Dienstag, 1. März 2011
Fremde Federn
Themen: Politik
(Vorsicht: längerer politischer Rant. Lesen auf eigene Gefahr.)

Anläßlich der Guttenberg-Affäre habe ich mir in den letzten Tagen ein paar Gedanken zum Thema Copyright, Zitieren usw. gemacht und zu meinem Schrecken festgestellt, daß ich mir zwar schon diesbezügliche Gedanken zu meinem Blog gemacht habe, die allerdings noch nicht aufgeschrieben hatte. Das habe ich schleunigst nachgeholt; zu meiner FAQ-Liste hat sich jetzt auch ein Eintrag gesellt, in dem ich erkläre, wer unter welchen Umständen was aus diesem Blog zitieren darf. (Kurzfassung: Es darf zitiert werden, was das Zeug hält, und auch Remixen ist erlaubt, aber bitte mit Quellenangabe. Die nichtkommerzielle Nutzung meiner Texte und Bilder steht allen ohne weiteres offen; aber falls jemand meine Inhalte (Texte und/oder Bilder) irgendwie kommerziell verwenden will, braucht er dazu meine Erlaubnis.)

An dieser Stelle stellt ihr euch jetzt bitte eine längere Lobeshymne auf das Konzept „Creative Commons“ und die dazugehörige Organisation vor. Ich bin zu faul, die selber zu schreiben. ;-)

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Der plagiierende Freiherr (öhm, ich dachte, der Adel sei abgeschafft? Oder war das nur in Österreich? <grübel> Aber ich schweife ab) ist ja heute endlich zurückgetreten. Gut so; jemand, der die Geisteswerke anderer als seine eigenen ausgibt, hat in einem Bundeskabinett nichts zu suchen.

Oder Moment mal... Meiner Meinung hat so jemand ja nicht einmal in einem Stadtrat oder in einem anderen noch so geringfügigen öffentlichen Amt etwas zu suchen. Aber vor allem gehört er nicht in das Kabinett einer Kanzlerin, die selber promovierte Wissenschaftlerin ist! Ganz egal, wie man zur CDU/CSU stehen mag.

(Kleine Abschweifung: Ich habe vor einigen Jahren mal ein Interview mit Frau Merkel gesehen, das sich ausnahmsweise mal nicht um Politik drehte, sondern um Physik, das Fach, das sie dunnemals studiert hat. Da konnte man richtig merken, wie sehr ihr die Wissenschaft am Herzen liegt! Wie so jemand in seinem Kabinett so lange jemanden dulden konnte, der sich seinen Doktortitel erschwindelt hat, ist mir wirklich ein Rätsel.)

Vor einigen Tagen gab es zu diesem Thema bei Alternativlos eine sehr interessante Diskussion zwischen Fefe, Frank Rieger und Constanze Kurz. Anscheinend kommt es im Uni-Bereich gar nicht so selten vor, daß jemand ein Plagiat als seine eigene Arbeit auszugeben versucht – das fängt schon bei Proseminararbeiten an. Constanze erzählte von einem besonders drastischen Fall, in dem einer ihrer Studenten ihr ein Paper, das sie selber geschrieben hatte, als seine eigene Arbeit anzudrehen versuchte...

(Und während der ganzen knapp anderthalb Stunden, die dieser Podcast dauerte, dachte ich mir: Hmm, automatische oder halbautomatische Erkennung von Plagiaten... das ist eigentlich ein prima Anwendungsbereich für die Computerlinguistik. Fürwahr, ein Fach mit Zukunft. Ich habe das Richtige studiert. – Dabei geht es mir gar nicht so sehr darum, Texte von bereits vorhandenen und neu eingereichten Publikationen, Abschlußarbeiten usw. automatisch zu vergleichen; man könnte beispielsweise auch Software entwickeln, die die typischen Stilbrüche, Terminologiebrüche und dergleichen aufspürt, die in Plagiaten so gerne auftreten.)

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Ich selber habe mein Studium ja seinerzeit abgebrochen, aber immerhin habe ich etliche Seminar- und Proseminararbeiten verfaßt. Ja, ganz alleine. Und alle Zitate und sonstigen „fremden Federn“, mit denen ich mich selber hätte schmücken können, ordnungsgemäß markiert.

(Bei einigen dieser Arbeiten wäre es auch schwierig gewesen, die teilweise oder gar ganz von jemand anderem zu übernehmen; schließlich habe ich mir mit Vorliebe solche Themen wie „Parallelen zum römischen ‚sanctus‘-‚sacer‘-Gegensatz in der finnischen heidnischen Überlieferung“. Ich glaube nicht, daß es sonderlich viele Arbeiten zum gleichen Thema gibt, die ich hätte abschreiben können... Zu meiner Verteidigung muß ich allerdings sagen, daß dieses bestimmte Paper eigentlich die Idee des Dozenten (seines Zeichens Religionswissenschaftler), also nicht meine Schuld, war: „Was, du bist Sprachwissenschaftlerin im Hauptfach? Und du hast das Große Latinum? Super! Willst du was über Terminologie schreiben?“ Bei anderen Arbeiten war das Thema solcherart, daß man gar nichts von anderen abschreiben konnte, weil es sozusagen automatisch individuell war; beispielsweise bekam in einem Seminar zum Thema „Maschinelle Übersetzung“ jeder dasselbe Thema für seine Seminararbeit, nämlich „Füttere dem auf den Institutsrechnern installierten Übersetzungsprogramm einen Sachtext deiner Wahl und analysiere die Fehler, die die Übersetzung enthält“. Wenn man da einen Test-Text verwendet hätte, den schon jemand anderes verwendet hatte, wäre das zu leicht aufgefallen... Und außerdem war dieses bestimmte Programm unglaublich fehlerhaft, und es machte viel zuviel Spaß, da alle möglichen Texte einzugeben und Wetten darauf abzuschließen, welche kreativen Übersetzungsfehler es diesmal machen würde. Da kam man gar nicht erst auf die Idee, eigene Forschungsarbeit zu vermeiden... Hach, wenn doch alle Lehrveranstaltungen so unterhaltsam wären...)

In der Alternativlos-Diskussion erwähnte Constanze unter anderem, daß viele Studenten heutzutage gar keine Ahnung mehr haben, wie man eine wissenschaftliche Arbeit verfaßt und wie man richtig zitiert. Beziehungsweise: Früher hat man das wohl auch nicht unbedingt an jeder Schule gelernt; aber es ist halt etwas, was man eigentlich irgendwann während der ersten Semester lernen sollte (und wozu auch an vielen Unis speziell Kurse angeboten werden), was aber leider immer mehr Studenten auch in fortgeschrittenen Semestern nicht hinzukriegen scheinen.

Wie schade.

Ich habe ja das große Glück, von Buchhändlern abzustammen. Mein Vater hatte – äh – ich glaube, immerhin ein Vordiplom (ursprünglich hatte er Chemie studieren wollen, hat sich dann aber mitten im Studium umentschieden und fing eine Buchhändlerausbildung an) und meine Mutter hat überhaupt nicht studiert, aber die beiden haben es doch immerhin geschafft, mir sogar schon während meiner Schulzeit (Mittelstufe, glaube ich) beizubringen, wie man wissenschaftlich recherchiert und schreibt und natürlich auch, wie man richtig zitiert (oder ganz allgemein: wie man Quellen verwendet).

Daher wunderte es mich zuerst, zu hören, daß das nicht alle Leute können, bloß weil sie zufällig Abitur haben. Mir ist das alles so selbstverständlich... Aber natürlich fiel mir sehr bald ein, daß nicht alle Leute von Buchhändlern abstammen. Das erklärt vieles. ;-)

Aber ich verstehe immer noch nicht, wie es sein kann, daß Leute es bis ins Hauptstudium schaffen, ohne in der Lage zu sein, Fußnoten richtig zu verwenden (oder überhaupt einzusehen, wozu Fußnoten da sind) oder selbständig mehrere Sätze hintereinander so zu formulieren, daß man sich tatsächlich traut, die auch aufzuschreiben...

Ein häufiger Grund, warum Studenten anderer Leute Arbeiten plagiieren, ist natürlich, daß sie sich (akut, also z. B. wegen eines gerade anstehenden Problems im privaten Bereich, oder chronisch, also durch den ganzen Studienbetrieb) überfordert fühlen und daher nicht die Energie zum selbständigen Recherchieren und/oder Formulieren haben. Dafür habe ich sogar so etwas Ähnliches wie Verständnis. (Zumindest für die Fälle mit akuten Krisen. Bei chronischen Problemen mit dem Studienbetrieb sollte man sich doch irgendwann fragen, ob man wirklich das richtige Fach gewählt hat oder ob man womöglich besser für einen anderen Hochschultyp (z. B. Fachhochschule statt Uni) oder einen anderen Ausbildungstyp geeignet wäre.)

Ein anderer Grund ist, daß sie es sich nicht zutrauen, eine halbwegs akzeptable Arbeit selber zu verfassen. („Die anderen schreiben alle soooo schön und meine Formulierungen sind immer total hanebüchen!“) Das kann ich zwar nachfühlen, aber so hart es klingt: Zum Erwachsenwerden gehört auch, daß man sich auch mal traut, Fehler zu machen bzw. „suboptimale“ Arbeiten abzuliefern. Und einzusehen, daß man bei seinen eigenen Werken oft viel kritischer ist als mit denen anderer und daß der Dozent solche „hanebüchenen“ Formulierungen vielleicht als gar nicht so schlecht erkennt.

Und dann gibt es noch die, denen es überhaupt nicht klar ist, daß eine Seminararbeit (oder auch eine Diplom-, Magister- oder Doktorarbeit) eigentlich dazu da ist, daß man mal zeigen kann, wie toll man selber forschen oder recherchieren kann, und daß die Arbeiten, die andere vor einem verfaßt haben, aus deren (mehr oder weniger) harter Forschungs- und Recherchearbeit entstanden sind.

Das sind diejenigen, für die mir jegliches Verständnis fehlt.

Das liegt unter anderem wieder an meinen Buchhändler-Eltern, aber auch an meiner Persönlichkeit.

Ich habe einen Mordsrespekt vor den Ergebnissen der geistigen Arbeit anderer.

Das ist das, was zumindest teilweise von meinen Eltern bzw. deren Berufsumfeld kommt. Buchhändler und auch Verlage leben ja im Prinzip vom Respekt vor den Ergebnissen der geistigen Arbeit anderer. (Zumindest würden sie in einer idealen Welt; aber das ist eine andere Geschichte und sollte ein anderes Mal erzählt werden, wie Michael Ende so schön schrieb.) (Seht ihr? Quellenangabe.)

Außerdem habe ich für Lügen jeglicher Art, zumindest für das, was über kleine Notlügen hinausgeht, extrem wenig Toleranz.

Das ist das, was an meiner Persönlichkeit liegt, bzw. genauer: Es ist einer meiner autistischen Züge. Das absichtliche Verbreiten von Unwahrheiten und damit auch solche Sachen wie Meineid (bei einer Studienabschlußarbeit oder gar Promotion muß man ja normalerweise schriftlich versichern, daß man die Arbeit selber angefertigt und alle Quellen ordnungsgemäß angegeben hat) liegt in meinem persönlichen Wertesystem nicht allzu weit von vorsätzlicher Mord entfernt. Ganz im Ernst; das eine ist mir ebenso unvorstellbar wie das andere. Das bewußte Lügen ist für mich eine starke körperliche (!) Anstrengung...

Gut für die Leute in meiner Umgebung ist, daß sie ohne weiteres davon ausgehen können, daß sie von mir nicht angelogen werden. Schlecht für sie ist, daß ich sie, wenn ich sie beim vorsätzlichen Lügen (wie gesagt: wenn es keine relativ kleine Notlüge ist) erwische, auf längere Zeit verachten werde und es in solchen Fällen ziemlich schwierig ist, mein Vertrauen wiederzugewinnen.

(Ähm... also wenn ich den Herrn Guttenberg nicht schon vorher für einen gelverschmierten Lackaffen gehalten hätte und nicht sowieso schon gewohnheitsmäßig bei Politikern (mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen) davon ausgehen würde, daß sie lügen, sobald sie den Mund aufmachen... ähm... naja gut.)

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Dazu muß ich noch anmerken, daß mein oben erwähnter Mordsrespekt ausdrücklich der Leistung der jeweiligen Urheber gilt und nicht so sehr dem sogenannten „geistigen Eigentum“. Beziehungsweise: dem, was gewisse Verlage und Verwertungsgesellschaften (ihr wißt, wer ihr seid) daraus gemacht haben. :-P

Ich habe nicht die geringsten Hemmungen, Auszüge aus einem Buch zu fotokopieren. (Beim Abtippen sind die Hemmungen nur deshalb spürbar größer, weil das ja Arbeit ist. Anstrengend. Igittigitt.) Und ich habe auch nicht die geringsten Hemmungen, für meine Freunde meine Lieblings-Platten zu kopieren und Mixed Tapes anzufertigen – bzw. heutzutage eher: von meinen Lieblings-CDs für meine Freunde Mixed CDs zu brennen.

Allerdings ist das wirklich nur für meine Freunde und nicht für „meine 5000 engsten Freunde im Peer-to-Peer-Netzwerk“. ;-)

Aber ich würde niemals etwas kopieren oder (bewußt) zitieren, ohne die Quelle anzugeben. Und schon gar nicht etwas, was jemand anderes geschrieben/gedichtet/gemalt/... hat, als mein eigenes Werk ausgeben.

Wozu denn auch? Wie soll ich denn meinen Freunden meine Lieblings-Schriftsteller, -Wissenschaftler, -Musiker usw. empfehlen, wenn ich nicht bereit bin, deren Namen zu nennen?

(Rätsel über Rätsel. Ich glaube, ich sollte diesen ganzen Themenbereich unter „Menschen sind ganz schön seltsam“ ablegen.)

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Freitag, 10. Oktober 2008
Politischer Spagat
Themen: Politik
Hier in Finnland sind Ende Oktober Kommunalwahlen. Als EU-Bürgerin mit festem Wohnsitz in Finnland darf ich auch wählen gehen. Juhu.

Hierzulande gibt man seine Stimme nicht einer Partei bzw. Liste, sondern einem Kandidaten. Das hat natürlich für uns Wähler den Vorteil, daß man statt irgendeines Spitzenkandidaten, den man vielleicht gar nicht mag, einen anderen Kandidaten wählen kann, der auf einer Liste weiter hinten (oder gar nicht) aufgetaucht wäre. (Gerade bei Kommunalwahlen kann es ja durchaus passieren, daß man einen der Kandidaten persönlich kennt und ihm auch soweit vertraut, daß man ihn gerne im Stadtrat sehen würde, obwohl man seine Partei als Ganzes eher ungern wählen würde.) Aber bei meiner ersten Kommunalwahl vor einigen Jahren war ich darauf nicht vorbereitet und erlebte eine böse Überraschung: Statt eines Wahlzettels mit einer Liste von Parteien zum Ankreuzen, wie ich es aus Deutschland gewohnt war, bekam ich ein Blatt Papier, auf dem nichts weiter zu sehen war als drei leere Felder, mit denen ich so ohne weiteres nichts anzufangen wußte. Ein Wahlhelfer klärte mich dann darüber auf, daß ich da die (dreistellige) Nummer meines Wunschkandidaten eintragen sollte.

Da hatte ich mir solche Mühe gegeben und vor der Wahl die Programme aller Parteien studiert – naja, mit meinen damaligen Finnischkenntnissen lief das darauf hinaus, daß ich mich für die einzige Partei entschied, bei deren Wahlprogramm ich am Ende das Gefühl gehabt hatte, tatsächlich verstanden zu haben, wofür oder wogegen diese Partei steht. Und jetzt durfte ich diese Partei nicht einfach ankreuzen, sondern mußte mir in der Wahlkabine aus der dort ausgehängten Liste schnell einen der vielen Kandidaten „meiner“ Partei aussuchen, dessen Name und Paßfoto einen möglichst ehrlichen und kompetenten Eindruck machten...

Diesmal wollte ich schlauer sein und mich besser vorbereiten. Eine große Tageszeitung und der öffentlich-rechtliche Rundfunk haben an alle Kandidaten eine Liste mit (ihrer Meinung) wichtigen Fragen geschickt und aus den Antworten für jede Kommune jeweils eigene Entscheidungshilfe-Webseiten gestrickt. Da kann man dann dieselben Fragen beantworten wie die Kandidaten und anhand der gespeicherten Antworten denjenigen finden, dessen Meinung zu aktuellen kommunalpolitischen Themen der eigenen am ehesten entspricht.

Prima, dachte ich, so finde ich den Kandidaten, der mich am besten vertreten wird, ohne mich wieder durch ein Dutzend Parteiprogramme wühlen zu müssen.

Das Ergebnis war aber doch etwas überraschend. Daß die „großen Volksparteien“ eher nicht so gut zu mir passen, wußte ich ja schon vorher. Aber daß in meiner computererstellten Kandidaten-Top-10-Liste Kommunisten und Wahre Finnen (so ’ne Art Republikaner auf finnisch) in schönster Eintracht nebeneinanderstehen, hätte ich nicht erwartet.

Mist, jetzt weiß ich noch weniger als vorher, wen ich wählen soll...

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