzwischen habe ich übrigens schon neun Karten verschickt (von denen fünf auch schon angekommen sind) und sechs bekommen.
(Das Ganze erinnert mich ein bißchen an den Fall einer Bekannten, die als Kind fürchterliche Angst vor Hunden hatte – bis sich Freunde von ihr einen Tibet-Terrier zulegten. Diese Rasse ist unglaublich freundlich und unglaublich verspielt und sieht außerdem aus wie ein Wollknäuel auf Beinen; eine von diesen Hunderassen, wo man vorne und hinten am besten daran unterscheiden kann, daß nur eins der beiden Enden wedelt. Durch den Kontakt mit diesem Hund hat sie ihre Angst vor Hunden sehr schnell verloren, und inzwischen hat sie selber einen Hund.)
Aaaaah, Posttherapie... sollte ich vielleicht schnell zum Patent anmelden, bevor’s ein anderer tut... Tibet-Terrier-Therapie ebenfalls. ;-)
Seit ich Mitglied bei Postcrossing bin, also innerhalb der letzten paar Wochen, hat sich meine Einstellung zum Post-Bekommen grundlegend geändert.
Früher hat es mir immer etwas gegraut, wenn ich den Briefträger die Treppe heraufkommen hörte. (In finnischen Mehrfamilienhäusern mit nicht allzu vielen Stockwerken – unser Haus hat derer drei – gibt es keine Briefkästen in der traditionellen Kastenform, sondern die Wohnungstüren haben Briefschlitze.) Oder wenn ich (falls ich zu der betreffenden Uhrzeit – früher Nachmittag – nicht daheim war) beim Heimkommen die Tür aufsperrte und mich fragte, was mich heute wohl erwartete.
Denn ich bekam eigentlich nur zwei Arten von Post:
- Werbesendungen. (OK, die sind nicht unbedingt negativ, aber auch nicht unbedingt etwas, worauf ich mich jeden Tag freuen könnte: Juhu, im Bauhaus gibt’s Rasenmäher im Angebot! Oder: Juhu, schon wieder ein neuer Pizzaservice in unserem Viertel, die schon vorhandenen siebenunddreißig schaffen es ja nicht alleine, uns ordentlich zu füttern! – Oder wie man sich solche Freude sonst vorstellen sollte.)
- „Offizielles“; also Rechnungen, Post von Ämtern und so weiter. Das waren die Sachen, vor denen ich mich richtig gruselte (und immer noch grusele). Vor den Rechnungen inzwischen nicht mehr so sehr wie früher, da ich durch langjährige Erfahrung gelernt habe, daß die Rechnungen, die ich üblicherweise bekomme, entweder über einen Fixbetrag (Internetanschluß, Versicherungen) oder zumindest einen mir schon vorher bekannten Betrag gehen (Bestellungen z. B. bei Amazon) oder über einen zwar ständig etwas wechselnden, aber immer relativ niedrigen Betrag (Telefon, Strom). Briefe von Ämtern jagen mir allerdings immer noch zuverlässig einen großen Schrecken ein; sogar die (fast) alljährliche Benachrichtigung über meine Einkommenssteuer-Rückvergütung... Und auch Briefe von meiner Bank erschrecken mich jedes Mal aufs neue, auch wenn ich weiß, daß da meistens sowieso nur mein aktueller Kontoauszug drin ist, also quasi die in Papier gegossene Version von Informationen, die ich (dank E-Banking) sowieso schon hatte.
Ein guter Tag war einer, an dem ich entweder gar keine Post bekam oder zumindest nur Werbesendungen. Oder meinetwegen diese Steuerzahler-Zeitschrift.
(Daß bei dieser Betrachtungsweise die meisten Tage „gute Tage“ sind, bedeutet leider nicht, daß mir nicht trotzdem jedesmal, wenn ich den Briefträger kommen hörte bzw. beim Heimkommen die Tür aufschloß, etwas bang zumute wurde.)
Aber jetzt ist alles anders. Denn jetzt bekomme ich ja noch eine dritte Art von Post, nämlich Postkarten aus aller Welt. :-)
Jetzt ist ein guter Tag nicht mehr einer ohne Post, sondern einer, an dem ich eine Postkarte bekomme.
Und inzwischen freue ich mich fast jeden Tag auf die Post. Heute, Sonntag, habe ich mich sogar dabei erwischt, daß ich mich darüber ärgerte, daß ich heute keine Post bekommen würde.
Nicht schlecht für eine Angstneurotikerin, der es bis vor kurzem noch jeden (Werk-) Tag vor der Post graute. Oder? :-)
So einfach kann es manchmal sein...
Inzwischen habe ich übrigens schon neun Karten verschickt (von denen fünf auch schon angekommen sind) und sechs bekommen.
(Das Ganze erinnert mich ein bißchen an den Fall einer Bekannten, die als Kind fürchterliche Angst vor Hunden hatte – bis sich Freunde von ihr einen Tibet-Terrier zulegten. Diese Rasse ist unglaublich freundlich und unglaublich verspielt und sieht außerdem aus wie ein Wollknäuel auf Beinen; eine von diesen Hunderassen, wo man vorne und hinten am besten daran unterscheiden kann, daß nur eins der beiden Enden wedelt. Durch den Kontakt mit diesem Hund hat sie ihre Angst vor Hunden sehr schnell verloren, und inzwischen hat sie selber einen Hund.)
Aaaaah, Posttherapie... sollte ich vielleicht schnell zum Patent anmelden, bevor’s ein anderer tut... Tibet-Terrier-Therapie ebenfalls. ;-)
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