Dienstag, 23. November 2010
Tagesausflug
Themen: Neuro-Psycho, Finnland
Heute war ich in Turku.

Ab und zu (ein- oder mehrmals im Jahr) halte ich einen Vortrag über Autismus und/oder ADHS aus der Sicht einer Betroffenen (äh, also mir). Oft geschieht das im Rahmen irgendeiner Fortbildungsveranstaltung für Leute, die z. B. in die Behindertenarbeit gehen wollen; einmal war mein Vortrag einer von mehreren an einem „Thementag Autismus“ einer Behindertenorganisation und einmal habe ich einen Vortrag vor einem reinen Fachpublikum (Leute, die schon länger mit Behinderten arbeiten) gehalten.

Das heute war eine Vorlesung in einer Reihe, die zu so einer Fortbildungssache gehörte. Mein Publikum bestand aus Leuten, die ehrenamtlich als „Helfer im Alltag“ mit Behinderten arbeiten wollen – allerdings nicht als voll ausgebildete Pfleger oder Psychologen oder Sozialarbeiter, sondern als „Stützpersonen“ (so heißt der finnische Ausdruck übersetzt), die in bestimmten schwierigen Situationen oder auch bei kleineren Notfällen (denen, bei denen man nicht gleich Polizei, Feuerwehr und/oder einen Notarzt rufen muß) helfen. Das können – je nachdem, mit was für einer Art von Behinderung man es zu tun hat – durchaus auch so für „normale“ Menschen banale Sachen sein wie einen Wochen-Zeitplan erstellen zu helfen (sowas ist für Leute mit ADHS eine knifflige Angelegenheit und manche schaffen es alleine gar nicht) oder bei einem Behördengang mitzugehen, einfach so zur moralischen Unterstützung (was beispielsweise ein Sozialphobiker allein nicht hinkriegt).

Denen habe ich also ausführlich erzählt, wie mein Alltag aussieht und auf was für eine einzigartige Weise ich die Welt betrachte und wobei ich im Alltag oder auch in Krisensituationen Hilfe brauche. (Da hat es ganz gut gepaßt, daß ich gerade in einer – nicht mehr ganz akuten, aber immer noch existenten – psychischen Krise stecke; so konnte ich ihnen brühwarm erzählen, was für eine Art von Hilfestellung ich gestern oder letzte Woche gebraucht habe oder bekommen habe oder gerne bekommen hätte.)

Hat Spaß gemacht. Auch wenn es teilweise an die Substanz ging; über eigene (teils schwere) Probleme zu reden ist ja nie ganz einfach. Aber im großen und ganzen habe ich den Tag viel stärker positiv als negativ erlebt. :-)

Erstens ist es ja immer wieder schön, wenn mir jemand eine ganze Reise (naja gut, einen Tagesausflug) in eine andere Stadt bezahlt, nur damit ich mich da hinstelle und zwei Stunden lang über mich selbst rede. ;-)

Zweitens sind meine Kontakte auf diesem Gebiet aus irgendeinem Grund alle schwedischsprachig, und ich freue mich immer, wenn ich mal wieder ausgiebig Schwedisch reden kann – gerade wenn es um ein Thema geht, das mir am Herzen liegt. (Hinweis für Haarspalter: Nicht jede schwedischsprachige Konversation macht Spaß, bloß weil sie auf schwedisch ist!)

Und Turku ist auch eine sehr schöne Stadt. Ich hatte zwar bis jetzt noch nie viel Zeit, sie mir so richtig anzugucken, aber das Stadtzentrum ist ja schon mal sehr malerisch mit dem Fluß und dem Dom und den ganzen schönen alten Häusern...

Tja, und wenn man für zwei Stunden Vortraghalten eine Rechnung ausstellen darf, deren Betrag größenordnungsmäßig drei Tagen Arbeitslosengeld entspricht, ist das ja auch nicht ganz schlecht. ;-) (OK, zwei Stunden Vortraghalten plus sechs Stunden Im-Bus-Schlafen-oder-Musikhören plus etwas Vorarbeit plus Spesen, also die Kosten der Busfahrkarte. Ach ja, und ein Mensa-Mittagessen haben sie mir spendiert. Der Vortrag steht eigentlich mehr oder weniger fest, ich muß meine Slides nur ab und zu etwas updaten. Die Vorarbeitszeit hielt sich also eher in Grenzen. Aber auch wenn man diese Zeit mit einrechnet (ich weigere mich, das Im-Bus-Dösen als Arbeitszeit zu rechnen), kommt immer noch ein Stundenlohn raus, mit dem ich ganz glücklich bin. Schade, daß es für solche Vorträge nur einen recht begrenzten Markt gibt...)

Jetzt muß ich meine Lohnsteuerkarte suchen gehen...

. . .

Heute morgen in aller Frühe ging’s los. Ich mußte um sechs Uhr von zu Hause aufbrechen, um den Überlandbus um sieben Uhr zu erwischen. (Und habe prompt die ganzen Butterbrote, die ich mir gestern als Reiseproviant geschmiert hatte, in der Küche liegen lassen. Zum Glück in einer Plastiktüte, so kann ich sie wenigstens jetzt noch ohne Zuhilfenahme von Hammer und Meißel essen...)

Das hier ist der Bus. :-) „H:ki“ steht für „Helsinki“; das „pika“ ganz links in der Anzeige heißt „schnell“. Der Bus hielt also nicht an jedem Hühnerstall. (Auf der Rückfahrt habe ich einen „express“ erwischt, der hielt zwischen Turku und Helsinki überhaupt nicht und schaffte die Strecke um 30 Minuten schneller.) Die etwas seltsamen Lichtverhältnisse auf dem Bild liegen nicht etwa daran, daß es um diese nachtschlafende Zeit noch stockdunkel war (war es), sondern daran, daß der Helsinkier Busbahnhof ein unterirdischer ist.

[Bild: Schnellbus von Helsinki nach Turku]

Hier ist das Wahrzeichen von Turku, der Dom.

[Bild: Der Dom in Turku]

In der Umgebung des Doms gibt es eine Menge schöne alte Häuser...

[Bild: Altstadt von Turku]

[Bild: Altstadt von Turku]

... das, in dem ich meinen Vortrag gehalten habe, ist ganz ähnlich. Ich habe aber leider kein Foto davon.

Tja, und natürlich wurde ich da beim Schlendern durch die Turkuer Altstadt etwas wehmütig. Ich war zwar schon öfters in Turku gewesen, aber das bislang einzige Mal, wo ich durch die Altstadt geschlendert war, war 1995 mit meiner Mutter. Und die ist ja leider seit zweieinhalb Jahren tot. <schnief>

<tränchenzerdrück>

Und dann stellte ich mich am Dom vor den Eingang und ließ mich eine Weile vom Wind umarmen. Das hat geholfen.

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Im Moment ist mir wieder (oder immer noch) sehr nach Weinen zumute, aber zum Glück ist mir irgendwann während der Busfahrt nach Hause aufgefallen, daß das nicht so sehr daran liegt, daß ich im Moment fürchterlich depressiv wäre (depressiv bin ich zwar immer noch, aber zumindest im Moment nicht fürchterlich), sondern einfach daran, daß ich müde bin.

Ich gehe heute früh ins Bett...

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Donnerstag, 18. November 2010
Neuschnee
Themen: Neuro-Psycho, Finnland
So, seit gestern bin ich krankgeschrieben. „Depressio mentis gravis“. (Finnische Ärzte stellen ihre Diagnosen gerne auf Latein.)

Hmm, ich hatte immer gedacht, „gravis“ wäre die Art von Depression, mit der man sofort ins Krankenhaus müßte. Aber ich habe „nur“ eine Krankschreibung und zwei Rezepte (eins für ein Antidepressivum und eins für ein Beruhigungsmittel, damit ich nachts ordentlich schlafen kann) bekommen.

Und dabei mal wieder gemerkt, daß mein Psychiater eine typische Arzthandschrift hat. Die Rezepte konnte ich gar nicht entziffern; zum Glück schien die Frau in der Apotheke mit sowas Erfahrung zu haben. Jedenfalls hat sie, ohne mit der Wimper zu zucken, eifrig Sachen in ihren Computer getippt und mir dann die Medikamente überreicht, komplett mit leserlichen Kleberchen, was wann wie einzunehmen ist (also im Prinzip mit dem, was der Arzt aufs Rezept gekritzelt hatte). (Hierzulande kriegt man bei verschriebenen Arzneimitteln immer so Kleberchen drauf. Meist funktioniert das ganz gut, aber manchmal passieren so Sachen wie damals, als ich bei einem Arzt in Behandlung war, der mit mir Deutsch redete und deshalb meinte, den Teil des Rezepts, der auf das Kleberchen draufkommt, auch auf deutsch schreiben zu müssen. Also damit ich bei der Einnahme ganz sicher nichts falsch mache. Wenn ich daran denke, was die Apotheker da teilweise „entziffert“ und dann aufs Kleberchen gedruckt haben... Aber ich schweife ab. Jedenfalls konnte ich den Mann irgendwann davon überzeugen, daß ich Sachen wie „morgens und abends je eine Tablette mit etwas Flüssigkeit einnehmen“ auch auf finnisch verstehen kann, und von da an gab es keine gar putzigen Schreibfehler mehr auf den Kleberchen.)

Das Krankschreibungsformular hat er übrigens in Blockschrift ausgefüllt. Naja gut, er ist ja schon etwas länger Arzt und hat vermutlich die Erfahrung gemacht, daß Apotheker durchaus in der Lage sind, Arzthandschriften zu entziffern, andere Leute (z. B. Angestellte von Krankenkassen, Leute in Sekretariaten und wer so eine Krankschreibung halt sonst noch so zu sehen kriegt) aber womöglich nicht.

Jetzt bin ich bis Mitte Dezember krankgeschrieben. Kurz vor Ablauf der Zeit habe ich einen weiteren Arzttermin; dann wird sich zeigen, ob die Krankschreibung verlängert wird. (Nach dem, was der Arzt mir über die Wirkungsweise des Antidepressivums erzählte – seeeeehr langsam, wie eigentlich die meisten Antidepressiva – halte ich eine Verlängerung für wahrscheinlich. Aber man wird sehen.)

(Der Arzt hat übrigens auf die Krankschreibung noch als Kommentar draufgeschrieben, daß ich nach seiner professionellen Meinung schon ziemlich lange arbeitsunfähig war, bevor ich zu ihm kam. Keine Ahnung, ob das irgendwelche offiziellen Auswirkungen hat oder ob er es einfach nur so hingeschrieben hat.)

Heute morgen war ich dann bei der städtischen Psycho-Krisen-Stelle und hatte ein ziemlich gutes Gespräch mit einer Frau dort. Sie hat mir u. a. einige Tips gegeben, wo ich konkrete Hilfestellung zu bestimmten konkreten Problemen bekommen kann, und mir außerdem empfohlen, mich auf das zu besinnen, was ich trotz Depression hinkriege (immerhin schaffe ich es, jeden Tag sogar noch vor der Mittagszeit aus dem Bett zu kommen und zu frühstücken und mich an vielen Tagen sogar anzuziehen – das schaffen nicht alle Depressiven!), und mir das zu verzeihen, was ich nicht hinkriege. (Ich muß nicht jedem zeitnah antworten, bloß weil der mich gerade angemailt hat. Selbst wenn es ein alter Freund ist. Ich muß nicht immer ans Telefon gehen, bloß weil das grade klingelt.) Sie meinte, vielleicht will mein Körper im Moment ja eine Weile „Pause machen“ und eine eher ruhige Kugel schieben und dann auch nur mit ganz wenigen Leuten kommunizieren müssen; ich sollte das einfach mal ein paar Tage oder womöglich auch Wochen lang zulassen. Und bis dahin sollte das Antidepressivum ja schon angefangen haben zu wirken, und vielleicht kann ich’s dann ja sowieso schon wieder. Es wird irgendwann besser werden, ich sollte mir halt bloß nicht selber ein Bein stellen, indem ich versuche, mir zur Genesung einen Termin zu setzen oder sowas in der Art. Und bis dahin einfach daran denken: ich habe einen halbwegs geregelten Tagesablauf, ich nehme jeden Tag irgendwelche halbwegs sinnvolle Nahrung zu mir, das bedeutet, daß ich Sachen auf die Reihe kriege.

Danach war ich noch beim Arbeitsamt; dort weiß man jetzt, daß ich bis auf weiteres nicht „belästigt“ werden darf. Jetzt muß ich nur noch der Krankenkasse mitteilen, daß sie anfangen dürfen, mir Kranken-Tagegeld zu zahlen...

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Zu dieser Beratungsstelle hinzukommen, war heute morgen nicht ganz einfach. Es hat nämlich in der Nacht angefangen zu schneien (und bis jetzt noch nicht aufgehört). Die finnischen Autofahrer – vor allem die, die von Berufs wegen fahren, z. B. die Busfahrer – lassen sich zwar auch von größeren Mengen Schnee (als ich heute morgen aus dem Haus ging, hatte es fast 10 cm!) nicht so schnell ins Bockshorn jagen wie die deutschen, aber am ersten Schneetag jedes Winters gibt es vormittags immer ein kleines bißchen Verkehrschaos. Aber nur ein kleines bißchen; ich kam fast pünktlich zu meinem Termin und die Heimfahrt klappte auch recht gut.

Die Strecke, die der Bus fuhr, war total schön; es ging ziemlich lang über Landstraßen, das heißt, heute halt zwischen verschneiten Feldern und Wäldern durch. Herrlich. :-)

Aus dem fahrenden Bus heraus kann man ja nicht so gut fotografieren, aber hier sind ein paar Impressionen aus der Stadt:

[Bild: Weihnachtsbeleuchtung in der Fußgängerzone in Tikkurila]

[Bild: eingeschneite Hortensien]

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Mittwoch, 27. Oktober 2010
Blau und gelb
Themen: Neuro-Psycho, Finnland
In den letzten Tagen war ich ziemlich depressiv. Auch wenn es mir gestern besser ging als vorgestern.

Heute hatte ich wieder einen Tiefpunkt. Zum Glück war ich noch soweit beieinander, daß ich meine beste Freundin antexten konnte, und als die zurücktextete, daß sie heute abend Zeit und Ruhe für ein ausführliches Telefonat hat, ging es mir gleich ein bißchen besser.

(Nebenbei bemerkt: Das ist eine der (zahlreichen) blöden Sachen an einer Depression. Sobald man ein bißchen Hilfe kriegt oder eine kleine Sache auf die Reihe kriegt, geht’s einem kurz besser. Das führt dann manchmal beispielsweise dazu, daß man beim Arzt sitzt und eigentlich beschreiben soll, wie schlecht es einem genau geht, und zu dem Zeitpunkt geht es einem aber gar nicht schlecht. Denn man sitzt ja beim Arzt (= Hilfe) und ist da ganz allein hingekommen und/oder hat sich den Termin ganz allein besorgt (= auf die Reihe gekriegt). Aber ich kann dem Arzt doch nicht sagen: Ich geh mal für ein Stündchen zurück ins Wartezimmer und wenn Sie dann mit dem nächsten und übernächsten Patienten fertig sind und ich wieder so richtig schön depressiv bin, komme ich wieder rein...)

In den letzten Tagen war es mir so schlecht gegangen, daß ich mich seit Samstag (meinem Wocheneinkaufstag) nicht aus dem Haus getraut hatte. Also, es ist ja durchaus schon mal vorgekommen, daß ich das Haus mehrere Tage lang nicht verlassen habe, aber das war bis dahin immer entweder deshalb gewesen, weil ich krank war und im Bett lag (zuletzt im Dezember mit dieser gruseligen Magenverstimmung, über die ich damals ganz ausdrücklich nicht gebloggt habe und auch jetzt keine Details erwähnen will – ich will mir ja nicht die letzten paar Leser vergraulen) oder weil ich frei hatte und einfach keine Lust hatte, das Haus zu verlassen. Kann ja auch mal vorkommen; vielleicht ist das Wetter nicht so toll, daß es zum Spazierengehen anregt, und man hat alles, was man in punkto Lebensmittel und Unterhaltung (Laptop und einen Stapel Bücher) braucht, im Haus und deshalb gar keinen Anlaß zum Rausgehen.

Diesmal war es allerdings so gewesen, daß das Wetter erträglich (gestern) bis gut (heute) war und ich sogar einen wichtigen Grund gehabt hätte, wenigstens kurz rauszugehen. Der Mülleimer in der Küche war nämlich am Überlaufen, und neben der Wohnungstür stapelte sich (dank der ziemlich dicken und zweimal wöchentlich erscheinenden Stadtteilzeitung) das Altpapier.

Als die SMS meiner Freundin ankam, faßte ich wieder soweit Mut, daß ich es fertigbrachte, den Müll und das Altpapier rauszubringen. Derart beflügelt, machte ich gleich noch einen kurzen Spaziergang, bei dem mir auffiel, daß die Birken hier in der Umgebung im Moment alle ganz herrlich gelb sind und die Sonne um diese Tageszeit so richtig schön auf die gelben Blätter drauffiel.

Hier sind ein paar Fotos:

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

[Bild: Birkenlaub im Herbst]

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