Freitag, 9. Juli 2010
Anonymität im Netz
Themen: Internet, Politik
Ich fühle mich in der letzten Zeit irgendwie so politisch. :-) Keine Ahnung, woran das liegt, aber was soll’s.

Ich habe eben mal, angeregt durch die Diskussion um diesen Spiegel-Artikel über die geplante Einführung einer Klarnamenpflicht bei World of Warcraft, ein kleines Experiment gewagt.

In der Diskussion kamen die üblichen Einwände gegen eine Klarnamenpflicht: Heutzutage, wo alles, was jemals irgendwie online gestellt wurde, irgendwo (online abrufbar) archiviert ist, kann „jeder sofort alles“ über mich herausbekommen, wenn er meinen Namen kennt. (Zumindest wenn ich einen einigermaßen seltenen Namen habe. Wenn ich einen relativ häufigen Namen habe, ist es für eine Suche nützlich, noch ein oder zwei weitere Details, z. B. meinen Wohnort, zu kennen.) – Hier ist „alles“ natürlich relativ; aber zumindest ist vieles auffindbar, was ich in den letzten Jahren online angestellt habe. Und in den meisten Fällen interessieren sich die Leute vermutlich sowieso nicht für meine Jugendsünden („Julia hat 1998 per FTP ein Pornobild heruntergeladen/in einer rechtsradikalen Newsgruppe gepostet/...“), sondern für neueres Material („Julia hat letztes Jahr einen YouPorn-Account angelegt/hat einen Typen namens Benito Mussolini als Facebook-Freund/...“).

(Wozu ich der Vollständigkeit halber noch anmerken will, daß diese Beispiele rein fiktiv sind. Ich habe keinen YouPorn-Account – ich habe ja nicht einmal einen YouTube-Account –, und bei Facebook bin ich auch nicht. Und ich kenne auch niemanden, der Mussolini oder auch nur annähernd so ähnlich heißt.)

Die Befürworter einer solchen Klarnamenpflicht argumentieren, daß es in einer (Online-) Welt, in der alle ihren richtigen Namen benutzen und daher mit ihrem richtigen Namen zu ihren Äußerungen stehen müssen, viel zivilisierter zugeht.

Die Gegner (bzw. Skeptiker) halten dagegen, daß das vielleicht für halbwegs eindeutig identifizierbare Leute gelten mag, nicht aber für Leute mit häufigen Namen. Mit anderen Worten: Der eine Troll wird vielleicht mit dem Trollen aufhören, wenn er sich auf einmal wie im „richtigen Leben“ und wie es in seinem Ausweis steht Arne-Esekiel Yodelbrinck nennen muß; der andere Troll, der mit bürgerlichem Namen Peter Schmidt heißt, wird in der Masse der Namensvettern untergehen und munter weitertrollen.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: gehöre ich zu den Schmidts oder zu den Yodelbrincks?

Nun gut. Ich war früher mal (bis ca. 2005) im Usenet ziemlich aktiv, sowohl in mehr oder weniger regionalen (deutschen und finnischen) Gruppen als auch in internationalen. Eine Homepage habe ich auch. Und ich bin in drei sozialen Netzen (von denen, wie gesagt, keins Facebook ist). Alles unter meinem richtigen Namen.

Also habe ich mich einfach mal gegoogelt. (Ja, mit Google. Ich bin im Moment zu faul, um das Experiment mit weiteren Suchmaschinen zu wiederholen.)

Ergebnis:
  • Google.com, also die internationale Version, liefert auf der ersten Seite die folgenden Suchergebnisse: eine Literaturwissenschaftlerin in Kalifornien, eine Journalistin in Ägypten (!) sowie eine Frau mit einem Facebook-Account (:-) und eine mit einem Twitter-Account. Außerdem gibt es anscheinend jemanden, der die Kombination aus meinem Vor- und Familiennamen plus „.com“ als Domain registriert hat, verschiedene Leute mit meinem Vornamen und einem Doppelnamen, dessen eine Hälfte mein Familienname ist, und eine Dichterin oder Musikerin oder sowas, zu der es einen Datensatz in einer Liedertexte-Datenbank gibt. Und dann waren da noch ein Link zu einer auf meinen Namen ausgerichteten Suchseite bei LinkedIn (da habe ich über 20 Namensvetterinnen) und außerdem unter einem Google-Images-Link namens „Images for <mein Name>“ ein paar Bilder von Leuten, die alle nicht ich sind.
  • Google.fi, also sozusagen die für mich zuständige regionale Version, liefert auf der ersten Seite dieselben Suchergebnisse in einer geringfügig anderen Reihenfolge, allerdings mit dem folgenden wichtigen Unterschied: Zwischen den ganzen Links auf Leute, die nichts mit mir zu tun haben, gibt es einen auf die Suchmaschine einer finnischen Online-Telefonnummern-Datenbank (ein kostenloses Angebot einer der hiesigen Telefongesellschaften), und dort tauche ich dann als erste auf. Moment, kleine Korrektur: dort tauche ich als einzige auf. Was in Deutschland und international ein häufiger Name ist, kann in Finnland durchaus einzigartig sein. (Kleine Anekdote: Eine Bekannte von mir, ebenfalls in Finnland lebende Deutsche, hat einen Familiennamen, der in dem Teil Deutschlands, wo sie herkommt, sehr häufig ist. Hierzulande ist sie die einzige mit diesem Namen. Irgendjemand hat ihr mal einen Brief an „<ihr Vor- und Nachname>, Finnland“ geschickt, und der ist tatsächlich angekommen. Allerdings war er mehrere Monate unterwegs.)
  • Wenn man bei Google.fi die Suchergebnisse nur auf die finnischsprachigen einschränkt, findet man erstaunlicherweise dennoch die kalifornische Literaturwissenschaftlerin. Und außerdem mich. Einmal wieder mit dem Link in die Telefonnummern-Datenbank, einmal in der Mitgliederliste eines Vereins (wo ich mich ganz bewußt per Opt-in dafür entschieden habe, in der Online-Mitgliederliste aufzutauchen, also sozusagen selber schuld bin) und einmal in einem sechs Jahre alten Artikel über ein Preisausschreiben, bei dem ich mich seinerzeit beteiligt und eine hübsche Tischdecke gewonnen hatte. Meine Güte, was die Leute alles für berichtens- und aufhebenswert halten... da steht tatsächlich die gesamte Liste sämtlicher -zig Gewinner und was sie gewonnen haben.
Nähere Informationen zu mir (über meinen Namen etwas mehr als „ist Mitglied in diesem Verein“ und „hat eine Tischdecke gewonnen“ hinausgehende) gibt es nur in der Telefonnummern-Datenbank. Ich bin etwas erstaunt, daß weder meine Homepage noch meine alten Usenet-Artikel auftauchen... nicht einmal mein Amazon-Wunschzettel... aber egal. Jedenfalls ist es nicht ganz einfach, online nur mit meinem Namen ausgerüstet „belastendes Material“ (politische Orientierung, ungewöhnliche Hobbys, exotische und daher womöglich „peinliche“ Krankheiten, was weiß ich) über mich herauszufinden.

Uff. :-)

Mit der Kombination „sämtliche Vornamen plus Familienname“ findet man deutlich mehr, unter anderem viele meiner alten Usenet-Artikel. Na sowas.

Mit meinen diversen Spitznamen findet man wiederum alles Mögliche, außer Informationen, die tatsächlich zu mir gehören. Und das, was man findet, gehört dermaßen offensichtlich zu mehreren verschiedenen Personen bzw. Personengruppen (Sileas ist unter anderem eine schottische Folk-Band, ist ja interessant), daß ich mir um meine Privatsphäre wohl nicht so viele Sorgen machen muß.

Aber was wäre, wenn ich nicht so einen Allerweltsnamen hätte? Wenn mein Familienname nicht so häufig (und „international“) wäre und meine Eltern mir nicht einen Vornamen gegeben hätten, der in meiner Generation zufällig ziemlich beliebt war?

Also habe ich das Experiment mit dem Namen einer guten Freundin wiederholt, die einen eher seltenen Familiennamen und auch einen zumindest in unserer Generation eher seltenen Vornamen hat. Ergebnis: Auf der ganzen Welt (oder zumindest in dem Teil der Welt, der online durchsuchbar ist) gibt es nur sie und sonst niemanden mit diesem Namen. Sie hat zwar zur Zeit keine eigene Homepage und ist in sozialen Netzen sehr sparsam mit ihren Daten, aber sie hat beispielsweise an einigen Veranstaltungen teilgenommen, zu denen es Informationen im Netz gibt und wo z. B. die Organisatoren, Vortragenden usw. namentlich genannt werden.

Nun gut, bei diesen Sachen bin ich mir ziemlich sicher, daß sie da tatsächlich teilgenommen (mitorganisiert, vorgetragen) hat. Daß man sich aus den wenigen Informationen, die man online über sie finden kann, ein halbwegs akkurates Bild von ihr (bzw. von einer Facette ihres Lebens) machen kann.

Ob ihr das nun recht ist oder nicht, ist natürlich wieder eine andere Frage. Aber immerhin bekommt man so kein allzu falsches Bild von ihr.

Allerdings ist mir schon vor einiger Zeit aufgefallen, wie man auch mit einem scheinbar seltenen Namen auf die Nase fallen kann. Und zwar hatte ich damals nach einem Freund gegoogelt, der einen meiner Meinung ziemlich einzigartigen Namen hat. Dabei fand ich außer ihm noch einen Namensvetter, der pikanterweise beruflich etwas macht, was mein Freund zwar selber nicht macht, was aber jemand, der ihn nicht so gut kennt, durchaus für ein plausibles Betätigungsfeld für ihn halten könnte. Zum Glück wohnen die beiden ziemlich weit voneinander entfernt, so daß man, wenn man genau hinguckt, doch merken sollte, daß es sich da wohl doch um zwei verschiedene Leute handelt.

(Und dann gibt es noch einen, zu dem ich vor Jahren den Kontakt verloren habe und den ich ab und zu auf gut Glück google. Der Mann hat einen ziemlich seltenen Namen, und ich finde auch eine Menge Material über ihn, von dem ich sicher bin, daß es wirklich zu ihm und nicht etwa zu einem Namensvetter gehört, aber dummerweise nichts halbwegs Neues. Ich habe also trotz Online-Abrufbarkeit „aller“ existenten Daten keine Ahnung, wo er jetzt ist und was er macht.)

...

Daß im Netz nichts jemals völlig verschwindet (ob es sich nun um die eigenen „Jugendsünden“ handelt oder um etwas anderes), merkt man übrigens nicht nur daran, daß meine alten Usenet-Artikel immer noch auffindbar sind, obwohl sie teilweise an die 20 Jahre alt sind.

Vor einigen Wochen mußte die Tageszeitung Helsingin Sanomat einen Comic strip von ihrer Web-Version entfernen, weil sich allzu viele Leute darüber beschwert hatten. Es handelte sich um einen Strip aus der Serie „Fingerpori“, deren Humor größtenteils auf Wortspielen beruht, die oft ziemlich harmlos sind, teilweise sogar ziemlich blödsinnig, manchmal aber auch deutlich unter die Gürtellinie zielen. Die Fingerpori-Leser sollten also eigentlich daran gewöhnt sein, ab und zu mal einen fiesen Witz vorgelegt zu bekommen (ab und zu sogar einen sehr fiesen Witz), aber dieser eine war dann doch zu fies.

Also sieht man im Fingerpori-Archiv statt des Strips für den betreffenden Tag einen Hinweis, daß der Strip wegen zahlreicher Beschwerden aufgebrachter Leser aus dem Archiv entfernt wurde.

Und wenn man in die Suchmaschine seines Vertrauens als Stichwort „Fingerpori“ und das Datum eingibt, findet man in Sekundenschnelle eine Menge Links zu Online-Bilderdiensten à la Flickr, in denen man den Strip selber begutachten und für sich selbst entscheiden kann, ob er nun wirklich so geschmacklos ist oder nicht. Nun gut, immerhin hat es die Zeitung geschafft, zartbesaitete Fingerpori-Fans (wobei mir nicht ganz klar ist, wie jemand gleichzeitig Fingerpori-Fan und zartbesaitet sein kann) davor zu schützen, ohne Vorwarnung auf einen der fieseren Witze in dieser Serie zu stoßen, aber die Welt vor einem fiesen und geschmacklosen Witz beschützt (oder eine erfolgreiche Online-Zensur durchgeführt, wie ihnen in manchen Webforen vorgeworfen wurde) haben sie definitiv nicht.

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