Dienstag, 9. Dezember 2008
Reisetagebuch
Themen: Vermischtes
11NOV

3 Uhr: Wecker klingelt.

4 Uhr: Taxi zum Flughafen.

4:15 Uhr: Einchecken, zum ersten Mal am Automaten. Das Interface hat gewisse (sagen wir mal) Seltsamkeiten aufzuweisen – der Touchscreen ist nicht gerade berührungsempfindlich („Hau-Screen“ hat das mal jemand genannt), und das Symbol für „dieser Sitzplatz ist schon besetzt“ sieht eher nach „freier Sitzplatz“ aus, so daß ich eine Weile ergebnislos herumtippe, bevor ich endlich einen Sitzplatz bekomme. <seufz> Eigentlich sollte ich mich ja erholen und abschalten und so, aber wenn man im Beruf viel mit Usability zu tun hat, ist das nicht so leicht, wie ich gerade merke.

Trotz allem geht das Einchecken recht schnell, und die Dame am KLM-Schalter meint auf meine Frage hin, auch ihre Arbeit werde durch diese Automaten wesentlich erleichtert. (Natürlich – jetzt kann man als Passagier seine seltsamen Sonderwünsche direkt an den Automaten weitergeben, statt ihr erklären zu müssen, man wolle z. B. am liebsten am Fenster sitzen, aber nicht in der allerersten und auch nicht in der allerletzten Reihe, am besten unmittelbar hinterm Flügel, aber auf keinen Fall in Reihe 13, aber eine andere Primzahl wäre schon nett, oder, wenn ich’s recht bedenke, gerne auch eine Quadratzahl, schade übrigens, daß Sie keine Mersenne-Primzahlen vorrätig haben, ja, ich hatte Mathe als Leistungskurs, wieso fragen Sie? Und ach ja, wir fliegen ja nach Süden, also bitte auf der linken Seite, sonst blendet die aufgehende Sonne so furchtbar. Undsoweiter.)

4:20 Uhr: Ohne mich an das finnische Wort für „verstaucht“ erinnern zu können, muß ich dem netten Sicherheitsmenschen erklären, was das für ein komisches Ding an meinem Handgelenk ist und warum ich es abnehmen kann, ohne daß er vorher sicherheitshalber einen Krankenwagen rufen müßte. Der Gebärdensprachkurs vor ein paar Jahren macht sich mal wieder bezahlt – seitdem kann ich erstaunlich viel „mit Händen und Füßen“ ausdrücken.

(Bei dem geheimnisvollen Ding handelte es sich um eine stützende Handgelenkmanschette. Was das auf finnisch heißt, wußte ich auch nicht. Er auch nicht, aber immerhin erkannte er, daß weder von dem Ding noch von meinem Handgelenk irgendeine Gefahr ausging.)

4:25 Uhr: Mist, alle interessanten Läden im Transitbereich sind noch zu.

4:30 Uhr: Hydrieren. (Auf ärztlichen Rat hin trinke ich vor jedem Teilstück meiner Flugreise mindestens einen halben Liter, diesmal Orangenlimonade.)

4:40 Uhr: Schon seltsam, in einem Café zu sitzen und mit Stift und Papier zu bloggen. Dabei habe ich als Teenie doch bändeweise Tagebuch geschrieben...

In Deutschland ist es jetzt 3:40 Uhr.

Schnarch...

6:15 Uhr: Liftoff!

6:45 Uhr: Es gibt Frühstück. Bei KLM ist jetzt anscheinend alles irgendwie organisch (zumindest steht das auf den Verpackungen). Wesentlich anders als vorher schmeckt’s allerdings auch nicht. Das unfallfreie Öffnen des Joghurtbechers bei Unterdruck ist, wie immer, nicht ganz einfach. Das Vollkorn-Käsebrötchen ist dafür um so leckerer (aber jetzt ist meine Bluse voller Körner). Mit der Sicherheit haben sie’s etwas übertrieben – mit dem Plastikmesserchen kann ich nicht einmal dem mitgelieferten Stück Butter etwas zuleide tun. (Zum Glück ist das Brötchen so warm, daß ich kurzerhand das Butterstück als Ganzes hineinlege und schmelzen lasse.)

Mein Niederländisch langt immerhin schon zur Benennung der Mahlzeit, die ich gerade einnehme: ontbijt. Die Lautsprecherdurchsagen verstehe ich auch, aber das mag auch daran liegen, daß ich sie nach all den Jahren inzwischen fast auswendig kann...

7:30 Uhr: Draußen wird’s heller. Um uns herum ist der Himmel definitiv indigofarben und nicht mehr schwarz.

8:30 Uhr: Endlich in Schiphol. Ich gehe zuallererst mal zum „Bubbles“ und gönne mir ein Krabbenbrötchen und ein Glas Chardonnay. Danach noch einen halben Liter Limonade, von wegen Hydrieren und so...

Reiselektüre aus einer der Flughafenbuchhandlungen: „Musicophilia“ von Oliver Sacks und „The Black Swan“ von Nassim Nicholas Taleb.

Mein lieber Provider fängt an, mich mit SMSen zum Thema Roaminggebühren zu bombardieren.

13:00 Uhr: Ich habe es tatsächlich geschafft, mit dem ÖPNV (und zwei Koffern und einer Laptoptasche) von Findel zum Luxemburger Hauptbahnhof zu kommen, und warte nun zwischen gefühlten 700 kettenrauchenden Preteens auf den nächsten Bus. (Beim nächsten Mal sollte ich wohl entweder zu einer anderen Tageszeit reisen, um nicht ausgerechnet pünktlich zum Schulschluß an der Bushaltestelle zu landen, oder an einem Wochenende, wenn die Preteens den ganzen Tag woanders kettenrauchen als ausgerechnet auf dem Schulweg.)

15:00 Uhr: Endlich angekommen.
12NOV

Mein Mobiltelefon ist der Meinung, es wäre in Frankreich.

Das Saarland ist humider als Südfinnland. Der Getreidekaffee, den ich im Juni angebrochen habe, ist buchstäblich vermodert. Der Getreidekaffee, den ich im April in Finnland angebrochen habe, ist noch vollkommen in Ordnung.

Beim Stadtbummel sehe ich im Schaufenster eines Kunsthandwerkladens ein faszinierendes Armband und komme arg in Versuchung, sofort im nächsten Fachgeschäft dicken Draht und Bugles (diese länglichen dünnen Glasperlen; keine Ahnung, wie die auf deutsch heißen) zu kaufen und es nachzubauen.

Zum Abendessen ein kleines Abenteuer: Almighurt Mohn-Marzipan-Joghurt, eine faszinierende Kombination.
13NOV

Da, wo früher XL Moden am Markt war, ist jetzt ein Fachgeschäft für Perlen aller Art. Da muß ich mal stöbern gehen.

Abendessen mit H. im Stiefel-Bräu. Sie lädt mich für Anfang Dezember zu einer Dichterlesung ein; schade, daß ich dann schon wieder abgereist sein werde...

Wenn ich den Alkoholgehalt des leckeren Bockbiers wüßte, könnte ich jetzt ausrechnen, wie blau ich bin. Die Formel habe ich mir vor einigen Jahren mal besorgt (und mein Mobiltelefon hat eine Taschenrechner-Funktion; die braucht man für sowas, denn man muß unter anderem durch 0,79 (das spezifische Gewicht von Alkohol) dividieren, bevor man einen Promille-Wert erhält).

Auf der Heimfahrt im Bus ertönt plötzlich das Lied vom Häschen Schnuffel. Wie sich herausstellt, hatte sich das eine Frau in meinem Alter als Klingelton gewählt. Ich fühle mich plötzlich entsetzlich alt und weise.

Probleme mit meiner derzeitigen Kunstsprache (die mangels eines „richtigen“ Namens noch „L5“ heißt) – nicht direkt mit der Sprache, sondern mit der grammatischen Beschreibung. Wo kriege ich um diese Uhrzeit bloß ohne Internetzugang Informationen über Syntactic alignment (wie immer das auf deutsch heißt)?
14NOV

Planung einer Kurzreise nach Karlsruhe, um A. zu besuchen. Dabei ergibt sich der folgende interessante Dialog:

A: ... und wenn ich in der Vorlesung sitze, kannst Du im Café XYZ gemütlich auf mich warten. Moment mal, du hast doch einen Laptop, oder?

Ich: Ja?

A: Bringst du den mit?

Ich: Klar.

A: Im Café hat’s WLAN.

Ich: Und?

A: Na, du stellst Fragen – dort kannst du dann mit deinem Laptop ins Internet.

Ich: Hab kein Internet.

A: ... Wozu hast du dann einen Laptop?

(Die Erklärung, was ein Air gap ist und daß bei meinem Laptop der Bundestrojaner keine Chance hat, hat ihm eingeleuchtet.)
15NOV

Im Perlengeschäft einige interessante Lamp beads gekauft.

(Bugles, Lamp beads... gerade fällt mir auf, daß ich die halbe Perlenterminologie nur auf englisch kenne. Das kommt davon, wenn man immer amerikanische Fachliteratur kauft. <seufz>)
16NOV

Besuch bei I., die mit einem Links-Politiker verheiratet ist. Jetzt kenne ich jemanden, der Gregor Gysi kennt. :-)

Außerdem erfahre ich, daß vor einigen Jahren endlich jemand gemerkt hat, daß der Lehrer S. (an den ich, wenn wir amerikanische Rechtsverhältnisse hätten, meine Psychotherapie-Rechnungen schicken dürfte) pädagogisch herzlich ungeeignet ist. Er wurde aus dem Lehramt entfernt und an eine Bibliothek strafversetzt; vermutlich weil man dachte, da könne er am wenigsten Schaden anrichten. Mein erster spontaner Gedanke: Die armen Bücher, die haben doch niemandem was getan und dann kriegen sie sowas. Mein zweiter Gedanke: Andererseits – für jemanden wie S. muß so ungefähr die Hölle aussehen: ganz allein unter Tausenden von Büchern. <fiesgrins>

Ich gebe mir Mühe, der Versuchung zu widerstehen, über „Gefährliche Bücher“ (im Moers’schen Sinne) in dieser Bibliothek zu phantasieren.
17NOV

Beim Notar: Erbschein und ein paar andere Dokumente abholen und eine Vollmacht beglaubigen. (Das war die Sache, wegen der ich neulich zur Botschaft mußte.)

Endlich lerne ich den Mann mal persönlich kennen; wir kannten uns bis dahin nur durch Mails und Telefongespräche.

Der Notar erwähnt, daß ich bald noch ein bißchen Geld bekomme:

N: Ein Kollege in Saarbrücken ist Nachlaßverwalter von jemandem, der Ihrer Tante noch Geld schuldete. Ihr Anteil beläuft sich auf 75 Euro.

Da meine Tante schon vor mehreren Jahren gestorben ist und wir eigentlich dachten, das Erbe sei inzwischen komplett verteilt (und von der diesbezüglichen Steuerforderung habe ich immer noch Alpträume), ist das natürlich eine nette Überraschung.

Nächste Überraschung: Der Briefbogen des Saarbrücker Kollegen, den er auf dem Schreibtisch liegen hat, kommt mir bekannt vor.

Ich: Toll, da muß ich ihn gleich mal anrufen und mich bedanken.

N: Wieso? Kennen Sie sich etwa?

Der Nachlaßverwalter dieses Schuldners meiner Tante ist mein Cousin dritten Grades, um zwei Generationen verschoben (oder einfacher: der Onkel meines Vaters). Im Saarland kennt anscheinend wirklich jeder jeden – vor allem, wenn man bedenkt, daß ich ein paar Tage später erfahre, daß in dieser Angelegenheit irgendwie noch der Nachlaß meiner Kusine dritten Grades, um drei Generationen verschoben (die Tante besagten Cousins) drinhängt.
18NOV

Jetzt habe ich bei Bank A ein Nachlaßkonto. Ich fühle mich auf einmal entsetzlich erwachsen.

Bei Bank B habe ich für nächste Woche einen Termin, weil es dort anscheinend komplizierter wird.

Der Sachbearbeiter bei Bank C überrascht mich mit der Information, als im Ausland wohnhafte Sparbuchinhaberin müsse ich keine Steuern auf Kapitalerträge zahlen und brauche daher auch keinen Freibetrag geltend zu machen. Andererseits müsse ich meine deutschen Kapitalerträge natürlich dem finnischen Finanzamt melden – das bedeutet mehr Arbeit für mich, weil die deutschen Banken diesbezügliche Meldungen nicht automatisch ans Finanzamt im Wohnsitzland weiterleiten. (Naja, „Arbeit“... Finnische Steuererklärungen sind zum Glück recht einfach und benutzerfreundlich. Das Finanzamt trägt selber schon alles ein, was es weiß, und ich muß nur noch überprüfen, ob sie meine Kontonummer – für eventuelle Rückvergütungen – richtig geschrieben haben, und meine Werbungskosten (Bus-Monatskarte) eintragen.

Der Rest des Tages verläuft eher seltsam. Mein Zeitgefühl ist noch viel schlechter als sonst; war ich wirklich erst gestern beim Notar? Und Freitag ist erst vier Tage her? Ich bin erst vor einer Woche angekommen? Die verflossene Zeit kommt mir „vollgestopft“ und ereignisreich vor, aber ich kann mich kaum an konkrete Ereignisse erinnern. Irgendwie bin ich der Meinung, die ganzen Tage nur am Computer gesessen und Filme angesehen und ab und zu etwas gegessen zu haben.
19NOV

Ich fahre zu A. nach Karlsruhe. Unterwegs muß ich zweimal umsteigen. Wenigstens weiß ich noch von früheren Reisen, daß das Regionalbahnnetz der Deutschen Bahn recht gut koordiniert ist und bestimmte Züge als „designierte Anschlußzüge“ aufeinander warten.
20NOV

Mein Gastgeber verbringt um diese Jahreszeit die eine Hälfte des Tages bei der Arbeit und die andere Hälfte an der Uni. Währenddessen „parkt“ er mich in diversen Cafés (was für Menschen meines Typs durchaus OK ist: gebt mir ein paar interessante Bücher und füttert mich regelmäßig und ich bin glücklich). Heute frühstücken wir in einem Café im Zentrum, wo ich auch den Rest des Vormittags verbringe, während A. zur morgendlichen Probe eilt (er ist nämlich Musiker).

Natürlich habe ich vergessen, mir den Namen des Cafés zu notieren; schade, ich würde es gerne weiterempfehlen, denn man sitzt dort sehr gemütlich und das Frühstück war echt lecker. (Der einzige „Fehler“ bei meinem „englischen Frühstück“ – komplett mit gebratenem Speck und Orangenmarmelade – bestand darin, daß sie die Tomate und die Salatblätter, die auf dem Teller lagen, nicht mitgebraten hatten. Aber Nicht-Briten darf man sowas wohl verzeihen.)

Nach dem Frühstück habe ich endlich mal wieder Zeit zum Sprachbasteln; L5 hat jetzt eine etwas konsistentere Phonologie (dank einer neuen Dissimilationsregel, die den Überschuß an [m]-Lauten beseitigt hat) und (Trommelwirbel, bitte) Relativsätze. Beziehungsweise Verbalsubstantiv-Konstruktionen, die das ausdrücken, was im Deutschen mit Relativsätzen ausgedrückt wird.

Am Nachmittag noch eine Lektion des Lebens: Ein geliehenes Fahrrad, bei dem sich zwar der Sattel, nicht aber der Lenker in der Höhe verstellen läßt, ist womöglich suboptimal. Ein geliehenes Fahrrad, das außerdem an jeder Seite des Lenkers je eine Handbremse hat, von denen leider keine offensichtlich als zu einem bestimmten Rad gehörig gekennzeichnet ist, ist noch ein bißchen suboptimaler. Ich möchte nicht wissen, wie ich ausgesehen habe – in meiner unergonomischen Buckelhaltung, vermutlich in Schlangenlinien fahrend, weil das mit dem Lenken nicht ganz einfach ist, wenn man sich (mangels Rücktritt) nicht traut, die Finger auch nur einen Moment von einer der beiden Handbremsen zu nehmen (die man grundsätzlich gleichzeitig bedient, weil man sich bei der Fahrt durch eine fremde Stadt an einem dunklen, feuchten Winterabend auf zu viele andere Dinge konzentrieren muß, um sich auch noch bei Bedarf daran erinnern zu können, welche der Handbremsen nun die „richtige“ (also die fürs Hinterrad) ist)...

Aber wenigstens führte die Fahrt auf diesem abenteuerlichen Gefährt zur Kantine des Opernhauses, wo es an diesem Abend Gänsebraten gab. Mit dem leckersten Rotkraut, das ich je gegessen habe, als Beilage.

(Das hört sich jetzt fast so an, als hätte ich in Karlsruhe meine gesamte Freizeit mit Essen verbracht. Habe ich natürlich nicht; aber das Essen dort war halt etwas ganz Besonderes. Die Opernkantine hat wirklich gute Köche und auch gute Lieferanten.)

Dazwischen immer diese (vor allem für mich als Außenstehende) faszinierenden Lautsprecherdurchsagen: „Tenöre bitte zum linken Bühneneingang!“ – „Noch 15 Minuten bis zum Vorstellungsbeginn! Klingeling!“ – und dann wieder der Koch: „Spaghetti sind fertig!“

So ein Opernhaus gleicht wirklich einer gut geölten Maschine.
21NOV

Die Nacht war echt seltsam. Ich träumte, ich würde ständig aufwachen und bemerken, daß sich in der Mitte des Bettes eine Schlucht aufgetan hätte, in die ich jedesmal prompt hineinfiel.

Das Frühstück war zum Glück ganz besonders gut. In der Opernkantine gibt’s das (bis jetzt) beste Rührei der Welt. :-)

Noch ein wenig Zeit zum Sprachbasteln; L5 hat endlich einen Namen („Imash“) und die Ansätze einer Kultur.

A. ist in einem Fantasy-Verein aktiv und möchte von mir – bzw. mit meiner Hilfe – ein paar Sprachen entwickelt bekommen. <seufz> Die eine sollte eigentlich ganz einfach sein; eigentlich handelt es sich bloß um eine Art Weiterentwicklung einer bereits bestehenden Sprache. Aber irgendwie ist „transkribiere die vorhandene Wortliste der Sprache <sagichnich> in irgendwas Phonemisches und pack eine nicht allzu komplexe Morphologie drauf, also nix mit Ergativ oder ähnlichen Schweinereien“ genau die Art von Projekt, die ich problemlos monatelang vor mir herschieben kann.

Eine weitere Sprache soll eigentlich eher ein Code als eine Sprache sein; allerdings sollen die codierten Wörter noch aussprechbar sein. Da wird mir schlagartig der Unterschied zwischen meiner linguistischen Denkweise und der „normalen“ bewußt; ich denke ganz automatisch in phonetischen Kategorien und gehe bei einer solchen Aufgabenstellung erst einmal hin und definiere mir ein paar Mengen (die Menge der Vokale, die Menge der Plosive usw.) und muß dann mit Gewalt davon abgehalten werden, ein paar endliche Automaten zu zeichnen. <seufz> TWOL ist und bleibt halt mein Lieblings-Grammatikformalismus... Leider haben Nicht-Computerlinguisten für sowas meist kein Verständnis. Aber wenigstens habe ich es in diesem konkreten Fall mit jemandem zu tun, der einen soliden technischen Hintergrund hat und daher auf endliche Automaten nicht so allergisch reagiert wie die meisten anderen Menschen.

Abendessen im „Oxford“: A. ist begeistert, daß er von dort ins WLAN der Universität (auf der anderen Straßenseite) kommt. Während wir auf unsere Freunde aus München warten, die heute abend auf dem Weg nach irgendwoandershin in Karlsruhe vorbeischauen wollen, gönne ich mir das Tagesgericht: Spaghetti mit einer cremigen Tomaten-Paprika-Soße.

Jetzt werde ich endlich meine Frage zur walisischen Morphologie los (die männliche Hälfte des Paares aus München ist Wales-Fan und kann auch ganz gut Walisisch). :-)

Die beiden erklären sich lieberweise bereit, mich mit dem Auto zum Bahnhof zu bringen; prima, so muß ich jetzt nicht noch die richtige Straßenbahn suchen gehen, und sie kommen vom Bahnhof aus schnell weiter, da er direkt an der Autobahn liegt.

Mein Reizdarm macht an diesem Abend seltsame Sachen: Auf dem Weg zum Bahnhof rumort er wie verrückt, so daß ich mir vornehme, im Zug zuallererst die Toilette aufzusuchen. Aber sobald ich im Zug sitze, ist der Darm mucksmäuschenstill. Dafür überfällt mich in Neustadt die Depression, und ich sitze den Rest der Fahrt leise weinend in meiner Ecke. :-(
22NOV/23NOV

Über Nacht hat es geschneit. Zum Glück muß ich heute nicht raus.

Oder was heißt hier „zum Glück“; an diesem Wochenende hatte ich so richtig schön Gelegenheit, mich in meine Depressionen zu vertiefen. Grummel. Aber wenigstens habe ich am Montag endlich einen Arzttermin, vielleicht kann man mir da weiterhelfen...

Nach ein paar unterhaltsamen Stunden mit Pschyrembels Klinischem Wörterbuch habe ich unter anderem gelernt, daß mein seltsam „verdrehtes“ Zeitgefühl neulich ganz gut in das Gesamtbild „Depression“ und „Trauersymptomatik“ paßt. Außerdem habe ich eine lange Liste von schrecklichen Krankheiten zusammengestellt, die ich alle nicht habe. (Z. B. das Cotard-Syndrom. Echt gruselig. Was man alles kriegen kann...)
24NOV

Am Morgen die angeblich „etwas kompliziertere“ Beratung bei Bank B. So furchtbar kompliziert war’s gar nicht, aber immerhin bin ich jetzt stolze Besitzerin eines riesigen Stapels Informationsmaterial von (zumindest von der Form her) ausgezeichneter Qualität. Hach, wie gut es tut, mal wieder einen Text zu lesen, dessen Verfasser den Unterschied zwischen Bindestrich, Gedankenstrich und Minuszeichen kennt...

Danach dann der Arztbesuch. Ich beschreibe mein Problem, und der Arzt beschreibt mir, was er für eine Behandlung anfangen würde, wenn ich seine Patientin wäre. Aber ich reise ja am Samstag schon wieder ab. Also trägt er mir auf, das, was er mir erklärt hat, meinem Facharzt in Finnland weiterzusagen, damit der mich entsprechend behandeln kann. (Erschwerend kam noch hinzu, daß der deutsche Arzt nicht nur keine so dicke Akte über mich hat wie der finnische, sondern daß ich außerdem ein Medikament nehme, das in Deutschland gar nicht zugelassen ist. Daher hätte der deutsche Arzt mir extrem ungern ein Rezept ausgestellt; schließlich hatte er über das Medikament, das ich schon nehme, nur minimale Informationen und hätte nur schlecht abschätzen können, ob ich irgendwelche Neben- oder Wechselwirkungen zu erwarten hätte und welche anderen Medikamente man überhaupt sinnvoll zusammen mit diesem einen einnehmen könnte. Hmm, wieder was gelernt.)

Auf der Heimfahrt brach in der Saarbahn ein Schwelbrand aus. Im vorderen Teil des Zuges war vor lauter Qualm gar nichts mehr zu sehen, also stiegen wir alle hinten aus und warteten auf den nächsten Zug. An der Haltestelle hatte ich Gelegenheit, das Gespräch zweier Afrikanerinnen zu belauschen – fremde Sprachen höre ich mir ja immer wieder gerne an. Diese Sprache konnte ich gar nicht identifizieren... Manchmal dachte ich, wenn mehrere eindeutig aus dem Englischen stammende Wörter vorkamen, es könnte womöglich doch eine englischbasierte Kreolsprache sein, aber dann ging’s immer wieder ziemlich schnell in eine absolut „unkreolische“ Richtung. Womöglich sprachen die beiden eine westafrikanische Sprache; Igbo, Yoruba, Ewe oder etwas in der Art. Viele Vokalphoneme, offene Silben, keine oder kaum Konsonantenhäufungen, sehr wahrscheinlich phonemischer Ton... Nur die typischen Labiovelarkonsonanten konnte ich nicht hören, aber andererseits bin ich mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt erkennen würde, wenn ich sie mal hören würde. Das ist mit exotischen Lauten, an die man so gar nicht gewöhnt ist, immer so eine Sache...

Bei Hoffstätter einige Bücher bestellt. Diese Buchhandlung kann ich übrigens jedem empfehlen, der mal nach Saarbrücken kommt; sie wurde ganz offensichtlich von jemandem eingerichtet, der gerne schmökert und dabei gerne erstens gemütlich und zweitens unter Büchern sitzt, und der Besitzer hält sich ganz bewußt von dem üblichen Bestsellerlisten-Kram ein wenig fern. Dafür gibt’s umso mehr Interessantes abseits des Mainstream. Aber leider scheint sie keine Homepage zu haben, sonst wäre hier jetzt ein Link.
25NOV

Endlich komme ich dazu, meine Lieblings-Boutique zu besuchen. (Leider hat sie auch keine Homepage... Aber falls mal jemand nach Saarbrücken kommt: XL Moden, auf dem Rodenhof. Die Besitzerin entwirft und näht einen Teil der Kleider selber, der Rest ist Markenware; alles von Größe 42 aufwärts und vieles so genial geschnitten, daß es Frauen mit verschiedenen Größen paßt.)

Ich bin eigentlich nur ein einziges Mal auf der Suche nach etwas Bestimmtem dort hingekommen; sonst weiß ich eigentlich immer nur, wieviel Geld ich in etwa auszugeben gedenke und daß ich ganz bestimmt etwas Schönes finden werde. Diesmal: zwei Blusen; eine festlichere und eine eher für den Alltag.

Mit der Besitzerin (die im übrigen fast genau die gleiche Körperform und -größe hat wie ich – das ist einer der Gründe, warum ich weiß, daß ich in diesem Geschäft garantiert etwas finden werde, was mir wie angegossen paßt) habe ich mich irgendwie festgequatscht und kam erst am frühen Abend wieder heim.

Unterwegs mußte ich (dank einer ungünstigen Busverbindung) statt in meinem üblichen Geschäft beim imperialistischen Klassenfeind in einem Supermarkt einkaufen, der zu einer der beiden Ketten gehört, die ich ansonsten eigentlich boykottiere. Aber ansonsten hätte ich am Abend, ohne auf den Pizza-Service zurückgreifen zu müssen, nichts zu essen gehabt und spätestens am Morgen nur noch Leitungswasser zu trinken... (Merke: imperialistische Klassenfeinde haben auch kein wesentlich besseres Sortiment als die anderen.)

Abends bei H., wo ich in Notfällen ins Internet komme. Viele finnische Ärzte sind extrem fortschrittlich und lassen die Patienten Termine per Internet bestellen; der Facharzt, zu dem ich bald gehen soll (s. Eintrag von gestern), ist glücklicherweise einer davon. Jetzt habe ich einen Termin für in anderthalb Wochen. Beim Blick in die Mailbox (um sicherzustellen, daß die automatische Termin-Bestätigungsmail eingetroffen ist) sehe ich, daß mein NetPosti-Account funktioniert; gerade heute morgen ist die Lohnabrechnung für diesen Monat zum ersten Mal nicht auf Papier, sondern in elektronischer Form eingetroffen ist.

Danach haben wir uns irgendwie bei einem Glas Rotwein festgequatscht. Hmm, wie soll ich sagen: Einerseits ist es ja immer wieder schön, sich mit Leuten zu unterhalten, die sich mit Technik so gut auskennen wie ich (bzw. in diesem bestimmten Fall eher noch besser). Andererseits ist es nicht ganz so schön, wenn diese Leute Zyniker sind, neben denen Victor Klemperers „LTI“ aussieht wie ein Selbsthilfebuch für Angstneurotiker. Anderer-andererseits (mir gehen langsam die Seiten aus) sind die Leute aber sehr nett und unsere Gespräche immer interessant, also will ich jetzt nicht den Eindruck erwecken, ich wolle mich beklagen. ;-)
26NOV

Socken eingekauft. Die Bekleidungshersteller halten die Existenz von Frauen mit so riesigen Füßen wie meinen anscheinend nicht für möglich, deshalb kaufe ich meine Socken schon seit Jahren schamlos in der Herrenabteilung. (Meine Schuhe sowieso.)

Die bestellten Bücher abgeholt. 3 neue dtv-Atlanten: Ethnologie, englische Sprache, Sexualität.

Beim Mittagessen im Band „Englische Sprache“ geblättert und folgende Lektion des Lebens gelernt: Neue bzw. unbekannte Bücher sollte man nicht während einer Mahlzeit lesen. Es besteht die Gefahr, aufgrund einer plötzlichen Überraschung im Text mit vollem Mund losprusten zu müssen.

In diesem konkreten Fall passierte das auf S. 39, als die Autoren allen Ernstes anfingen, Illitsch-Switytsch zu zitieren. Pruuuust... Als alte Dixon-Anhängerin sollte ich an dieser Stelle eigentlich etwas Ätzend-Sarkastisches über Leute schreiben, die die Stammbaumtheorie auf alles anwenden, was nicht schnell genug wegläuft, ob es nun paßt oder nicht, aber heute habe ich keine Lust.

Zwei Absätze später kam dann etwas, was verdächtig nach Glottochronologie aussah. <kicher>

Zum Glück scheint der Rest des Buches deutlich vernünftiger zu sein...

Das ganze Weihnachtsgedöns in der Stadt geht mir schon jetzt tierisch auf die Nerven.

Auf dem Heimweg noch kurz im Telefonladen bei T. vorbeigeschaut, die ganz enttäuscht war, daß ich schon am Samstag wieder abreise. Ich nehme mir ganz fest vor, mich beim nächsten Deutschlandbesuch gleich am Anfang bei ihr zu melden, damit wir endlich mal Kaffee (oder sonstwas) trinken gehen können.

Außerdem: ob ich seit dem Sommer zugenommen hätte? Nein – ich bin nur wegen des Novemberwetters wesentlich dicker eingepackt als im Sommer. Ein dicker Pullover, ein Wintermantel und zwei Schals blähen einen optisch halt irgendwie auf. (Und T. ist einen halben Kopf größer als ich und hat einen sehr schmalen Körperbau. Ich dagegen habe recht breite Schultern und wäre, selbst wenn ich bis auf die Knochen abmagern würde, immer noch deutlich breiter als sie.)

Zu Hause dann nach Eintreffen der Post noch eine Lektion des Lebens: Vererben über Ländergrenzen hinweg ist kompliziert. Binnenmarkt hin oder her. Bank C teilt mir brieflich mit, mein Vorgang (Übertragung eines geerbten Sparbuchs auf meinen Namen) konnte leider noch nicht erledigt werden, weil ich meinen Wohnsitz im Ausland habe, und ich solle entweder eine Meldebestätigung aus Deutschland vorlegen oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts (also eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, daß ich entweder keine Erbschaftssteuer zu zahlen habe oder daß ich die zu zahlende Erbschaftssteuer bereits entrichtet habe, und daß zur Erbmasse auch keine sonstigen Schulden beim Finanzamt gehören).

(Also, daß ich im Ausland wohne, hätte ihnen auch früher auffallen können. Schließlich bin ich nicht erst seit dem Erbfall dort Kundin.)

Das Finanzamt hat alle Meldungen der betreffenden Banken (A, B und C) vorliegen. Dummerweise ist der Sachbearbeiter, der für Leute mit Familiennamen, die mit „meinem“ Buchstaben beginnen, heute nachmittag nicht da, aber seine Kollegin hat mir immerhin sagen können, (a) wie hoch mein Freibetrag ist; daß sie (b) alle Unterlagen vorliegen haben, die sie brauchen; daß ich (c), falls ich tatsächlich Erbschaftssteuer zahlen muß, diese nur für den Betrag zahlen muß, der über der Freibetrag hinausgeht; und wann ich (d) morgen früh den Kollegen erreichen kann. Ach ja, und daß (e), wie gesagt, Meldungen aller drei Banken vorliegen und daß man (f) für Beerdigungskosten und sonstige typische Auslagen, ohne irgendwelche Belege vorlegen zu müssen, einen zusätzlichen Freibetrag von 10300 Euro zugestanden bekommt. (Ich hoffe, ich habe Punkt (f) richtig verstanden, denn so großzügig kenne ich das Finanzamt sonst eigentlich nicht.) (Und ich habe echt keine Ahnung, ob ich unterhalb der Bemessungsgrenze liege oder nicht, da zur Erbmasse auch eine Immobilie gehört und ich keine Ahnung habe, wie sich die Immobilienpreise seit der Schätzung, die mir vorliegt (aus dem letzten Jahrhundert), entwickelt haben.)

Oh Mann. Ich glaube, ich muß mein Pantheon mal wieder ein bißchen revidieren: Loki ist nicht nur der Gott der Computerbugs und der (bekanntlich nie ganz zwischenfallfrei verlaufenden) Reisen, sondern auch der Gott der Finanzbehörden. Da muß ich gleich mal ein Überraschungsei opfern gehen...
27NOV

Positive Überraschung am Morgen: Entgegen der Angaben auf der Verpackung löst sich Instant-Getreidekaffee auch in kalter Milch. Wenn auch deutlich langsamer als in warmer, aber damit kann ich leben. Hmm, lecker.

Der Sachbearbeiter vom Finanzamt rechnet mir telefonisch vor, warum meine geerbte Immobilie (zumindest in den Augen der Steuerleute) wesentlich weniger wert ist, als ich dachte. Das heißt: ich muß tatsächlich keine Erbschaftssteuer zahlen, weil ich von der kompletten Ausschöpfung des Freibetrags meilenweit entfernt bin.

Mein Bankschließfach habe ich heute erfolgreich von der Filiale der Bank B in A. in die Filiale in G. verlegt – in beiden Filialen handelte es sich um ein Fach in der kleinsten verfügbaren Größe, und daher auch zum selben Preis, aber wie sich herausstellte, sind die kleinsten Fächer in G. fast doppelt so hoch (und genauso breit und tief) wie die in A. Wie gesagt: zum selben Preis.

Jetzt, wo ich (wie auch schon im Frühjahr) ständig mit K. durch die Gegend fahre, fällt mir endlich etwas auf, was ich als Sprachwissenschaftlerin mit einem besonderen Interesse an Namen schon längst hätte merken können: In Saarbrücken gibt es einen Sonnenberg und einen Winterberg, und der Winterberg liegt tatsächlich ziemlich genau nördlich vom Sonnenberg.

Nur daß ich zwar den Winterberg schon fast mein ganzes Leben aus eigener Erfahrung kenne, den Sonnenberg aber bis vor ein paar Jahren nur dem Namen nach. Aber auf dem Weg zu K.s Haus (und zu seinem Hausarzt und zu seiner Lieblings-Postfiliale und...) kommen wir jedesmal am Sonnenberg vorbei. Und auf einmal fiel der Groschen.

(Falls sich jetzt jemand fragt, wovon zum Geier ich jetzt schon wieder rede: In Ortsnamen tauchen Wörter wie „Sommer“ oder „Sonne“ bzw. „Winter“ oft in der Bedeutung „südlich“ bzw. „nördlich“ auf. Von Ortsnamen abgeleiteten Familiennamen („Sonnleitner“, „Winterthal“) müssen oft genauso interpretiert werden: Der „Sonnleitner“ hatte seine Felder am Südhang, während der Hof des „Winterthal“ in einem Seitental unmittelbar nördlich eines Berges lag, durch dessen Schatten dort „der Schnee nie taute“ – kein Wunder, da der ganze Sonnenschein ja schon auf den Feldern des „Sonnleitners“ gelandet war.)

Heute stimmt irgendwas mit meinem Verdauungssystem nicht. Mein Darm rumort, als hätte er viel zu tun, obwohl ich heute doch noch gar nichts gegessen habe. Und schon beim Gedanken an Essen wird mir übel. (Ich hasse Hormonschwankungen.) Hoffentlich legt sich das bis morgen; dann wollte ich nämlich eigentlich K. zum Essen einladen, weil der mich immer so lieb durch die Gegend fährt und, während ich weg bin, sozusagen als mein Agent im Saarland fungiert.
28NOV

Mittagessen mit K. im „Dubrovnik“; wie immer sehr lecker. Zum Nachtisch Julischka, das Getränk, das meinen Namen trägt und dem ich meinen ersten legalen Vollrausch zu verdanken habe (lang, lang ist’s her...).

Am Nachmittag kurz bei Frau L. nebenan. Ob ich mich denn überhaupt wohl fühle in dem Haus, so ganz ohne meine Mutter? – Zum Glück habe ich in dem Haus nicht nur jahrelang mit meinen Eltern (und nach dem Tod meines Vaters dann eben mit meiner Mutter) gelebt – mit Betonung auf „Eltern“ bzw. „Mutter“ – sondern auch (derselbe Satz noch einmal) – mit Betonung auf „Haus“ und/oder „gelebt“. Ja, natürlich hat der Tod meiner Mutter ein riesiges Loch in mein Leben gerissen. Allerdings empfinde ich das Haus eher als „das Haus, in dem ich aufgewachsen bin (mit den vertrauten Möbeln, den vertrauten Büchern, den vertrauten Bildern an den Wänden usw. usf.)“ und nicht so sehr als „das Haus, in dem eigentlich meine Mutter sein sollte“.

Die Depressionen kommen dann aus anderem Anlaß. :-P

Ansonsten intensive Koffer-Pack-Aktionen. Habe ich wirklich so viele Bücher gekauft? Und andererseits sowenig gelesen? (Das letzte Mal habe ich doch, wenn ich mich recht entsinne, einen Band der Fischer-Weltgeschichte nach dem anderen verschlungen... da hatte ich aber auch sonst nichts zu tun.) Und an Kleidung nur einen Schlafanzug, zwei Blusen und drei Paar Socken gekauft? (Was natürlich nach den Kaufanfällen im letzten Frühjahr – quasi einer spontanen Rundumerneuerung meiner Garderobe – durchaus in Ordnung ist. Außerdem habe ich ja einen ganzen Schrank voller Pullover geerbt.)

Ach ja, der Schrank.

Eins meiner persönlichen Ziele auf dieser Reise war es, den Kleiderschrank meiner Mutter (nun gut, da sie mehrere hatte: den großen im Schlafzimmer) auszumisten und den Inhalt in zwei Haufen aufzuteilen: auf der einen Seite Sachen, die ich behalten möchte (und die ich auch anprobiert habe, so daß ich weiß, daß sie mir passen), auf der anderen Sachen für die Kleiderkammer. Dieses Ziel habe ich fast erreicht (hach, ich bin so stolz): Einerseits liegt in dem Schrank jetzt keine Kleidung mehr, sondern nur noch Bettwäsche; aber andererseits habe ich nur die Blusen und Hosen durchgesehen und sortiert und bei den Strickwaren – viele Pullover und ein paar Socken, meine Mutter war eine begnadete Strick-Künstlerin – gemogelt, indem ich sie kurzerhand in meinen eigenen Schrank stopfte.

Mir ist erst vor ein paar Tagen klargeworden, daß K. ja vor etwa 10 Jahren den Tod seiner Frau miterlebt hat und der Tod meiner Mutter in ihm daher ein altes Trauma wieder hochgebracht hat. Hoffentlich folgt er meinem Rat, sich einem Seelsorger in seiner Gemeinde anzuvertrauen oder sich von seinem Hausarzt einen Psychotherapeuten empfehlen zu lassen. Aber immerhin weiß ich, daß er an Weihnachten (das er in den letzten sieben Jahren immer mit meiner Mutter verbracht hatte – entweder war sie bei ihm eingeladen oder er bei ihr, manchmal gingen sie auch zusammen irgendwohin) Verwandte besuchen geht.

(Ich dagegen habe mich schon vor vielen Jahren entschieden, daß ich Weihnachten allein am schönsten finde, und werde es auch dieses Jahr so halten. Aber für mich ist das ja eine auf einer freiwilligen Entscheidung beruhende langjährige Gewohnheit und nicht so sehr eine brandneue Krisensituation namens „das erste Weihnachten allein ohne Mutter“. Ich hoffe bloß, ich werde ein bißchen Energie zum Feiern haben; schließlich habe ich durch die diversen Krisensituationen dieses Jahres (angefangen mit „Mutter auf der Intensivstation“, und von dort ging’s dann ziemlich direkt bergab) sämtliche Feste und Feiertage seit (und einschließlich) Ostern vollkommen verpaßt. Das letzte, woran ich mich erinnere, war Ta’anit Esther – keine Ahnung, warum, denn das feiere ich gar nicht, und auch niemand in meinem Umfeld (oder zumindest nicht so, daß ich davon etwas mitbekommen würde). <grübel> Als Kalender-Fan kriegt man anscheinend mehr mit, als man so glaubt. – Das nächste, was ansteht, wäre der finnische Unabhängigkeitstag; ich hoffe, ich schaffe es, ein blau-weißes Kerzchen anzustecken, denn das wäre der erste Schritt zur Genesung, zumindest zur kalendrischen.)

Abends beim Blutdruckmessen mal wieder im Pschyrembel geblättert und mit Entsetzen festgestellt, daß mein Blutdruck dermaßen weit über dem höchsten („schwere Hypertonie“) in der WHO-Skala liegt, daß ich mich einen Moment lang ernsthaft frage, warum eigentlich mein Kopf noch nicht explodiert ist. Dann wird mir klar, daß sie dort vom diastolischen, also unteren, Wert reden und ich die ganze Zeit nur meinen systolischen, also oberen, Wert im Kopf hatte. Auf einmal bin ich nur noch Grenzwert-Hypertonikerin. Das paßt auch viel besser zu der Art, in der meine Hausärztin mit mir über das Thema Blutdruck redet. Große Erleichterung.

Bei der abschließenden Betrachtung meiner Fernsehgewohnheiten der letzten Wochen war die Entscheidung, nächstes Jahr auf DVB-T (ohne Abonnierung irgendwelcher Privatsender) umzusteigen, wohl richtig. Gebt mir 3sat und den Kinderkanal (für meine wöchentliche Dosis „Bernd das Brot“), füttert mich regelmäßig, und ich bin glücklich. („Kim Possible“, eine meiner wenigen Sünden Abstecher in andere Kanäle, werde ich mir sowieso früher oder später auf DVD zulegen.)
29NOV

7:30 Uhr: Aufstehen, Rechner anwerfen. Ich habe mir am Vorabend eine detaillierte Liste gemacht: Zähneputzen, Zahnbürste und Zahnpasta in den Koffer packen, usw. (Vor Reisen bin ich immer etwas schusselig, da ist sowas ganz sinnvoll.)

9:00 Uhr: K. wollte mich eigentlich zum Bus fahren, aber sein Auto ist zugeeist und springt nicht an (mal abgesehen davon, daß er durch die Eisblumen an den Fenstern sowieso nicht sehen könnte, wohin er fährt). Ich bestelle ein Taxi.

Ich habe niemanden im Haus, der mir sagt „pack das hier noch ein“ oder „den Papierkorb hast du gerade erst geleert, das mußt du nicht noch einmal“ oder auch „wenn du was vergessen hast, kann man’s ja mit der Post schicken“. :-(

10:15 Uhr: Alle meiner Vor-der-Reise-Schussel-Listen sind abgearbeitet. Ich habe im ganzen Haus Zettel für K. hinterlassen, der ja regelmäßig vorbeischaut: „Kekse und Schokolade auf dem Wohnzimmertisch paßten nicht mehr ins Handgepäck, guten Appetit“, „Garagenschlüssel liegt in der-und-der Schublade“, usw.

10:30 Uhr: Mein Taxi ist da.

10:45 Uhr: Am Bahnhof(svorplatz) angekommen. Eine Gruppe Männer redet letzeburgisch; anscheinend sind die gerade mit dem Bus angekommen, mit dem ich gleich Richtung Luxemburg fahren werde.

11:00 Uhr: Der Fahrer hat keine Billets mehr und muß einige Leute zum Fahrkartenschalter des Bahnhofs schicken. Gut, daß ich meins in einem Anflug von weiser Voraussicht schon gestern gekauft habe.

11:15 Uhr: Abfahrt.

12:00 Uhr: Der Fahrer stellt das Radio von SR3 auf irgendwas Luxemburgisches um. Den Rest der Fahrt habe ich soooooo große Linguistenohren. Mir war bis dahin noch nie aufgefallen, wie stark das Letzeburgische von französischen Wörtern durchsetzt ist. (Hihi – „gebudjeteert“, „Berufspompiern“...)

Erster spontaner Gedanke: ach, deshalb mußten wir in der Schule Französisch lernen – nicht um mit den Franzosen reden zu können, die in unserer Gegend (Elsaß/Lothringen) sowieso alle prima Deutsch (bzw. dem Saarländischen nicht ganz unähnliche Dialekte) sprechen, sondern um die Luxemburger verstehen zu können.

Zweiter spontaner Gedanke: ach, deshalb kam mir Maltesisch so eigenartig vertraut vor, als mir vor einigen Jahren eine maltesische Grammatik in die Hände fiel. Letzeburgisch ist (übertrieben ausgedrückt) deutsche Grammatik mit französischem Vokabular, während Maltesisch (übertrieben ausgedrückt) arabische Grammatik mit italienischem Vokabular ist. Man sieht also: fast dasselbe. ;-)

12:30 Uhr: Ankunft in Luxemburg. Gar nicht so leicht, den richtigen Bussteig zu finden. Und die Frau, die ich frage, spricht leider kein Deutsch und Französisch auch nur mit einem seltsamen Akzent, den ich nicht verstehe.

Schließlich merke ich, daß es alle Bussteignummern zweimal gibt: einmal auf der einen Seite, für die Fernbusse (von denen mich einer gerade hergebracht hat), und einmal auf der anderen Seite, für die Stadtbusse (und da muß ich jetzt hin).

Der neue Flughafen ist echt schick, aber immer noch etwas provinziell (aber das ist ja einer der Gründe, warum ich lieber über Luxemburg als über Frankfurt (<gruselwusel>) reise). Die Eincheck-Compüterchen sind alle kaputt bis auf eins, das leider nur Luxair-Flüge kennt. Im Transitbereich gibt es ein einziges Kleinrestaurant (draußen anscheinend gar nichts), wo mir mein Schulfranzösisch immerhin eine Bionade (la bionade) und ein ellenlanges Thunfischbrot (le sandwich au thon, oder so ähnlich) einbringt. Die Speisekarte gibt’s nur auf französisch.

Meine Güte, da ist ja in Ensheim mehr los...

14:00 Uhr: Provinzflughäfen haben auch ihre guten Seiten. Eben kam eine Durchsage: „Last call, Mrs. XYZ, en route to ABC, go to gate immediately“. Gleichzeitig lief ein uniformierter Mensch durch die (recht leeren) Hallen und fragte alle weiblichen Wesen (also mich), ob sie zufällig Frau XYZ sind und nach ABC wollen. Bin ich nicht, will ich nicht. Aber irgendwo hat er sie dann doch gefunden.

Noch fast drei Stunden bis zu meinem „Go to Gate“...

Die Beruhigungspille von heute morgen wirkt echt gut. Ich kann mich nicht mal aufraffen, mich über das EU-Propagandaplakat da drüben aufzuregen. Mein Blutdruck wird’s mir danken...

14:20 Uhr: Bionade nachbestellt. «€2,50, s’il vous plaît, madame.» – Madame? MADAME!? Wen nennt die hier „madame“? Argl.

18:30 Uhr: In Schiphol angekommen. Meine Güte – beim endlosen Rumgerolle nach der Landung bekommt man das Gefühl, die Niederlande wären irgendwie viel größer, als es die Landkarte vermuten läßt.

Im Flughafengebäude haben sie jetzt so Maschinchen, die einem anzeigen, wo man hin muß. Man tippt seine Flugnummer ein (oder hält der Maschine einfach den Barcode auf dem Ticket hin) und kriegt ausgegeben, wo man ist und wo man sein sollte und wie man da hinkommt. Angeblich kann man an so einer Maschine auch seinen Anschlußflug umbuchen.

Depressionsanfall. Versuche ihn in einem halben Liter Sprite zu ertränken.

Beim Bummeln (auf dem Weg zu meinem Anschlußflug, der erst in einer Stunde geht) eine Broschüre über Diamanten besorgt und natürlich auch bei dem Whisky-Fachgeschäft vorbeigeschaut, das es hier gibt.

19:30 Uhr: Hoffentlich gibt’s etwas Gutes zu essen. Im Cityhopper (Luxemburg → Amsterdam) gab es leider, wie auch schon auf dem Hinflug, nur ganz seltsame belegte Brote: auf dem Hinflug mit ganz seltsamem Käse in zwei verschiedenen Sorten (nicht so leckerem wie auf der Strecke Helsinki → Amsterdam), auf dem Rückflug vorhin immerhin nur eins mit seltsamem Käse (und seltsamem Speck), das andere mit irgendeinem Tomaten-Oliven-Zeugs, das sogar eßbar war. – Aber tatsächlich gibt es auch diesmal im größeren Flugzeug die schmackhaftere Mahlzeit: unter anderem Taboulé mit Schafskäsestückchen. Lecker.

Nett, nach fast drei Wochen Pause mal wieder finnische Gesprächsfetzen um mich herum zu hören.

23:30 Uhr: Wir sind (dank Rückenwind etwas zu früh) gelandet.

23:50 Uhr: Mein Gepäck und ich sind wiedervereint. Freudentaumel. Bei meiner letzten Auslandsreise hat Air Berlin es fertiggebracht, meinen Koffer zu verschlampen (ich glaube, sie haben ihn beim Umsteigen einfach in Berlin stehenlassen), und ich mußte so ein Vermißten-Formular ausfüllen. Immerhin haben sie den Koffer dann innerhalb von zwei Tagen an meiner Wohnungstür abgeliefert. Aber noch schöner ist es natürlich, wenn man ihn gleich selber mitnehmen kann.

0:10 Uhr: Endlich daheim. Jetzt erst mal schlafen...