Dienstag, 13. Januar 2009
Laryngaltheorie
Themen: Sprachen
Was man im Netz so alles findet, wenn man genügend Links folgt... Da passiert ja oft sowas. Man sucht nach etwas, folgt einem Link von dort, dann noch einem und noch einem und noch einem und landet irgendwo, wo man von selber nie hingekommen wäre.

In meinem Fall lief das so, daß ich eigentlich etwas über FreeBSD herausfinden wollte und dann, wie das Leben so spielt, irgendwie auf einer Wikipedia-Seite zu einem linguistischen Thema landete und von dort aus das hier entdeckte: uralische Belege für die Laryngaltheorie des Indogermanischen.

Mannomann.

(Für Nicht-Indogermanisten: Vor langer, langer Zeit – naja, im 19. Jahrhundert – hatte die Indogermanistik Probleme mit gewissen Ungereimtheiten und Unerklärbarkeiten in für die indogermanische Ursprache angenommenen rekonstruierten Formen. Im Jahre 1879 schließlich stellte ein Linguist die Theorie auf, daß es im Ur-Indogermanischen noch ein paar Laute mehr gegeben habe als bis dahin angenommen, nur daß diese zusätzlichen Laute – die sogenannten Laryngale – in allen bis dahin bekannten indogermanischen Sprachen nicht direkt erhalten waren, sondern nur ihre Auswirkungen auf andere, im Wort benachbarte, Laute zu beobachten waren. Und dadurch sollten sich dann diese ansonsten unerklärbaren Ungereimtheiten ergeben haben.

Ich kann mir vorstellen, daß er dafür zuerst einmal gründlich ausgelacht wurde. Allerdings hatte auch niemand eine bessere Erklärung parat.

Einige Jahrzehnte später wurde die hethitische Sprache entdeckt, entziffert und als indogermanisch erkannt. Das Besondere daran: In hethitischen Wörtern taucht genau an den Stellen, wo für die Ursprache Laryngale angenommen wurden, ein bestimmter Laut auf, der als „ḫ“ (h mit Bögelchen drunter) transkribiert wird. Dadurch war die Laryngaltheorie quasi belegt.)

Zurück zu meinem Zufallsfund im Netz: Ich bin ja ein großer Fan von Jorma Koivulehto (zu dem es online leider kaum brauchbare Informationen und deshalb hier auch keinen Link gibt), der sich besonders mit Kontakten zwischen indogermanischen und uralischen Sprachen befaßt, und daher sollte ich ja nun wirklich an „uralische Belege für das indogermanische Phänomen XYZ“ (und umgekehrt) gewöhnt sein.

Aber ich hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, in (mir nach all den Jahren in Finnland total vertrauten) finnischen Wörtern nun auf einmal Beweismaterial für ur-indogermanische Laryngale zu finden. :-)

Super. :-D Ich bin immer noch ganz hin und weg.

(Das sind so die Sachen, mit denen man Sprachen-Freaks wie mir immer wieder eine große Freude machen kann...)

Nachtrag: Wer sich für (vermutete) Kontakte zwischen indogermanischen und uralischen Sprachen interessiert, wird sicher diese Liste finnischer Wörter mit vermutlich indogermanischem Ursprung interessant finden.

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Samstag, 27. Dezember 2008
Linguistische Paranoia...?
Themen: Sprachen
Daß es im Finnischen von Lehn- und Fremdwörtern nur so wimmelt, war mir ja schon bekannt, bevor ich anfing, Finnisch zu lernen. (Jeder Indogermanist und Altgermanist kennt mindestens zwei finnische Wörter: „kuningas“ und „rengas“, in denen alte Formen der deutschen Wörter „König“ und „Ring“ sozusagen eingefroren sind. Diese beiden sind natürlich nicht die einzigen, aber anscheinend die bekanntesten, denn von den anderen offensichtlichen Kandidaten – „taivas“, „sairas“, „kaunis“, „rauta“, „äiti“, „vuokra“ usw. usf. – hat mir bis jetzt noch kein Vertreter der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft etwas erzählt. Die mußte ich alle selber finden. <grummel> <enttäuschttu>)

Im Finnischen gibt es etliche mehr oder weniger klar identifizierbare Lehnwortschichten: zuerst eine ganz uralte, die auf Kontakte zwischen Ur-Finnougrisch- und Ur-Indogermanisch-Sprechern hinweist (dazu gehören unter anderem die Wörter nimi „Name“ und tuoda „bringen“); dann eine indoiranische (zu der unter anderem die Wörter sata „hundert“, porsas „Schwein“ und sama „der/die/dasselbe“ gehören); irgendwann kommt dann eine gemeingermanische, aus der die meisten der ganz oben genannten Wörter stammen; später kommen dann noch ein paar andere germanische (Gotisch, Schwedisch) und eine baltisch-slawische. Und wenn man weiß, worauf man achten muß, kann man sie auch recht gut erkennen (und nervt dann seine Umwelt z. B. beim Einkaufen mit der plötzlichen und lautstarken Erkenntnis: „Kaura ist doch ganz offensichtlich dasselbe Wort wie Hafer! Ja, ich glaube, ich kaufe mir eine Packung Hafer–, äh, ich meine natürlich Kauraflocken!“).

Dabei hat das Finnische ein paar Überraschungen parat; Wörter wie „Mutter“ oder „und“ oder „er/sie“ werden normalerweise ja eher nicht von einer Sprache in die andere entlehnt, aber das Finnische hat die ersten beiden (äiti bzw. ja) aus dem Gotischen und das dritte (hän) aus dem Schwedischen oder einer anderen nordgermanischen Sprache übernommen.

Manchmal stoße ich aber auf Wörter, die mich dazu bringen, mal wieder Mark Rosenfelders Text über die Wahrscheinlichkeit von zufälligen Wortähnlichkeiten herauszukramen.

Beispielsweise stellte ich durch puren Zufall bei einem Blick in ein lateinisches Wörterbuch (ich weiß nicht mehr, was ich damals konkret suchte, aber offenbar fing’s mit dem Buchstaben C an) fest, daß das finnische Wort für einen Alkoholkater, „krapula“, erstens anscheinend aus dem Lateinischen stammt (wo man es crapula schreibt) und zweitens anscheinend aus der Studentensprache ins Allgemein-Finnische eingedrungen ist. (Bei lateinischstämmigen Wörtern liegt dieser Schluß ja nahe, vor allem, wenn es um so typische studentische Aktivitäten wie alkoholhaltige Feten geht.)

Nun gut, studententypische Aktivitäten, lateinische Bezeichnungen dafür, das mag ja noch sein. Sowas kenne ich ja auch noch von meinem Vater (der war korporiert).

Aber dann liefen mir innerhalb weniger Tage noch zwei solche Wörter über den Weg:
  • „ansa“ heißt auf finnisch „Falle“ und auf lateinisch „Schlinge“. Leider stand im Lateinwörterbuch nicht dabei, ob es sich um eine Fangschlinge oder irgendeine andere Art von Schlinge (Schlaufe, Schleife, Handgriff, Verknotung oder was auch immer) handelt.
  • „aisti“ heißt auf finnisch „Sinn“ oder „Sinneswahrnehmung“ und sieht der vorderen Hälfte des griechischen Wortes „αισθάνομαι“, das soviel wie „fühlen“ oder „wahrnehmen“ bedeutet, verdächtig ähnlich.
Hmm... <grübel> <Rosenfelder rauskram>

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Donnerstag, 23. Oktober 2008
Der Werwolf, des Weswolfs...
Themen: Sprachen
Wenn man anfängt, Fremdsprachen zu lernen, stößt man früher oder später auf unheimlich praktische Features, die man von da an in seiner Muttersprache vermißt.

Ich beispielsweise finde die Sachen, die man im Englischen mit TAM („tense, aspect, mood“, also Tempus, Aspekt und Modus des Verbs) anstellen kann, ziemlich spannend. Da gibt es eine Menge Nuancen, die ich eigentlich gerne auch im Deutschen hätte.

Was man im Finnischen mit Verben machen kann, ist auch nicht schlecht – da kann man von einem Verbstamm ganz einfach (und fast ganz regelmäßig) Kausativ-, Reflexiv- oder Frequentativformen und sogar Kombinationen bilden. Außerdem kann man ganz einfach aus Adjektiven oder gar Postpositionen entsprechende Verben ableiten. Eins meiner Lieblingsbeispiele ist eine Form, die ich vor ein paar Monaten in einer Schlagzeile fand. In dem dazugehörigen Artikel ging es um ein Unwetter, das unter anderem den Busverkehr teilweise lahmgelegt hatte. So etwas drückt der Finne mit dem schönen Verb myöhästyttää aus, also in etwa „jemanden oder etwas dazu bringen, sich zu verspäten“ (das war das, was das Unwetter mit den Bussen gemacht hatte). Im Deutschen kriegt man das einfach nicht so kurz und knackig hin...

Und wer war noch nie in einer Situation, wo er inklusives und exklusives „wir“ hätte gebrauchen können? Diese Unterscheidung ist beispielsweise in den polynesischen Sprachen weit verbreitet, in Europa leider nicht.

Aber es gibt auch immer wieder Fälle, in denen man durch das Lernen einer Fremdsprache erst merkt, was für unheimlich praktische Features die eigene Muttersprache hat. Gestern war ein finnischer Kollege von mir schwer enttäuscht, als ich ihm erklärte, daß man im Englischen die Fragepronomina (who und so) leider nicht so einfach in den Plural setzen kann wie im Finnischen, daß man also nicht beispielsweise fragen kann „who were driving the cars?“, wenn es um mehrere Autos (und mehrere Fahrer) geht, oder „who own these houses?“, wenn man nach (vermutlich) mehreren Besitzern mehrerer Häuser fragt.

Aber wenigstens konnte ich ihn damit trösten, daß er nicht der einzige ist, der solche Formen vermißt. In dem Gedicht von Christian Morgenstern, von dem ich den Titel dieses Eintrags habe, geht es genau um dieses Problem: wenn es um mehrere Individuen geht, wie kann ich das am Fragepronomen ausdrücken? (Und der Wer-Wolf in dem Gedicht ist am Ende ganz traurig, daß er angeblich keinen Plural hat, obwohl es außer ihm doch noch andere Werwölfe gibt... Leider funktioniert das Wortspiel „Werwolf = wer? + Wolf“ im Finnischen nicht.)

Nachtrag: Ich glaube, es war Marianne Grabrucker, die in einem ihrer Bücher von einem entfernt ähnlich gelagerten Fall erzählt: Eine Bekannte von ihr ließ ihren kleinen Sohn raten, von wem ein bestimmtes Geschenk stammte. Der Kleine riet eine Weile herum, kam aber nicht auf die richtige Person. Als seine Mutter ihm verriet, daß sie das Geschenk von Tante So-und-so bekommen hatte, fiel er aus allen Wolken: wenn die zu erratende Person eine Frau ist, hätte die Mutter (seiner Meinung) doch nicht „von wem...?“ fragen müssen, sondern „von wer...?“ (analog zu von dem Mann : von der Frau)!

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