Sonntag, 7. August 2011
Im Ingwerhimmel
Themen: Kochen
Endlich habe ich ein Ingwerlimonadenrezept (oder für die Englischsprachigen unter uns: Ginger-Ale-Rezept) gefunden, das erstens funktioniert und zweitens schmeckt! (Obwohl mein Ingwersima von neulich auch nicht so ganz schlecht war. Anleitung: Simarezept, bloß zusätzlich zum Zitronensaft noch etwa 150 g kleingeraspelten Ingwer reintun.)

Und das habe ich alles nur dem guten alten Raumschiff Enterprise zu verdanken. Jawollja.

Nein, ganz im Ernst: Wenn ich nicht schon im Krabbelalter (dank meiner sciencefictionserienguckenden Mutter) die Originalserie zu sehen bekommen hätte, hätte ich mich als Jugendliche womöglich für die Neuauflage gar nicht erst interessiert. Und dann wäre mir der Name Wil Wheaton kein Begriff. Und ich hätte womöglich nie herausbekommen (oder, wenn doch, mich nicht dafür interessiert), daß der Mann ein recht lesenswertes Blog hat. Und hätte dann auch nicht erfahren, daß er jetzt im Sommer zusammen mit seinem Sohn ein Brauprojekt durchgezogen und dabei unter anderem auch Ingwerlimonade hergestellt hat.

Und das habe ich ihm nun nachgetan. :-)

Hier ist das Rezept.

Zutaten:
  • 80 g frischer Ingwer (oder auch mehr, vielleicht sogar wesentlich mehr; je nach Geschmack)
  • Saft einer Zitrone
  • Saft einer Orange
  • 180 g Zucker
  • 4–4½ l Wasser
  • etwas Hefe
Natürlich habe ich als Ingwer-Fan deutlich mehr als 80 g Ingwer genommen... ich glaube, es waren eher so 250 g. Rein größenordnungsmäßig. ;-)

Wie auch beim Sima braucht man nicht unbedingt Brauhefe (man darf natürlich, aber man muß nicht), sondern kann auch ganz normale Backhefe aus dem Supermarkt benutzen.

Und ebenfalls wie beim Sima kann auch bei dieser Limonade die Farbe des Endprodukts durch die Verwendung verschiedener Zuckersorten beeinflußt werden. Mit ausschließlich weißem Zucker bekommt man etwas ziemlich Hellgelbes; mit ausschließlich Farinzucker bekommt man etwas, das so ähnlich aussieht wie mein dunkles Sima; und mit Mischungen bekommt man einen Gelbbraunton irgendwo dazwischen.

Jetzt aber zur eigentlichen Limonadenherstellung!

Zuerst wird der Sirup hergestellt: Ingwer schälen, dann raspeln und zusammen mit dem Zitrussaft und ca. 1 l Wasser zum Kochen bringen. Danach mindestens eine halbe Stunde lang köcheln lassen und ab und zu umrühren. (Je länger man das Ganze köcheln läßt, desto geschmacksstärker wird der Sirup. Je nachdem, wieviel Zeit und Geduld man hat, darf es ruhig anderthalb Stunden lang vor sich hin köcheln.)

Den Sirup durch ein Sieb in eine Schüssel schütten und auf knapp unter 40 Grad abkühlen lassen. (Wie man das mißt? Nun ja, entweder man nimmt ein Fieberthermometer oder man benutzt den Handgelenktrick. Ein Tropfen Flüssigkeit, der sich auf der Innenseite des Handgelenks weder warm noch kalt anfühlt, hat genau diese Temperatur.) Dann etwas Hefe hinzugeben, gut umrühren, die Schüssel mit einem Tuch abdecken und etwa eine Viertelstunde lang stehenlassen.

Danach streckt man die Flüssigkeit mit Wasser auf etwa vier bis viereinhalb Liter. (Die genaue Menge wird nicht zuletzt dadurch beeinflußt, was für und wie viele Flaschen man zur Verfügung hat und wieviel Platz noch im Kühlschrank ist.)

Diese vier bis viereinhalb Liter füllt man in gut gereinigte (am besten sterilisierte) leere Plastik-Limoflaschen. Wie immer bei Flüssigkeiten, die noch am Gären sind, gilt auch hier: die Flaschen niemals ganz voll füllen, sondern oben mindestens einige Zentimeter Luft lassen!

Dann dürfen die Flaschen, gut verschlossen, einige Stunden (bei passender Tageszeit: über Nacht) bei Zimmertemperatur ruhen. Währenddessen geht die Hefe so vor sich hin.

Alle paar Stunden wird der Fortschritt des Gärvorgangs überprüft, indem man die Flaschen etwas mit der Hand zusammendrückt. Im Lauf der Zeit wird der Gegendruck immer stärker. Wenn eine Flasche sich gar nicht mehr drücken läßt, ist es Zeit, die betreffende Flasche in den Kühlschrank zu stellen.

Vorsicht: Auch im Kühlschrank geht die Gärung weiter, wenn auch stark verlangsamt! Vergeßt also nicht, die Limonade relativ bald zu trinken... und seid auch beim Öffnen der Flaschen vorsichtig. Wie gesagt: Gasdruck.

(Quelle: LearningHerbs.com und meine bisherige Brauerfahrung)

Hier in Finnland gibt es übrigens eine Menge ähnliche Rezepte, in denen statt des Ingwers die diversen Beeren verwendet werden, die hierzulande so wachsen. Also: Blaubeerlimonade, Preiselbeerlimonade, Himbeerlimonade usw. So etwas werde ich wohl auch bald mal ausprobieren...

So, jetzt begebe ich mich mal ins Internet, auf die Suche nach einem Kräuterlimonaderezept... :-D

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Montag, 1. August 2011
Zwischenmeldung: Viel geschrieben, wenig gebloggt
Themen: Vermischtes
Langsam wird es wirklich Zeit, daß ich mal wieder ein Lebenszeichen von mir gebe.

Aber zuerst einmal möchte ich einem meiner Lieblingsländer, nämlich der Schweiz, ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren und meinen Schweizer Lesern (und allen sonstigen Schweiz-Fans, Schweiz-Besuchern usw.) einen schönen 1. August wünschen!

(Mist. Ich hab’s dieses Jahr mal wieder verpeilt, mir zur Feier des Tages irgendwelchen schönen Schweizer Käse oder Schweizer Wein oder sowas zu besorgen. Hmm, vielleicht schaffe ich es noch, mir im Laufe des Nachmittags etwas Rot-Weißes zu kochen. Oder zählt mein Frühstück etwa? Das war Weißbrot mit Thunfisch in immerhin ziemlich roter Tomatensoße.)

Jetzt aber zurück zum Thema. Lebenszeichen und so.

Den ganzen Juli über hatte ich gar keinen Antrieb zum Bloggen. Es ist auch nicht wirklich viel passiert. Genug zum Twittern, aber nicht genug zum Bloggen. (Eigenwerbung: Geht nach Twitter! Folgt mir! Da kriegt ihr coole, witzige, spannende und manchmal auch subversive Kurztexte (manchmal von mir selber, öfter als Retweets anderer) auf deutsch, englisch, schwedisch und finnisch und manchmal auch niederländisch und esperanto! *werbetrommelrühr*)

Naja gut, die Entenküken sind weiter gewachsen. Kaum zu glauben, daß diese flotte junge Dame...

[Bild: eine junge Stockente, schon fast erwachsen]

... vor ein paar Monaten noch ein handtellergroßes Daunenpuschelchen war, das laut piepsend hinter der Mama herjappelte, nicht wahr? Und das bislang letzte mir bekannte Gelege ist auch schon vor einiger Zeit geschlüpft und die Küken sind schon recht groß und nicht mehr komplett puschelig:

[Bild: Stockentenküken hinter Schilfhalmen]

„Wääh! Will nicht fotografiert werden! Geh weg, blöde Kameratante! Ich bin unsichtbar!“

Der Blick, den es mir dann beim Wegschwimmen zuwarf, war ja auch unbezahlbar:

[Bild: Stockentenküken schwimmt weg]

Außerdem bin ich neulich dieser abenteuerlustigen Schnecke begegnet, die noch hoch hinaus will:

[Bild: an Grashalm hochkletternde Schnecke]

Vorm Haus gab es eine Zeitlang sehr hübsche Lilien.

[Bild: rosagemusterte Lilienblüte]

[Bild: gelbe Lilienblüten]

[Bild: orangefarbene Lilien blühen neben der Haustür]

Das Bild mit den gelben Lilien ist übrigens so richtigherum. Die wuchsen ohnehin schon etwas schräg und nach einem Regenschauer dann tatsächlich ziemlich waagerecht...

Und im Juni habe ich ja einen ziemlich autobiographischen Text über Autismus geschrieben. Mit dem habe ich tatsächlich den Schreibwettbewerb von Autismus-Kultur gewonnen! Beziehungsweise ich bin auf dem 5. Platz gelandet. Von fünfen. Aber egal; ich bin bei den Top 5 und sie haben für die Seite mit meinem Text sogar ein cooles Bild aus Nāhuatl-Wörtern gebastelt. :-D

Die anderen Gewinner, also die vier Leute auf der Welt, die noch besser schreiben können als ich, sind:
  1. Lou mit „Alle meine Katzen – eine Liebeserklärung“ (worüber ich mich als Katzenfan natürlich freue);
  2. Delfins Tochter mit „Das Sprechwort“ (mein persönlicher Favorit unter diesen vieren);
  3. Mama mit „Ich bin Autist und das ist gut so“ (sage ich auch immer, bzw. bei mir ist’s „Ich bin Aspie und das ist auch gut so“); sowie
  4. Hannah mit „Das Treffen auf Augenhöhe“ (ein interessanter Blick auf die unterschiedlichen Probleme vor bzw. nach der Diagnose).
(Irgendwie wünsche ich mir ja, daß sie alle eingereichten Texte veröffentlichen würden. Da waren sicher noch viele andere lesenswerte Sachen dabei. Aber dann wär’s ja kein Schreibwettbewerb gewesen.)

Und nachdem ich meinen Text eingereicht hatte, ging es gleich los mit einer anderen Schreibaktion, diesmal einer völlig anderen: LoCoWriMo.

Nie gehört, gell? Da geht es darum, daß Sprachbastler einen Text in ihrer eigenen Kunstsprache schreiben.

Das soll dann Anfang des Monats losgehen und am Ende des Monats abgeschlossen sein.

Weil ich ich bin, ist es natürlich noch nicht abgeschlossen. Aber wenigstens bin ich in Schwung und werde die zweite Hälfte meiner Geschichte hoffentlich im August fertigkriegen. <klopfaufholz>

Jetzt bin ich also seit einigen Wochen voll damit beschäftigt, fiese Dinge mit Verben anzustellen. Diejenige meiner Sprachen, deren Grammatik am weitesten fortgeschritten ist und die ich daher für diese Aktion ausgewählt habe, hat nämlich eine recht komplizierte Morphologie. Vorteil: Ich muß mir weniger Wörter ausdenken, weil ich vieles aus bereits vorhandenen Wörtern ableiten kann. Nachteil: Ich verheddere mich regelmäßig in Präfixen und Suffixen und danach dann in der Vokalharmonie. ;-)

Aber wenigstens habe ich dabei eine ganze Menge Spaß. Und das ist die Hauptsache. Und ich entwickle meine Sprache weiter.

Daß ich daneben keine Energie zum Bloggen, sondern nur noch zum Twittern habe, liegt allerdings nicht daran, daß mein Text allzu lang oder meine Sprache allzu komplex wäre. Nein; es ist mal wieder Sommer. Die Nummer 4 in der Rangliste meiner Lieblings-Jahreszeiten. Für Details verweise ich auf meinen Text zum Thema vom letzten Jahr.

Ach ja, und einen Kuchen habe ich irgendwann zwischendurch auch mal gebacken:

[Bild: ein Stück selbstgebackener Himbeer-Grieß-Kuchen]

Ganz einfach: Mürbeteigboden, Grießbrei drauf, Tiefkühl-Himbeeren obendrauf und dann backen, bis der an den Rändern hervorlugende Teig einen sympathisch erscheinenden Braunton erreicht hat. Abkühlen lassen und dann: Guten Appetit!

Tip: Gerade in der heißen Sommerzeit schmeckt dieser Kuchen am besten, wenn man ihn frisch aus dem Kühlschrank ißt. Je nach persönlicher Veranlagung erfrischt er womöglich noch mehr, wenn man ihn (wie ich) überhaupt nicht zuckert. Aber das ist natürlich nicht jedermanns Sache.

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Mittwoch, 29. Juni 2011
Kurzgeschichte: Besuche in der Welt der Anderen
Themen: Neuro-Psycho, Schreiben, Trauerarbeit
In den letzten (ungefähr) zwei Wochen habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben. Und sogar fertigbekommen. :-D

Diese Kurzgeschichte ist mein Beitrag zum Schreibwettbewerb „Autismus neu denken“, der vom Netzwerk Autismus-Kultur veranstaltet wird.

Wer mich näher kennt (oder hier im Blog gut aufgepaßt hat), wird schnell merken, daß die Geschichte mehr oder weniger autobiographisch ist. Oder, wie man auf neudeutsch wohl sagen würde: based on a true story.

Hier im Blog kürze ich Namen ja normalerweise ab; mein hypothetischer Nachbar Benny würde also als „B.“ auftauchen. In der Geschichte bin ich einen anderen Weg gegangen und habe die Leute einfach umbenannt, allerdings mit ein paar Ausnahmen: „Ari“ sind eigentlich zwei Personen (von denen in Wirklichkeit natürlich keiner so heißt) und „Amina“ ist eigentlich Russin, aber da mir kein russischer Frauenname einfiel, der mir passend erschien, habe ich sie kurzerhand zur Araberin umfunktioniert. Dichterische Freiheit und so. Ihr wißt schon.

Aber ansonsten ist alles (fast) wahr. Einschließlich der Tatsache, daß Bernd das Brot eine meiner Lieblingssendungen und sowieso total superdupertoll ist.

Die Blumen, die mir meine liebe Nachbarin vor die Tür stellte, waren Sonnenblumen.

Statt von dem „falschen“ Brot mit „falscher“ Butter habe ich mich damals schlußendlich größtenteils von fremdgekochtem bzw. geliefertem Essen ernährt. Allen Lesern, die in der Gegend von Saarbrücken sind oder da vielleicht mal hinkommen, kann ich die Anna (größtenteils italienisches Essen) und den Lillo (italienisches und indisches Essen) wärmstens empfehlen. Vor allem die diversen Nudel- und Gnocchigerichte von der Anna und die vegetarischen indischen Sachen vom Lillo.

Jetzt kommt aber die Geschichte!


Besuche in der Welt der Anderen

„Sie sind von wo angereist?“ Der Arzt kann es gar nicht fassen.

Dabei ist er es doch, der mich zwei Tage zuvor angerufen hat. Was hätte ich denn anderes tun können? Dortbleiben? Unmöglich. In dieser Situation gibt es nur eine einzige Handlungsoption. Alles andere ist unvorstellbar.

„Wissen Sie, manche Leute kommen nicht einmal aus einem anderen Bundesland.“

Und ich bin aus dem Ausland extra hergekommen, weil meine Mutter auf der Intensivstation liegt.

Ich kann mir nicht vorstellen, was das für seltsame Leute sind, die da nicht anreisen würden. Wo das doch die einzig mögliche Handlung ist.

Selbstverständlich wäre ich viel lieber dortgeblieben. Selbstverständlich würde ich viel lieber in meiner gewohnten Umgebung meinen gewohnten Routinen nachgehen, statt hier herumzusitzen und dem wichtigsten Menschen in meinem Leben beim Sterben zuzugucken. Aber es ist die einzig mögliche Handlung.

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Ich will zurück nach Hause. Zurück in meine kleine, vollgestopfte Wohnung. Zurück zur Arbeit, wo ich mir ein kleines Büro ganz am Ende des Flures mit Miroslaw teile, direkt neben dem Serverraum. Ab und zu kommt Ari auf einen Plausch vorbei. Ich mag ihn, so wie ich eigentlich alle Systemverwalter mag, mit denen ich je zu tun hatte; sie sind genauso verschroben wie ich, nur daß es bei ihnen nicht „verschroben“ genannt wird, weil jeder weiß, daß Systemverwalter nun mal so sind. Und weil sie so sind, wie sie sind, verstehen sie mich und ich verstehe sie.

Miroslaw ist den halben Tag damit beschäftigt, mit unserer russischen Filiale alle möglichen Sachen auszuhandeln, zu organisieren und koordinieren. Fast nach jedem einzelnen Telefonat entschuldigt er sich wortreich für den ganzen Lärm, den er dabei zu machen meint. Wie oft muß ich ihm noch erklären, daß ERSTENS Russisch eine sehr klangvolle Sprache ist, die ich auf keinen Fall als „Lärm“ betrachte, und er ZWEITENS sowieso eine sehr angenehme Stimme hat, so daß ich DRITTENS seine Telefonate noch nie als störend empfunden habe, sondern VIERTENS bisweilen sogar als angenehm?

Außerdem lerne ich auf diese Weise so nach und nach das Fachvokabular für unser Projekt auch auf russisch. Für den rein hypothetischen Fall, daß ich das mal brauche. Aber hauptsächlich einfach nur so. Ich mag Wörter.

Den ganzen Tag arbeite ich an meiner Fachterminologie für das Projekt. Das ist schön; Wörter suchen und Definitionen ausformulieren. Und überlegen, ob ich dieses oder jenes Wort vielleicht auch in anderen Sprachen als nur Deutsch und Englisch kenne und dadurch dem Übersetzungsteam ein wenig Arbeit abnehmen kann.

Ab und zu exportiere ich die Wörter der Master-Liste aus der Datenbank in ein Spreadsheet. Das kann ich dann noch hübsch formatieren, bevor ich es den technischen Experten zur Revision schicke. Die schicken mir dann Korrekturen; und noch viel spannendere Sachen: Welche neuen Konzepte sie entwickelt haben, die ich nun benennen darf. Was für andere Wörter man womöglich noch gebrauchen könnte. Wo ich noch nach neuen Wörtern suchen könnte.

Mein Chef weiß nicht, daß ich diese Arbeit als „ich darf den ganzen Tag mit Wörterbüchern spielen und werde dafür auch noch bezahlt“ beschreibe; zumindest habe ich es ihm nie gesagt. Aber vielleicht hätte er für diese Beschreibung sogar Verständnis; immerhin ist er es, der sofort an mich dachte, als er hörte, daß für dieses Projekt jemand gesucht wird, der Terminologiearbeit machen kann. Anscheinend eilt mein Ruf mir voraus. Ich habe mir aber bis jetzt immer die Frage verkniffen, worin dieser Ruf nun genau besteht: „Julia führt klaglos und anscheinend sogar mit Freude langweilige, monotone Arbeiten aus“? Oder eher „Julia liebt Wörter über alles, kennt sich mit Sprachen aus und schreibt ausgezeichnete Definitionen“?

Letzteres wäre mir lieber, aber eigentlich ist es ja egal. Ich bin in einem Projekt, das mir Spaß macht, und in regelmäßigen Abständen drückt irgendjemand seine Freude über meine Arbeit aus und gibt mir neue Denkanstöße und ansonsten läßt man mich größtenteils in Ruhe. Was will man mehr?

Irgendwann am Nachmittag habe ich dann mein tägliches Pensum erledigt und gehe noch in die Stadt, falls ich etwas einkaufen muß. Oder ich gehe direkt nach Hause. Den Busfahrplan kann ich auswendig, daher komme ich immer genau zur richtigen Zeit an die Haltestelle.

Um Punkt acht Uhr fange ich mit den Vorbereitungen für die Nacht an: Rechner herunterfahren, Geschirr vom Abendessen spülen, duschen und Haare waschen und so weiter. So komme ich auf jeden Fall spätestens um neun ins Bett. Das ist wichtig, denn ich stehe um fünf Uhr auf, damit ich mit dem allerersten Bus zur Arbeit fahren kann. Meistens bin ich morgens als Erste im Büro. Zum Glück haben wir gleitende Arbeitszeit. So kann ich von meinem Schreibtisch aus den Sonnenaufgang genießen und auch die morgendliche Stille im ganzen Stockwerk – und danach das allmähliche Aufwachen des gesamten Gebäudes.

Nach und nach treffen dann, meist in derselben Reihenfolge wie am Vortag, die Kollegen ein. Um zehn Uhr ist unsere tägliche Mini-Projektbesprechung; Amina und Mikko, die Textredakteure, unsere Koordinatorin Marjaana sowie ich, die Terminologin, Herrin über Wortbedeutungen und über Dativ und Akkusativ. Eine Viertelstunde lang informieren wir uns gegenseitig über den Fortschritt unserer Arbeit und planen gemeinsam die nächsten Schritte.

Es ist gut, wenn man jeden Tag eine Gelegenheit hat, auf etwas zu zeigen und zu sagen: das habe ich seit gestern fertiggebracht. Und sich mit den anderen über die Dinge zu freuen, die sie seit gestern fertiggebracht haben.

Diese Routinen sind gut für mich. Routinen geben Struktur und Sicherheit. Routinen beruhigen.

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Hier habe ich keine Routinen. Aber während aus Tagen Wochen werden, entwickeln sich nach und nach welche: Besuchszeit im Krankenhaus ist von vier bis sechs. Im Warteraum vor den Toren der Intensivstation sitzen immer dieselben Leute. Mittags gegen zwölf ruft Irmgard an, abends um acht ruft Rita an.

Dazwischen weiß ich nichts mit mir anzufangen. Ich wünschte, ich hätte hier einen Internetanschluß; dann könnte ich wenigstens stundenweise an meiner Terminologie weiterarbeiten.

Terminologie hat Struktur. Struktur gibt Sicherheit. Struktur beruhigt.

Im Fernsehen laufen Serien, die ich nicht mehr kenne. Alle reden deutsch. Das verwirrt mich; bin ich doch seit Jahren an Originalton mit Untertiteln gewöhnt. Das einzige, was mich nicht verwirrt, ist „Bernd das Brot“.

Neuer Zusatz zur Routine: Abends „Bernd das Brot“ ansehen.

Das Wetter ist ungewohnt warm. Ich habe seit über zehn Jahren keinen Sommer mehr in Deutschland verbracht.

Und die Busse haben seltsame Nummern und fahren zu seltsamen Zeiten.

Und das Roggenbrot, das es hier gibt, ist zu stark gewölbt und die Butter ist ungesalzen und nirgends gibt es vernünftigen Grießbrei. Aber von irgendwas muß ich mich schließlich ernähren.

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Aus purer Verzweiflung fange ich an, eine neue Sprache zu lernen. Mal wieder eine, von der meine Mutter sagen würde, die habe doch gar keinen praktischen Nährwert. Vielleicht würde sie es aber auch nicht sagen, denn sie weiß genau, wieviel Spaß mir Sprachen machen und daß es mir neben diesem ganzen Spaß völlig egal ist, ob ich meine Sprachkenntnisse irgendwann irgendwo womöglich mal anwenden kann.

Also: Nāhuatl (Aztekisch, Mexikanisch), Lektion 1: Schreibung und Aussprache.

Das ist schnell gelernt. Die Sprache wird fast genauso ausgesprochen, wie sie geschrieben wird, und umgekehrt.

Also weiter zu Lektion 2: Grundwortschatz und einfache Wortableitungen.

Das ist schon besser! Ich mag Sprachen mit interessanten Wortableitungsmöglichkeiten.

Calpixqui. Hausmeister. „Der (-qui) sich um das Haus (cal) kümmert (pix).“

Tlacualchīhualōyān. Küche. „Ort, wo (-yān) irgendwelche nicht näher bezeichneten Leute (-lō) etwas (tla-) zu essen (cua) zubereiten (chīhua).“

So fülle ich die leeren Flecken zwischen Krankenhaus, Telefon und Kastenbrot mit Grammatik.

Auch die Zahlwörter machen mir Spaß. Nāhuatl hat ein Zwanzigersystem, das heißt, man muß zum Umrechnen aus unserem Zehnersystem immer durch 20 teilen und dann mit dem Rest weiterrechnen.

Ich fange an, die Zahlen auf den Nummernschildern vorbeifahrender Autos umzurechnen:

1383. Das ist 3 mal 400 – yētzon – Rest 183; 9 mal 20 – chiucnāuhpōhual – Rest 3; äh; also alles in allem yētzontli onchiucnāuhpōhualli omēyi.

2907. Das ist 7 mal 400 – chicōntzon – Rest 107; 5 mal 20 – mācuīlpōhual – Rest 7; also insgesamt chicōntzontli ommācuīlpōhualli onchicōme.

Habe ich schon erwähnt, daß ich außer Wörtern auch Zahlen mag?

596. 1 mal 400 (centzon) Rest 196; 9 mal 20 (chiucnāuhpōhual) Rest 16; also centzontli onchiucnāuhpōhualli oncaxtōloncē.

8478. 1 mal 8000 (cenxiquipil) Rest 478; 1 mal 400 (centzon) Rest 78; 3 mal 20 (yēpohual) Rest 18; also cenxiquipilli oncentzontli omēpohualli oncaxtōlomēyi.

Mit der Übung wird es einfacher.

3914. Chiucnāuhtzontli oncaxtōlpōhualli ommahtlactli onnāhui.

Ab Lektion 3 erlaubt mir das Lehrbuch dann, einfache Sätze zu bilden.

Xuan īpan xōchipilli. Johannes ist im Garten.

Inīn īāmox in Malina. Dieses Buch gehört Marina.

Cōconeh īpan tēmachtīlōyān. Die Kinder sind in der Schule.

Cāmpa nichcameh? Wo sind meine Schafe?

Nonāntzin īpan cocoxcalli. Mami ist im Krankenhaus.

Mir steigen Tränen in die Augen.

Ahmō niccualitta. Das gefällt mir gar nicht.

Die Buchstaben verschwimmen in den Tränen.

Dennoch tut mir die Wortstruktur gut. Struktur gibt Sicherheit. Struktur beruhigt.

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Alle paar Tage telefoniere ich mit Jyrki, dem Projektleiter, und Risto, dem Abteilungsleiter. Als ich ihnen damals (wann eigentlich? Mein ohnehin schon unzuverlässiges Zeitgefühl ist mir vollkommen abhanden gekommen) sagte, daß meine Mutter auf der Intensivstation liegt, sagten beide nur: „Geh! Geh! Wir werden schon irgendwie eine Weile ohne dich klarkommen.“ Ich habe immer noch nichts Neues zu berichten. Es geht ihr von Tag zu Tag etwas schlechter; wie schon beim letzten Telefonat. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich noch hierbleiben muß; wie schon beim letzten Telefonat. Sie versuchen mich zu trösten, aber niemand von uns findet die rechten Worte. Ich fühle mich dennoch getröstet. Als Finnen können die beiden auch mit Schweigen viel ausdrücken.

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Es tut mir gut, im Ausland zu leben. Die finnische Mentalität ist mir angenehm; niemand will mich ständig zur Begrüßung und zum Abschied umarmen oder küssen, und man muß auch nicht ständig reden, wenn man mit jemandem zusammen ist.

War es Bertolt Brecht, der gesagt hat, daß die Finnen in zwei verschiedenen Sprachen schweigen können? Finnland hat zwei offizielle Landessprachen, die ich inzwischen beide sprechen kann. Aber wohler als beim Sprechen fühle ich mich, wenn ich mit Freunden oder Nachbarn schweigend zusammensitze. Ihr Schweigen umhüllt mich freundlich und meins umhüllt sie.

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Manche Leute – Nachbarn oder auch Bekannte, die anrufen – machen sich Sorgen um mich. Wie ich es denn so ganz allein im Haus aushalte?

Ich verstehe, wie sie auf diese Gedanken kommen, auch wenn ich sie nur theoretisch nachvollziehen kann. In diesem Haus bin ich aufgewachsen. Es ist mir vertraut. Ich war doch auch schon früher ab und zu mal allein zu Hause, ohne daß man sich gleich Sorgen um mich machte!

Das Problem ist nicht, daß meine Mutter nicht hier, im Haus, ist. Das Problem ist, daß sie stattdessen dort, im Krankenhaus, ist.

Aber das hat doch nichts mit dem Haus zu tun. Oder mit mir.

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Die Nachbarin hat mir über Nacht zwei Blumenstöcke vor die Haustür gestellt. Einen links, einen rechts.

Ich fühle mich für einen Moment glücklich. Geborgen—

Soll ich jetzt gleich noch vor dem Frühstück rübergehen und mich bedanken? Oder soll ich warten, bis sie von der Arbeit zurückkommt? Oder mich vielleicht telefonisch bedanken?

Wenn meine Mutter hier wäre, könnte sie mir einen Rat geben. Allein bin ich ratlos. Ich kann komplizierte Algorithmen entwickeln, aber den Algorithmus zum Bedanken für Blumenstöcke kenne ich nicht.

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In lichten Momenten öffnet sie die Augen. Wenn sie mich anschaut, schaue ich zurück.

„Ich hab dich lieb“, sage ich und stelle mir vor, daß sie antwortet: Ich dich auch.

Wenn sie ihren Freund anschaut, merke ich, daß zwischen ihren und seinen Augen etwas vor sich geht. Information fließt hin und her. Ein Datenstrom, den ich zwar wahrnehmen, nicht aber dekodieren kann.

Ich frage mich, ob das vielleicht der Grund ist, warum ich ausgerechnet Sprachwissenschaften studiert habe. Daß ich irgendwie unbewußt gemerkt habe, daß zwischen den anderen Kommunikation auf noch viel mehr Ebenen abläuft als nur auf den wenigen, die ich benutze. Und daß ich lernen wollte, wie das alles funktioniert.

Meine Mutter würde vehement abstreiten, daß ich auch nur einen autistischen Knochen im Leibe hätte. Aber hier in diesem Krankenzimmer ist es offensichtlich, daß sie ganz genau weiß, daß ich mit meinen Augen keine Datenströme aussenden oder empfangen kann. Deshalb verzichtet sie darauf, mir mit ihren Augen Datenpakete zuzuwerfen. Stattdessen schaut sie mich einfach nur liebevoll an.

Aber ihr Freund ist nicht autistisch. Er bekommt einen Datenstrom aus ihren Augen und sie aus seinen.

Fasziniert beobachte ich, wie vor meinen Augen Kommunikation geschieht.

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Auch wenn sie bewußtlos ist (was eigentlich die allermeiste Zeit ist), möchte ich mit ihr reden. Vielleicht hört sie mich ja.

Also plappere ich über Bernd das Brot und komme mir so furchtbar tolpatschig vor. Aber mir fällt nichts ein, worüber ich sonst reden könnte. Ich möchte sie in ihrem Zustand nicht überfordern, also kommen Erklärungen über diesen oder jenen Aspekt der Nāhuatl-Grammatik schon mal nicht in Frage. So komme ich immer wieder auf das zynische Kastenbrot und seine zwei verrückten Freunde, das Stunt-Schaf und den geekigen Busch, zurück.

Ich wünschte, ich hätte so einen schönen Rückzugsort wie Bernd. Der kann es sich bei Bedarf in seinem schalldicht gepolsterten Zimmer mit den beruhigend-eintönig weißen Wänden gemütlich machen. Im Krankenzimmer sieht es dagegen aus wie im Labor von Briegel, dem verrückten Busch: alles voller Kabel und blinkender und piepsender Maschinchen.

Ich bin froh, daß ich ebenfalls ziemlich geekig bin. So kann ich mich, wenn ich eine Pause brauche, auf die Maschinen konzentrieren, die Atemluft und Nahrung und Medikamente in meine Mutter hineinpumpen und Meßwerte anzeigen. Körpertemperatur. Blutdruck. Herzfrequenz. Sauerstoffgehalt des Blutes. Luftdruck in der Lunge. Die Kürzel und Symbole sind mir schon bald vertraut.

Ich stelle mir vor, statt in einem Krankenzimmer in einem Serverraum zu sitzen.

Die bunten Lämpchen an den Maschinen blinken mich freundlich an.

Wenn in der Infusionsmaschine ein neues Medikament hinzukommt oder auf dem Krankenblatt oder in den Gesprächen der Ärzte ein neuer Fachbegriff auftaucht, mache ich mir eine Notiz und schlage die Wörter am Abend nach. Meine Mutter hat im Lauf der Jahre ein ganzes Regalbrett voller medizinischer Nachschlagewerke zusammengekauft. Voller Spannung suche ich die Medikamentennamen in der „Roten Liste“ und schlage die Wirkstoffe, Wirkmechanismen und so weiter dann im „Pschyrembel“ nach oder in einem der Bücher über Biochemie.

Assistierte Spontanatmung.

Sufentanil.

Ringer-Lösung.

GABA-Agonist.

Auf diese Weise kann ich wenigstens erahnen, was genau passiert und warum. Warum ausgerechnet dieses Schmerzmittel verabreicht wird und nicht ein anderes. Wieviel von der Nährflüssigkeit ihr Körper annimmt und metabolisiert, und wieviel unverdaut ausgeschieden wird.

So merke ich auch immer wieder, daß das hier tatsächlich ein Krankenzimmer und kein Serverraum ist. In einem Serverraum hätte ich die Möglichkeit, von einem Terminal aus auf eine Liste der laufenden Prozesse zuzugreifen und jeden davon einzeln abzufragen und mir auf diese Weise ganz genau anzusehen, was da vor sich geht. Aber in diesem Krankenzimmer bleibt mir nur mein Notizblock. Und dann die Fachwörterbücher daheim.

Die Informationen und die schöne naturwissenschaftliche Fachterminologie nehmen mir einen Teil des Schmerzes, der meine Seele füllt. Für den Rest wünsche ich mir dieselben Medikamente, die sie bekommt, allerdings in einer geringeren Dosierung, denn statt des gesamten Ich schmerzt ja nur die Seele.

Ein alter Freund besorgt mir einen Termin bei seiner Hausärztin, die mir ein Beruhigungsmittel verschreibt, das einen weiteren Teil des Schmerzes in meiner Seele betäubt, für den ich einfach keine Worte finde.

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Der Arzt, der mir die Todesnachricht überbringt, will wissen, ob ich sie noch einmal angucken kommen will.

Angucken?

Er erklärt es mir. Manche Leute wollen ihre verstorbenen Angehörigen anscheinend noch einmal sehen.

Aber ich lehne das Angebot ab. Was soll ich denn da? Das ist nicht meine Mutter. Meine Mutter ist Wörter und Erinnerungen und Geschichten und Kochrezepte und Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen und Strickmuster und der Klang ihrer Stimme. Das ist jetzt alles irgendwo anders. Das, was da noch im Krankenhaus liegt, ist bloß ein Körper.

Weil meine Mutter evangelisch war, ihr Freund aber katholisch, erklärt die Pfarrerin uns den Unterschied zwischen dem evangelischen und dem katholischen Verständnis des Trauergottesdienstes. Aus katholischer Sicht dient dieser Gottesdienst dem Verstorbenen beziehungsweise seiner Seele, aus evangelischer Sicht ist der Gottesdienst vor allem für die Hinterbliebenen.

Das kann ich zumindest theoretisch nachvollziehen.

Die Blumen sind schön und die Pfarrerin hält eine gute Rede. Aber ich habe mich schon vor Tagen von meiner Mutter verabschiedet. Ich brauche diesen Gottesdienst nicht. Einen katholischen Trauergottesdienst fände ich sinnvoller, denn der würde offenbar immerhin ihr nützen.

In meinem Leben ist ein mamiförmiges Loch.

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In Gegenwart anderer Menschen kann ich nicht weinen. Das hat nichts damit zu tun, daß es mir vielleicht peinlich wäre; es geht ganz einfach nicht. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, es kommen keine Tränen.

Die Tränen kommen erst, wenn ich allein bin.

Ich stehe am offenen Grab umringt von weinenden Menschen. Einige kommen zu mir und umarmen mich; das ist mir unangenehm, aber ich lasse sie gewähren, denn ich weiß, daß solcher Körperkontakt für die anderen Trost bedeutet.

Ich hoffe, daß die Trauerfeier bald vorbei ist, damit ich endlich weinen kann.

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Irmgard ruft immer noch jeden Mittag an, um mir Halt und Trost zu geben; genau wie ich ihr auch schon in ihren Krisenzeiten Halt und Trost gegeben habe.

Man hat mich schon oft gefragt, wie es denn möglich ist, eine beste Freundin zu haben, die in einem anderen Land wohnt, über tausend Kilometer von mir entfernt. Ich weiß nie, was ich antworten soll außer „warum sollte das denn nicht möglich sein?“.

Schließlich gibt es Briefe und Telefone und das Internet.

Müssen wir uns wirklich ständig gegenseitig auf der Pelle sitzen, nur um einander klarzumachen, daß wir immer noch befreundet sind?

Die anderen verstehen mich oft nicht, aber ich verstehe sie oft auch nicht. Unterm Strich gleicht sich das alles wohl aus.

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Als ich ins Büro zurückkomme, steht auf meinem Schreibtisch ein Blumenstrauß.

„Willst du wirklich schon wieder arbeiten?“ fragt Jyrki. „Wir sind natürlich froh, daß du wieder da bist, aber niemand wäre dir böse, wenn du dich noch eine Weile krankschreiben lassen würdest.“

Ich brauche eine Weile, um ihm klarzumachen, daß die Arbeit für mich jetzt die beste Therapie ist. Im Büro darf ich den ganzen Tag mit Wörterbüchern spielen und zwischendurch mit Ingenieuren reden. Gibt es etwas Schöneres? Zu Hause müßte ich mir selber eine Aufgabe suchen, die mich so fasziniert wie die Terminologiearbeit.

Außerdem ist Hochsommer und ich sehe nicht ein, warum ich die heißeste Zeit des Jahres irgendwo anders verbringen sollte als im vollklimatisierten Büro.

Während meiner Abwesenheit sind neue Dokumente entstanden, die ich jetzt korrekturlesen soll. Und neue Funktionen, für die ich Namen finden muß.

Die Terminologiedatenbank begrüßt mich wie einen alten Freund. Ich lege mir die Wörterbücher zurecht und öffne ein paar Browserfenster. Bevor ich anfange zu recherchieren, koche ich mir noch eine Tasse Tee.

In einer Stunde wird Miroslaw ins Büro kommen. In zwei Stunden ist unsere tägliche Projektbesprechung. Ist heute Dienstag? Nein. Schade; dann würde um die Mittagszeit eine große Kiste Obst geliefert. Wenn ich Glück habe, ist eine Ananas dabei, die ich mir mit mehreren Kollegen teilen kann.

Während mehrere Suchmaschinen meine Anfragen bearbeiten, nuckle ich an meinem Tee.

Routinen sind gut. Routinen geben Struktur und Sicherheit. Routinen beruhigen.

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Hitzeschwitzesommerzeit
Themen: Vermischtes
Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß der Sommer auf der Liste meiner Lieblingsjahreszeiten an vierter Stelle steht? ;-)

Diese verdammte Hitze... Kaum zu glauben, daß das hier Finnland ist. Andererseits: Wegen der langen, kalten Winter sind die Häuser ja gut isoliert, und was im Winter monatelang nützlich ist, ist irgendwann im Frühsommer dann zuerst eine Weile lang nervig, dann ein paar Wochen lang absolut eklig und dann wieder einfach nur nervig, bis endlich der Spätsommer-Frühherbst beginnt.

Vor etwa einer Woche war der Übergang von „nervig“ nach „eklig“. Das ist wohl einer der Gründe, warum ich seit einigen Tagen so furchtbar müde bin und (unter anderem) nicht die geringste Lust zum Bloggen habe. Und leider auch keine einzige Idee zum Bloggen.

Immerhin habe ich dank meiner Brauaktivitäten in der letzten Zeit eine Menge lecker-lecker Trinkbares im Kühlschrank.

Im Keller reift dieser Tage übrigens ein Kirschwein. Und ich trinke gerade schwachvergorenes Zitronen-Sima, das heißt, das Zeug enthält so gut wie keinen Alkohol und dafür schmeckt man noch etwas Zucker heraus. (Das Grundrezept, das ich mir bis jetzt erarbeitet habe, ist „1 Pfund Obst plus 1 Pfund Zucker plus bis zu 4 Liter Wasser“.)

Auch die Tierwelt ist von den Temperaturen nicht unbedingt immer angetan, wie man auf diesem (allerdings schon ein paar Wochen alten) Bild sehen kann:

[Bild: Entenküken kühlen sich im Schatten der Fotografin; die Entenmutter ist noch skeptisch]

Die Küken haben anscheinend von der direkten Sonneneinstrahlung erst einmal genug und sitzen gemütlich in meinem Schatten. Die Mutter steht mit etwas skeptischem Gesichtsausdruck daneben und fragt sich bestimmt, was die komische Tante mit der Kamera denn jetzt schon wieder will. Aber als Bedrohung scheint sie mich nicht zu sehen, denn sonst hätte sie ihre Kinder schon längst weggescheucht.

Und ich sitze hier im eigentlich schattigen Wohnzimmer und schwitze trotz Ventilator...

Schnell ein paar Winterfotos mit viel Schnee drauf angucken! – Uff, jetzt geht’s mir besser.

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Freitag, 17. Juni 2011
Willkommen im Mittelalter!
Themen: Vermischtes
So, gestern bin ich 40 geworden. Jetzt bin ich offiziell „im mittleren Alter“. Mal gucken, wann die Midlife crisis kommt. Allerdings habe ich den Verdacht, daß der Nervenzusammenbruch im letzten Herbst schon der Höhepunkt der Midlife crisis gewesen sein könnte... <grübel>

Ich habe mir einen schönen Tag gemacht! Unter anderem habe ich mir selber einen leckeren Kuchen gebacken:

[Bild: ein Stück selbstgebackener Käsekuchen mit Schokofüllung]

Das ist ein Käsekuchen mit Schoko-Grießbrei-Schicht unter dem „Käse“. (Rezept kommt bald...) Mein Geburtstagsgeschenk an mich selber war dieses Jahr eine schöne Backform aus hitzebeständigem Glas, die ich mit diesem Kuchen dann eingeweiht habe.

Außerdem habe ich einen Apfelwein angesetzt und einen längeren Spaziergang gemacht. Die Pflanzenwelt da draußen ist immer noch bzw. mal wieder sehr hübsch anzusehen; die Tierwelt natürlich auch. Die ältesten der Entchen kriegen schon ihre Erwachsenenfedern. Meine Güte, wie die Zeit vergeht!

[Bild: mehrere Wochen alte Entenküken mit den ersten "Erwachsenenfedern"]

Diese rötlichbraunen Federn an Brust, Flügeln und Bürzel sind auf jeden Fall keine Kinderdaunen mehr! Aber in der Nähe gibt es ja noch weitere Entenfamilien, deren Küken noch deutlich jünger sind...

[Bild: Entenküken klettern auf Steinen herum]

... und sich auch ab und zu noch unter der Entenmama verstecken.

[Bild: Entenmutter sitzt auf jungen Entenküken]

Aber wir haben natürlich auch noch die ganzen anderen Tiere...

[Bild: überrascht guckendes Eichhörnchen an Futterstelle]

... beispielsweise Eichhörnchen, die immer wieder ganz erstaunt gucken, wenn ich mit meiner Kamera auftauche.

[Bild: überrascht guckendes Eichhörnchen an Baumstamm]

Und Hasen gibt’s auch noch! Normalerweise sieht man sie immer nur ganz kurz während der Dämmerung vorbeihoppeln, aber dieser hier...

[Bild: auf Waldlichtung sitzender Hase]

... saß im hohen Gras und guckte mich nur so von der Seite an. Ich konnte außer diesem noch ein paar weitere Fotos schießen, bevor er die Nase voll hatte und davonhoppelte.

Also für die Hasen gibt’s Gras und für die Enten gibt es andere Pflanzen.

[Bild: eine Lilie blüht am Teichufer zwischen Birken]

Ich sehe immer wieder Entenkükengruppen die Dickichte am Rande dieses oder jenes Weihers buchstäblich abgrasen. Sieht ganz schön lustig aus, wenn man vom Ufer aus nur die Lilien wackeln sieht, während darunter eifriges Gepiepse hervordringt!

[Bild: Wiese mit blühenden Lupinen]

Wilde Lupinen blühen hierzulande so Anfang, Mitte Juni. Also unter anderem zu meinem Geburtstag. Daher mag ich diese Blumen sehr gern. :-)

Aber auch in den Gärten gibt es mal wieder Schönes zu betrachten. Unter anderem haben wir an unserem Haus gerade einige sehr schöne Pfingstrosen:

[Bild: rosa Pfingstrosen im Garten]

... und das, obwohl Pfingsten doch schon vorbei ist... Aber macht nichts, hierzulande blühen ja auch die Osterglocken in den meisten Jahren erst lange nach Ostern... Damit muß man sich halt abfinden, wenn man so nah am Nordpol lebt wie ich. Aber zum Ausgleich liegt neben unseren Schneeglöckchen in den meisten Jahren auch wirklich noch Schnee. ;-)

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Dienstag, 14. Juni 2011
Weinherstellung für Anarchisten (und solche, die es werden wollen)
Themen: Kochen
Heute bin ich endlich mal dazu gekommen, im Einkaufszentrum den Fachhändler für Heimbrauereibedarf aufzusuchen.

Dort mußte ich leider feststellen, daß dieses Geschäft für mich eher uninteressant ist. Das Sortiment ist nämlich vor allem für die Leute gedacht, die zu Hause (mehr oder weniger) solches Bier und solchen Wein herstellen wollen, wie man sie auch in fertigen Flaschen kaufen kann.

Ich dagegen nehme einfach irgendwelches Obst und schütte Zucker drauf und setze den Gärungsprozeß in Gang und bin dann gespannt darauf, was wohl diesmal herauskommt. Wenn das Ergebnis ein „normaler“ Gewürztraminer oder ein „normales“ Schwarzbier wäre, wäre ich eher enttäuscht!

Außerdem lege ich auch einen gewissen Wert darauf, Zutaten zu verwenden, die man nicht unbedingt beim Fachhändler suchen muß, sondern im Notfall einfach irgendwo besorgen kann. Ich verwende also weiterhin die ganz normale Backhefe und experimentiere daneben mit verschiedenen Zuckersorten – und natürlich auch Obstsorten. Und wie weit der Gärungsprozeß fortgeschritten ist, lasse ich mir auch in Zukunft von Rosinen anzeigen.

Allerdings werde ich mir wohl doch irgendwann in diesem Fachgeschäft so ein Alkohol- und Zuckergehalt-Meßgerät kaufen. Nur für den Fall, daß ich auch mal wissen will, wie betrunken man von diesem oder jenem Gärungsprodukt werden kann. ;-)

Am Wochenende habe ich Rhabarber gekauft. Die Hefe scheint ihn zu mögen; auf jeden Fall lief die Gärung wie verrückt und ich traute mich gar nicht, die Flasche im Keller aufzubewahren, und legte sie der Sicherheit halber in den Kühlschrank, wo es noch ein bißchen kühler ist und sich die Gärung zumindest theoretisch etwas verlangsamen sollte. Dennoch gab es heute morgen, als ich versuchte, gaaaaanz vorsichtig die überschüssige Kohlensäure abzulassen, eine kleine Explosion... Wie gut, daß ich die „gefährlichen“ Teile des Brauens sowieso immer im Bad durchführe! Das läßt sich wenigstens leicht reinigen. Aber ich hätte nie gedacht, daß es mal soweit kommen würde, daß ich mir Rhabarber aus den Haaren spülen müßte. :-O

Aber wenigstens schmeckten erste Proben des Rhabarbermosts vielversprechend. Auch wenn das Zeug recht übel riecht. Heute atmet es (bei geöffneter Flasche) ein wenig und danach kommt es wieder in den Kühlschrank und darf dort weiterreifen. (Meine Malzbierexperimente verliefen dagegen bis jetzt eher unbefriedigend. Ein Getränk, das wie flüssiges Roggenbrot schmeckt, bekomme ich ohne weiteres hin, aber irgendwie metabolisiert mir diese blöde Hefe immer den Malzgeschmack weg. Motz, mecker. Aber zurück zum Thema...)

Tja, und dann bin ich ein bißchen durchgedreht und zum Supermarkt gelaufen – bei der Gelegenheit kam ich auch beim Braubedarfs-Geschäft vorbei – und habe ein Pfund Tomaten gekauft. Die fermentieren jetzt in ihrem Bottich fröhlich vor sich hin.

Für alle, die mich jetzt tatsächlich für durchgedreht halten: Rein technisch sind Tomaten Obst und kein Gemüse, auch wenn sie normalerweise als Gemüse behandelt werden. Eine Freundin meiner Mutter kocht ab und zu sehr leckere Tomatenmarmelade, und ich habe auch schon mal einen Tomatenkuchen gebacken. Tja, und jetzt also Tomatenwein.

Ich bin gespannt, wie der wird. :-)

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Donnerstag, 9. Juni 2011
Rezept: Sima (finnischer Zitronenmet)
Themen: Kochen, Finnland
Neuerdings betätige ich mich als Brauerin. Damit folge ich einer alten Familientradition, denn mein Ur-Urgroßvater hat seinerzeit zusammen mit seinem Bruder eine Brauerei gegründet, die sich bis in die Jugendjahre meines Vaters im Familienbesitz befand. (Das ist auch einer der Gründe, warum bei mir in der Familie väterlicherseits ungefähr die Hälfte der Leute Chemie studiert hat.)

Ich habe mich bislang beim Brauen ja am ehesten für das Ergebnis interessiert – will sagen: ich trinke gerne Bier. Aber jetzt habe ich endlich angefangen, selber Sachen zu vergären. Und sogar mit einigem Erfolg!

Hier ist das erste Rezept. Sima ist in Finnland ein beliebtes Sommergetränk, das man im Spätfrühjahr bzw. Frühsommer in allen Lebensmittelgeschäften kaufen kann, weil es ein wichtiger Bestandteil der Feiern zum 1. Mai ist. Danach gibt es in den Geschäften leider meist nur noch Restposten, wenn überhaupt. Aber macht ja nichts; man kann es sich schließlich auch recht einfach selber brauen.

(Nein, im Ernst: Wenn ich das Zeugs brauen kann, könnt ihr das auch.)

Zuvor aber noch eine Warnung: Nach dem folgenden Rezept gebrautes Sima enthält mit sehr großer Wahrscheinlichkeit etwas Alkohol – größenordnungsmäßig ungefähr soviel wie Bier. Oder wie es eine finnische Bekannte mal ausdrückte: „Das Sima, das meine Oma nach diesem Rezept braut, ist garantiert alkoholfrei! Meine Oma trinkt nämlich grundsätzlich keinen Alkohol. Hicks!“ ;-)

Jetzt aber mal los!

Zutaten:
  • 4 l Wasser
  • 500 g Zucker (bzw. eigentlich ein wenig mehr; siehe unten)
  • Saft von 1–2 Zitronen
  • ⅕ TL Frischhefe
  • einige Rosinen
⅕ TL Frischhefe ist ein etwa erbsengroßes Stück. Man kann natürlich auch eine entsprechende Menge Trockenhefe (das wäre dann wohl ein halberbsengroßes Häufchen...?) nehmen.

Je nachdem, was für eine Zuckersorte man verwendet, wird das fertige Sima heller oder dunkler. Der Geschmack wird durch die Wahl der Zuckersorte(n) natürlich ebenfalls beeinflußt... Wer sich nicht entscheiden kann, nimmt beim ersten Mal am besten 250 g hellen („normalen“) Zucker und 250 g braunen Zucker.

Ich persönlich nehme am liebsten Farin. Der ist zwar im Vergleich zum normalen weißen Kristallzucker fürchterlich teuer, aber ich finde den Geschmack einfach unwiderstehlich... :-) Wer etwas abenteuerlich drauf ist, darf natürlich auch mit Honig, Glukosesirup usw. experimentieren! (Irgendwann, wenn ich reich bin, will ich mich mal an ein Sima auf Ahornsirupbasis heranwagen... <träum>)

Nun gut.

Zuerst wird das Wasser gekocht, der Zucker darin aufgelöst und der Zitronensaft dazugerührt. Dann muß man eine Weile warten, bis die Mischung auf eine Temperatur abgekühlt ist, die der Hefe genehm ist – das sind so um die 40 Grad. Am einfachsten mißt sich die Temperatur mit einem elektronischen (Fieber-) Thermometer. Außerdem gibt es noch den folgenden Trick: Wenn ein auf die Innenseite des Handgelenks gegebener Tropfen sich weder warm noch kalt anfühlt, dann hat die Flüssigkeit eine für Hefe passende Temperatur.

Und dann wird die Hefe dazugegeben und das Ganze gut umgerührt. Das Gefäß anschließend abdecken und bei Zimmertemperatur über Nacht ruhen lassen.

Am nächsten Tag wird die Flüssigkeit in saubere Flaschen gefüllt. Die Flaschen sollten dabei nicht vollständig, sondern nur zu etwa drei Vierteln gefüllt werden, damit sie später beim Öffnen nicht überschäumen... Vor dem Verschließen kommen in jede Flasche noch 1 TL Zucker sowie mehrere Rosinen.

Die Flaschen sollten an einem kühlen Ort stehen, beispielsweise im Keller. Je niedriger die Temperatur, desto langsamer gärt das Sima, und je langsamer der Gärvorgang, desto besser das Ergebnis. (Für die Fachleute: Bei Sima handelt es sich also anscheinend um ein untergäriges Getränk.)

Durch alkoholische Gärung wandelt die Hefe den Zucker nach und nach in Alkohol plus Kohlensäure um. Dadurch baut sich in den Flaschen ein gewisser Gasdruck auf. Das bedeutet zweierlei: Erstens ist es besser, wenn man die Flaschen zum Gären nicht allzu fest verschließt. Zweitens sollte man ein- bis zweimal täglich die Flaschen kurz öffnen, damit überschüssiges Gas entweichen kann. (Wenn ihr Letzteres nicht tut, kann es im schlimmsten Fall passieren, daß euch die Flaschen explodieren. Und glaubt mir, klebrige und halb angetrocknete Zucker-Hefe-Flüssigkeit vom Kellerboden aufwischen ist keine angenehme Tätigkeit.)

Bei Kellertemperaturen braucht das Sima zum Vergären etwa eine Woche. Daß es fertig ist, merkt man daran, daß alle Rosinen an die Oberfläche gestiegen sind.

Irgendwann sollte das Sima gefiltert bzw. durch ein Sieb gegossen werden. Wann man das tut, ist Geschmackssache. Manche tun es vor dem Umfüllen in Flaschen; andere erst ganz am Schluß, wenn es schon fertig vergoren ist. Das hat natürlich wieder einen gewissen Einfluß auf den Geschmack... Aber die Hauptsache ist, daß die Zitronen-Fruchtfleischreste (und -kerne) im fertigen Getränk nichts zu suchen haben. Die meisten Leute fischen nach der Gärung auch noch die Rosinen raus.

Sima wird gekühlt serviert. Ohne Zusatz irgendwelcher Konservierungsstoffe hält es sich im Kühlschrank etwa eine Woche lang.

(Quelle des Rezepts: die Rückseite von so ziemlich jeder in Finnland verkauften Packung brauner Zucker sowie meine eigenen Erfahrungen und die diverser Freunde)

. . .

Damit ihr euch das Ganze besser vorstellen könnt, hier noch ein paar Fotos:

[Bild: Sima-Grundflüssigkeit in einer Schüssel]

So sieht die Flüssigkeit ganz am Anfang aus, bevor die Hefe dazukommt. Das Ding, das da schwimmt, ist ein Stück Ingwer. (Ja, ich habe schon einige Sima-Experimente gemacht...) Und das, was sich da spiegelt, ist der Wandschrank in meiner Küche.

[Bild: Sima nach der ersten Nacht]

Ungefähr so sollte das Sima aussehen, nachdem es die erste Nacht bei Zimmertemperatur verbracht hat. Der Schaum sieht etwas eklig aus, aber in diesem Zustand soll man das Ganze ja auch noch nicht trinken...

[Bild: Blick in mein Badezimmer unmittelbar nach dem Befüllen von Sima-Flaschen]

Da ich außer einem Putzeimer kein Gefäß besitze, in das auch nur annähernd 5 l hineinpassen, rühre ich die Grundflüssigkeit in mehreren kleineren Gefäßen an – zu sehen am oberen Bildrand. Links stehen die Flaschen, in denen das Sima nun gären wird. Ich fülle das Sima immer im Badezimmer um, weil das der Raum ist, der am leichtesten zu reinigen ist, falls ich versehentlich etwas verschütten sollte...

[Bild: Sima während des Gärvorgangs im Keller]

Nun stehen die Flaschen im Keller und die Hefe blubbert vor sich hin. Die beiden Flaschen links enthalten Sima, die beiden rechts im Vordergrund ein leider mißlungenes Experiment mit vergorenem Fruchtsaft.

[Bild: fertig vergorenes Sima mit schwimmenden Rosinen]

Das Sima ist fertig vergoren! Hier guckt die Kamera direkt von oben in die Flasche hinein. Die Rosinen sind deutlich sichtbar von der Kohlensäure aufgebläht.

Nachtrag: Wenn man das Sima in den Flaschen nach dem eigentlichen Gärvorgang noch ein wenig im Kühlschrank reifen läßt, entsteht innerhalb weniger Tage eine recht beachtliche Menge Alkohol. Zum Starkwein-Äquivalent wird das Sima dadurch nicht, aber es steigt doch deutlich schneller zu Kopfe als das frisch vergorene, aus dem man eben erst die Rosinen rausgefischt hat...

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Montag, 6. Juni 2011
Weißer Flieder
Themen: Schnecken, Finnland, Trauerarbeit

[Bild: Blütendolden von weißem Flieder]

Anläßlich des Geburtstags meiner Mutter, die heute 73 Jahre alt geworden wäre, stelle ich jetzt mal ihr Lieblingsgedicht zusammen mit ein paar passenden Fotos aus den letzten Wochen ins Netz.

Das Gedicht ist von Börries von Münchhausen (nie gehört, gell?) und heißt „Weißer Flieder“. Ich konnte es schon als kleines Mädchen fast komplett auswendig, ohne es je bewußt gelernt zu haben, weil sie so oft daraus zitierte.

Nun gut. Hier ist es also...

[Bild: Blütendolden von weißem Flieder]

Naß war der Tag. Die schwarzen Schnecken krochen;
Doch als die Nacht schlich durch die Gärten her,
Da war der weiße Flieder aufgebrochen,
Und über alle Mauern hing er schwer.

[Bild: eine Schnecke auf einem Feldweg]

Und über alle Mauern tropften leise
Von bleichen Trauben Perlen groß und klar,
Und war ein Duften rings, durch das die Weise
Der Nachtigall wie Gold geflochten war.

[Bild: Blüten von weißem Flieder]

<snif> Das macht mich jedesmal ganz traurig. Wo Flieder doch meine Lieblingsblume ist. Und vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Nachtigall singen hören; oder zumindest zum ersten Mal eine Nachtigall singen hören und gewußt, daß es eine Nachtigall war. Diese Vögel sind echte Künstler... Bei Wikimedia gibt’s zwei Audiodateien mit Nachtigallgesang, zu denen eigentlich keine weiteren Worte nötig sind.

Und hier in der Gegend gibt’s soviel Flieder... Theoretisch sollte Finnland, auch Südfinnland, ja zu kalt für Flieder sein, aber irgendwie hat man es geschafft, auf Suomenlinna welchen anzusiedeln. Das ist so 150 oder 200 Jahre her. Inzwischen hat der Flieder sich, nachdem er gemerkt hatte, daß er hier anscheinend doch ganz gut wachsen kann, weiter über Südfinnland ausgebreitet. Er blüht hier so zwischen Ende Mai und Mittsommer. Also jetzt. :-)

Die Fliederfotos stammen alle aus der Nachbarschaft. Da gibt es einige Häuser, die recht viel Flieder im Garten haben... unter anderem das auf dem Grundstück direkt an der Bushaltestelle in unserer Straße, wie man unten sehen kann (das Wartehäuschen verschwindet um diese Jahreszeit praktisch unter all dem Flieder). Und das Schneckenbild zeigt die scheinbar einzige Schneckenart, die es hierzulande gibt; ich weiß aus Naturkundebüchern, daß in Finnland mehr als nur eine einzige Schneckenart vorkommt, aber gesehen habe ich bis jetzt nur Angehörige dieser einen Sorte...

[Bild: große Fliedersträuche an einer Bushaltestelle]

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