Donnerstag, 21. Mai 2009
Alles Piraten
Themen: Politik, Schweden
So langsam kommen hier in Schweden die Parteien aus ihren Verstecken. Wird auch langsam Zeit – die Europawahl ist ja schon in zweieinhalb Wochen.

Noch letzte Woche sah man hier eigentlich so gut wie keine Wahlplakate; nur hier und da hing etwas von der Piratenpartei. Das waren allerdings auch keine besonders großen oder auffälligen Plakate.

Die schwedischen Kollegen mußten ganz schön lachen, als ich ihnen beschrieb, was für einen Eindruck man dadurch als Ausländer von der schwedischen Politik bekam – vor allem als Ausländer aus einem Land, in dem schon seit Wochen alles mit Wahlplakaten zugepostert ist: „In Schweden gibt es einen König und eine Piratenpartei. Die Piratenpartei hat so Plakate. Der König hat keine Plakate, aber dafür kam er im Sprachkurs in einer eigenen Lektion vor.“

Naja, inzwischen habe ich erfahren (bzw. hätte erfahren, wenn ich für mein politisches Wissen ausschließlich auf Wahlplakate und Sprachkurse angewiesen wäre), daß es hierzulande außer dem König und den Piraten auch Sozialdemokraten und Liberale gibt.

(Und soeben habe ich zusätzlich herausbekommen, daß die hiesigen Liberalen von Leuten wie mir anscheinend nicht gewählt werden wollen. Oder warum sonst verstecken sie einen Großteil der Inhalte auf ihrer Homepage hinter Flash? <grummel>)

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Freitag, 20. März 2009
Staats- und Steuertheorie
Themen: Politik, Schweden
In der bereits erwähnten Telefonkonferenz mit den Kollegen in Finnland ging es unter anderem darum, wer von uns (zur Zeit) dreien, die vom finnischen Zweig der Firma an den schwedischen „ausgeliehen“ wurden, wie lange hierbleiben will. Ursprünglich sollten wir alle ein halbes Jahr bleiben. Aber wir dürfen auch länger, falls wir wollen.

Allerdings wird es dann mit unserer Einkommenssteuer etwas kompliziert. Im Moment zahlen wir alle unsere Einkommenssteuer in Finnland. Wenn wir höchstens 182 Tage in Schweden bleiben, bleibt das auch so. Aber wenn wir länger bleiben, müssen wir für den betreffenden Zeitraum dort Steuern zahlen, wo wir den größten Teil des Jahres verbringen – also in Schweden.

Also überlegten wir gestern:

Pro: Die Projekte, an denen wir hier arbeiten, sind echt interessant, und nette Kollegen haben wir hier auch. (Die Kollegen in Finnland sind auch nett, aber die Projekte, an denen wir hier arbeiten, sind teilweise deutlich interessanter als das, was wir in Finnland machen würden, wenn wir jetzt dort wären.)

Contra: Jeder Anlaß, aus dem man sich zwecks Änderung seines Steuerstatus ans Finanzamt wenden muß, ist einer zuviel.

Dann fiel jemandem noch Folgendes ein: Wer jetzt in Schweden Steuern zahlt, hilft damit bei der Finanzierung der Hochzeit der Kronprinzessin.

Schweigen, während jeder für sich darüber nachdachte, ob er nun eher Royalist oder Republikaner ist und ob dieser Punkt daher eher unter „Pro“ oder eher unter „Contra“ fällt.

Ich habe bei dieser Gelegenheit entdeckt, daß ich durch und durch Republikanerin bin. Das Konzept „Adel“ finde ich zwar irgendwie romantisch, aber ich weigere mich, deren Prunkveranstaltungen irgendwie finanziell zu unterstützen. Vor allem, wenn ich stattdessen meine Einkommenssteuer in einem Land wie Finnland zahlen kann, wo ich wenigstens ab und zu den Eindruck habe, daß meine Steuern für etwas Sinnvolles verwendet werden...

Bei weiteren Recherchen zum Thema „schwedisches Königshaus“ habe ich noch ein paar interessante Sachen herausgefunden:
  • In Schweden herrscht allgemeine Religionsfreiheit; das heißt, jeder darf sich seine Religion selber aussuchen (und die dann auch ausüben) oder sich stattdessen entscheiden, daß er gar keiner Religion angehören will. Mit einer Ausnahme: das Staatsoberhaupt (lies: König bzw. Königin) muß der Schwedischen Kirche, also der evangelischen Kirche in Schweden, angehören, und ein Mitglied des Königshauses, das dieser Kirche nicht angehört, verliert dadurch seinen Platz in der Thronfolge.
  • In Schweden darf auch jeder heiraten, wen er will (mit den üblichen Einschränkungen – Mindestalter, Bigamieverbot usw.). Bis auf die Prinzen und Prinzessinnen: die dürfen zwar theoretisch ebenfalls heiraten, wen sie wollen, aber wenn die Hochzeit mit diesem Partner nicht sowohl vom amtierenden Monarchen als auch vom Reichstag genehmigt wird, fällt der betreffende Prinz/die betreffende Prinzessin ebenfalls aus der Thronfolge heraus.
Bei dem Gedanken, daß in einem mehr oder minder modernen, mehr oder minder westlichen Staat auf gewisse Personenkreise von Staats wegen ein gewisser Druck in punkto Religionszugehörigkeit und Wahl des Ehepartners ausgeübt wird, fühle ich mich etwas unwohl. :-( Schweden ist zwar an und für sich ein schönes Land, und in Göteborg gefällt es mir auch sehr gut, aber ich bin doch froh, danach wieder in ein Land zurückkehren zu können, wo die Grundrechte gleichermaßen für alle gelten... auch wenn ich nicht selber zum betroffenen Personenkreis gehöre...

Noch ein interessanter Punkt, auf den ich dadurch gestoßen bin: Bevor Victoria geboren wurde, galt in Schweden die sogenannte agnatische Thronfolge; das heißt, nur männliche Mitglieder des Königshauses konnten auf den Thron kommen. 1979 wurde das betreffende Gesetz allerdings geändert, und seitdem gilt die kognatische Thronfolge; das heißt, daß das Anrecht auf den Thron nun unabhängig vom Geschlecht ist. Zur Änderung der Thronfolge war eine Grundgesetzänderung nötig.

Jetzt wird’s interessant: Aus Deutschland kenne ich es so, daß bestimmte Teile des Grundgesetzes (die von der Ewigkeitsklausel betroffenen) gar nicht geändert werden können und zur Änderung der restlichen Teile eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat nötig ist.

In Schweden sind die Hürden für eine Grundgesetzänderung ganz anders und, wie ich finde, viel interessanter: es ist nur eine einfache Mehrheit im Reichstag nötig, aber die muß nicht nur einmal, sondern zweimal erreicht werden, und zwischen diesen beiden Malen muß eine Reichstagswahl stattgefunden haben. Das heißt also, daß zwei aufeinanderfolgende Regierungen (die womöglich aus völlig verschiedenen Parteien zusammengesetzt sind) dieselbe Grundgesetzänderung beschließen müssen, bevor das Grundgesetz tatsächlich geändert wird.

(Nun gut, mir persönlich sind die Grundrechte quasi heilig, und daher fände ich eine Regelung in der Art von „zwei aufeinanderfolgende Regierungen und jeweils mit Zweidrittelmehrheit“ am besten. Aber man muß sich wohl mit den gesetzlichen Hürden zufriedengeben, die man kriegen kann.)

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